Die Oslo-Connection - Thriller. Olav Njølstad

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Название Die Oslo-Connection - Thriller
Автор произведения Olav Njølstad
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726344127



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darum fiel ihr auch keine sinnvolle Frage ein. Sie kam aus einem streng religiösen Heim und hatte gelernt, dass es nicht erlaubt war, zu stehlen. Genauso wenig gehörten Missbrauch und Nachlässigkeit zu ihrem Sündenregister. Ihre Laster gingen mehr in Richtung fleischlicher Begierden und dem Bedürfnis nach einem Glas Rotwein vor dem Frühstück.

      Halvorsen öffnete die Tür und wünschte ihr viel Erfolg bei der Arbeit. Es entging ihr nicht, dass er in der Tür stehen blieb und ihr bis ans Ende des Korridors mit dem Blick folgte.

      Das Archiv war gemütlicher, als sie es sich vorgestellt hatte. Die blauen Türen und weißen Wände ließen sie an griechische Inseln denken und – eins führte zum anderen – an einen bildschönen und unendlich charmanten Griechen, den sie im Sommer 1991 auf Kreta hoch oben im Tal der Windmühlen einfach stehen lassen hatte. Ihr war bis heute nicht klar, wieso sie ihn auf diese erbärmliche Weise verlassen hatte, indem sie einfach in den nächsten Bus gestiegen war, ohne sich von ihm zu verabschieden. War es wegen der Prothese gewesen? Weil sie sich sein enttäuschtes Gesicht ersparen wollte, wenn er entdeckte, wie sie unter dem seidenen Rock aussah?

      Sie begab sich eilig zurück in die Wirklichkeit. Die Tür des Archivs hatte sich kaum hinter ihr geschlossen, als ihr von der anderen Seite des Schalters eine spitze, übellaunige Stimme entgegenkläffte.

      »Wir haben heute viel zu tun, es kann also eine Weile dauern, bis ich mich Ihnen widmen kann.«

      Die Stimme gehörte zu einer übergewichtigen Frau mittleren Alters in einem viel zu eng sitzenden Baumwollkostüm, die hinter einem überfüllten Schreibtisch saß und durch dicke Glasbausteingläser auf einen riesigen Bildschirm starrte. Ohne den Blick von dem Bildschirm zu nehmen, fügte sie hinzu, wie schlecht es ihr passte, ausgerechnet jetzt Besuch zu bekommen.

      »Ich werde natürlich alles tun, was in meiner Macht steht«, schwätzte sie weiter. »Aber erwarten Sie bloß nicht zu viel Service. Zu allem Überfluss bockt nun auch noch der Computer.« Sie erhob sich widerwillig von ihrem Stuhl, trat an den Schalter und streckte ihre klamme Hand aus.

      »Laila Hansen«, sagte sie in resigniertem Tonfall. Wahrscheinlich hatte sie es so lange hinausgezögert, sich vorzustellen, in der Hoffnung, der ungebetene Gast würde es irgendwann aufgeben und sich verziehen. »Ich habe Ihren Brief gelesen. Ein recht umfassendes Thema, das. Was hoffen Sie hier eigentlich zu finden?«

      Ulla antwortete wahrheitsgetreu, dass sie das nicht so genau wüsste. Aber um das herauszufinden, sei sie schließlich hier.

      »Also gut«, seufzte Frau Hansen erschöpft und schob die Brille zurecht. »Dann schlage ich vor, dass Sie mit der Dokumentenreihe 136 beginnen. Dort bestehen die größten Chancen, etwas von Interesse zu finden.«

      »Gern«, antwortete Ulla und spürte ein erwartungsvolles Kribbeln im Magen. Wie lange hatte sie auf diesen Moment gewartet! Das letzte Jahr hatte sie die wenige Fachliteratur, die es zu dem Thema gab, von vorn bis hinten durchkämmt, und war dabei immer wieder auf Fußnoten gestoßen, die auf zurückgestufte FFI-Dokumente mit der Archivnummer 136 verwiesen. Sie wusste, welches Thema sich laut Archivschlüssel hinter dieser Nummer verbarg: Die Atombombe.

      11

      Hartmann saß in einer dicken Qualmwolke, die Beine auf dem Schreibtisch, einen Becher extrastarken Pulverkaffee lässig auf der Stuhllehne platziert, und war in einen acht Seiten langen Geheimbericht über muslimische Selbstmordaktionen vertieft. Eigentlich hatte er seit ein paar Jahren standhaft durchgehalten, so gut wie nicht mehr zu rauchen, aber an diesem Tag bewilligte er sich eine Stunde Tabakamnestie und hatte die gebogene Falcon-Pfeife angezündet, die für alle Fälle in seiner Schreibtischschublade bereitlag. Er dachte am klarsten in Rauchschwaden, behauptete er, und jetzt musste er alles an Konzentration mobilisieren, was es zu mobilisieren gab. Als ein Zugeständnis an das Rauchverbot hatte er das Fenster gekippt.

