Название | Der Kamin |
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Автор произведения | Martina Schäfer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783959593038 |
„Verwandt ist ja nur Maggi mit der Toten. Was war dein Problem?“
„Aber Schulden hatte doch das Kollektiv bei ihr.“
„Wer weiß, wie wenig das war? Und dann hätten sie doch schon ewig zuvor zuschlagen können, schließlich gibt es die Kneipe bereits einige Jahre, oder?“
„Ach, war doch auch nur Spekulation, ich glaube, die sind viel zu harmlos dafür, schau dir nur seinen sanften Schlackergang an!“ Sie lachte und wies auf Peter, der nun gerade aus dem Laden trat und sich suchend umblickte. „Ja, apropos harmlos: Wir haben da ein Mädchen, das absolut keine weibliche Bezugsperson für den Einführungsabend mitbringen kann. Ihre Mutter ist früh verstorben, der Vater alleinerziehend, keine Tante, keine Oma, zumindest nicht hier in der Stadt.“ Sie schaute mich fragend an. Und während ich mal wieder über den radikal-stümperigen Schatten der üblichen Wen-Do-Ideologie sprang, schlug Peter die Lieferwagentüre zu und knatterte leise über den Platz davon.
Natürlich sind unsere Kurse nur und ausschließlich für Frauen und Mädchen gedacht, dürfen nur Frauen selbige geben und bei Strafe eines lila Höllenfeuers keinem Mann jene Schläge verraten, die heute in jedem Selbstverteidigungsschinken zu finden sind!
Das Dilemma ist: Seit mehreren Jahren beziehen einige Kolleginnen und ich, ich bilde mir gar ein, dass ich das erfunden hätte, die Mütter oder sonstigen weiblichen Bezugspersonen der Mädchenkurse unter 14 Jahren verstärkt in diese mit ein. Ich möchte nämlich, dass der doch immerhin heikle Diskurs über Gewalt, die von nahen Personen ausgehen kann, Sexualität, Abgrenzung und Selbstsicherheit auch nach dem zweitägigen Kurs in den Familien weiter geht und eine Art Langzeitwirkung entfaltet. Ich möchte, dass der Diskurs zwischen den Generationen gefördert wird, die Solidarisierung zwischen den weiblichen Personen aus allen Lebensaltern.
Ich habe die Vorstellung von gegenseitigem Verständnis: Der spätabendliche Discoausflug der Tochter, das späte Wochenendheimkommen eines Mädchens haben nun mal immer noch einen anderen Charakter als jene ihrer Brüder. Die muss der Papa nicht um zwei Uhr nachts von der Party abholen und die brauchen auch kein extra Taxigeld für die Disco oder im Extremfall ein Ausgehverbot bis ins zwanzigste Lebensjahr!
Doch für alle Beteiligten ist es wichtig zu erkennen, dass dergleichen Ungerechtigkeiten nicht der Autorität oder Gemeinheit der Eltern entsprungen sind, Mamas moralinsaurer Haltung und Papas Besitzstreben an seiner Tochter, sondern ihren Ängsten, die den Familien aufgedrückt werden durch eine gewalttätige Gesellschaft, nächtliche Vergewaltiger und schlechte bis keine Nahverkehrsbedingungen nach einundzwanzig Uhr oder gar am Wochenende, insbesondere auf dem Land, in der Provinz und in Kleinstädten wie der meinen in der Eifel oder derjenigen Rosis im Bergischen Land.
Deshalb also müssen in meinen Mädchenkursen Mütter, Tanten, Omas oder ältere Schwestern, engagierte Lehrerinnen oder Jugendzentrumssozialarbeiterinnen obligatorisch am Vorabend eines Mädchenkurses sowie in seinen letzten drei Stunden mit antreten. Da bringen ihnen dann die Mädels ein paar der fiesesten Tritte und Kniffe bei, diskutieren oder agieren gar mit ihnen erfahrene Rollenspiele aus dem Kurs und haben den großen Spaß, wenn auch die erwachsenen Frauen mal laut „Arschloch“ brüllen und versuchen, ein Brett durchzuhauen!
Nun führt dieses ganze edle Konzept die engagierte Trainerin automatisch näher an die Familien heran und sehr oft an die dazugehörigen Väter und Brüder. Da muss halt mal der kleine, sonst unbeaufsichtigte Brudersäugling am Sonntagnachmittag mitkommen, und: Horribile dictu: Da gibt es seit ein paar Jahren vermehrt die allein erziehenden Väter...! Was tun, wenn wir doch keine Männer zulassen in das weise Reich des Wen-Do?
Was ist schlimmer, der Geheimnisverrat oder ein Mädchen, das alleine in diese Riesenrunde aus Frauen und Mädchen tritt? Einem Kind die Erkenntnis zumuten, dass es ein Außenseiter ist, dessen einzige, weibliche Vertrauensperson die Barbiepuppe oder das Meerschweinchen ist? Oder über den radikalfeministischen Schatten springen und in jedem X-ten Mädchenkurs den einen allein erziehenden Vater zur Runde zuzulassen?
Was Außenseiter sein in der Kindheit bedeutet, durfte ich selbst von der Pike auf studieren. Nichts bereitet eine Frau auf das erwachsene Lesbenleben so ausgezeichnet vor wie eine uneheliche Kindheit in den fünfziger und sechziger Jahren unserer Republik! Da änderte auch der Euphemismus „außer-ehelich“ nichts daran: Für immer klingt in meinen Ohren der Satz einer Lehrerin an der Düsseldorfer Theodor-Fliedner-Schule in Kaiserswerth: „Ein uneheliches Kind gehört nicht aufs Gymnasium!“ Möge sie sich auf ewig unruhig in ihrem Grabe wälzen! Eingemeißelt aber auch im Gedächtnis das abrupte Aufstehen meiner Mutter danach: „Komm, wir gehen!“ Möge sie auf ewig im Paradies lustvoller Frauenwelten weilen, denn aufgeregt flatternd wie eine graue Kreuzung aus Spitzmaus und Hühnervogel eilte ihr die fromme Direktorin vor aller Augen hinterher: „Ich möchte mich öffentlich für den Ausrutscher unserer Kollegin entschuldigen! Ihre Tochter ist nicht gerade eine Leuchte in Mathematik, doch wir haben sie gerne hier! Kommen Sie bitte zurück!“ Auch ihr ein Blumenstrauß ins Grab gelegt, so, wie sie solidarisch am Grab meiner mutigen Frau Mama dann Jahre später stand!
Und deshalb dürfen alleinerziehende Väter an den Mädchenkursen teilnehmen, sehr verlegen und exotisch zwischen den liebevoll lächelnden Müttern, Tanten oder Omas! Denn was alle Kinder brauchen ist das solidarische Gespräch, das Verstanden-Werden von jenen, die so viel älter sind, das Angenommen-Sein. Glauben meine radikalen Kolleginnen im Ernst, dass ein Missbraucher im Wen-Do-Kurs auftaucht? Respektive, dass er unbekehrt davongeht, falls er den Unterschied zwischen Zärtlichkeit und Machtspiel noch nicht begriffen hat?
Ich glaube an die Veränderbarkeit von Menschen, das ist eine seltsame Angewohnheit von mir. Selbst an die fanatischer Separatistinnen.
Also grinste ich Lilo beruhigend zu: „Natürlich muss dann der Vater kommen, wer denn sonst? Im Kurs bin ich für euch Frauen, für die Mädchen da, nicht für mein radikal-feministisches Ego.“
„Ja – das ist gut.“ Sie nickte energisch und verschmierte ein wenig Marmelade auf dem letzten Fitzelchen Pfannekuchen. Ich rückte dem Salat zu Leibe und wiederholte vorsichtshalber noch einmal die Termine: „Also, Freitagabend sechs bis acht Uhr Mädchen und Mütter, respektive der eine Vater, Samstag neun bis siebzehn Uhr die Mädels alleine, ebenso am Sonntag bis zur Mittagspause, ab zwei Uhr dann wieder die Erwachsenen dazu.“
Direkt vor dem Fenster des Lokals bockte ein interessanter Mann in Lederkluft sein Motorrad auf. Ein wenig exzentrisch sah er aus: Der Lederanzug schwarz-weiß gescheckt, als ginge er in Gestalt eines Panthers zu einer Karnevalsveranstaltung, auf dem schwarzen Helm, den er nun fürsorglich in der Box hinten verstaute und einschloss, ein roter Drache, der chinesisch dahinzüngelte.
„Man kann auch über die Straße Pfannekuchen mitnehmen, wie in einer Pizzeria“, kommentierte Lilo, als der Motorradfahrer sich anschickte, das Lokal zu betreten. „Und kuck mal: Da kommt Maggi!“ Sie klopfte an die Scheibe und winkte aufgeregt, was den jungen Mann irritiert zu uns herüber blicken ließ. Dann merkte er, dass diese Aufregung gar nicht ihm galt, drehte sich herum, lächelte Maggi an und gemeinsam, lebhaft miteinander sprechend, kamen sie durch die Schwingtüre herein.
Maggi ließ sich mit einem Seufzer an unserem Tisch auf einen Stuhl fallen: „Scheißtag!“
„Viel zu tun?“ Lilo schaute sie teilnehmend an.
„Ja klar. Kannst dir vorstellen, meine übrige Family rastet total aus, Muttern ist zu Nichts zu gebrauchen und mein Onkel redet sich mit seinem Geschäft heraus. Im Grunde managen Johannes und ich diesen ganzen Bestattungscheiß!“