      Der chiffrierte Bericht war im Laufe der Nacht bei der Terrorabwehr eingetickert und kam von einem so genannten »kooperierenden Dienst«. Im PST-Jargon wurden damit die CIA, der britische Spionageabwehrdienst MI-6, der deutsche BND, die schwedische Säpo oder – wie in diesem Fall – der israelische Mossad bezeichnet. Dem Bericht zufolge gab es sichere Hinweise darauf, dass der World Islamic Jihad (WIJ), eine der fundamentalistischsten und antiwestlichsten muslimischen Terrorbewegungen, dabei war, in einem abgelegenen Gebirgspass in Usbekistan ein neues Hauptquartier einzurichten, nachdem die führende Gruppe mit dem berüchtigten Salem al-Salem an der Spitze ein halbes Jahr zuvor aus ihrem Versteck in den Bergen des Nachbarstaates Afghanistan vertrieben worden war. Damit war in den nächsten Monaten mit einem Rückgang der Selbstmordaktionen zu rechnen, da die Führungsspitze Zeit brauchte, sich zu installieren und ihre Tätigkeit in der neuen Umgebung zu organisieren. Aber die Erfahrungen aus früheren Umsiedelungsoperationen legten die reelle Befürchtung nahe, dass im Lauf der nächsten 4 bis 6 Monate mit einer massiven Eskalation der Terroranschläge zu rechnen war. »Nicht zuletzt, um die eigene Stellung und Autorität nach innen zu festigen, lässt die Führungsspitze in solchen Situationen eine Reihe blutiger Anschläge ausführen, die keinem anderen Zweck zu dienen scheinen, als die Organisation noch bekannter und gefürchteter zu machen«, hieß es in dem Bericht, der in der Schlussfolgerung mündete, dass die wahrscheinliche Zielgruppe für die voraussichtlich bevorstehende »Werbekampagne« amerikanische und britische Botschaften und Finanzinstitute in Nord-Afrika, dem Nahen Osten und Zentralasien waren. »Aber«, hieß es zum Schluss, »es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Organisation, um besondere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, versuchen wird, eine neue Schwelle zu überschreiten – entweder in Form bisher unbekannter Brutalität oder in Form neuer und Aufsehen erregender Terrorziele. Am 11. September 2001 wurde ein neuer Standard gesetzt, den alle Terroristenführer mit Ambition auf Osama bin Ladens Thron versuchen werden zu übertreffen. In diesem Zusammenhang scheint die Erwähnung angebracht, dass uns durch zuverlässige arabische Quellen hartnäckige Gerüchte über einen geplanten Anschlag auf die skandinavischen Länder zugetragen wurden. Schweden und Norwegen sind gefährdet, da sie seit Jahrzehnten eine aktive und in den Augen der Organisation extrem nachteilige Mittlerrolle im Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel spielen. Dänemark war aktiv am Krieg gegen den Irak beteiligt. Daher legen wir unseren skandinavischen Kooperationspartnern ans Herz, in den folgenden vier bis sechs Monaten dieser Bedrohung besonderes Augenmerk zu schenken.«

      Hartmann richtete sich langsam im Stuhl auf und tippte ein paar kurze Notizen in den PC ein. Er war ein mittelgroßer, vierschrötiger Mann Anfang fünfzig mit dunklen, kurz geschnittenen Haaren, die an den Schläfen allmählich grau wurden. Er trug ein blaues Jeanshemd und einen Kordanzug mit Lederflicken an den Ellbogen. So gekleidet, sah er den alten Linksradikalen zum Verwechseln ähnlich, auf deren Überwachung er in den 70er Jahren so viel Zeit und Energie investiert hatte. Fehlte nur das Halstuch. Ab und zu ertappte er sich sogar dabei, dass er sich das eine oder andere ihrer Art zu denken angeeignet hatte. Ihre Kritik am Westen war auf weiten Strecken berechtigt, musste er sich im Stillen eingestehen, wenn sie nur mit der Wahl der Alternativen nicht so verdammt danebenlägen. Aber dieses Zugeständnis hielt er sorgsam unter Verschluss und sprach mit niemandem darüber. Wenn er abends von der Arbeit nach Hause kam, schenkte er sich einen kräftigen Drink ein und versuchte, alle Spuren seiner verspäteten Abweichung nach links aus seinem Hirn zu spülen.

      Hartmann legte den Mossad-Bericht beiseite und warf einen Blick auf die Armbanduhr.

      Fünf vor neun.

      Das reichte, um die kurze Notiz auszudrucken, die er für die Morgensitzung bei der Terrorabwehr zusammengestellt hatte. Sein Vorgesetzter, Polizeihauptkommissar Ragnar Dahlbo, war vor ein paar Tagen in sein Büro gekommen und hatte ihn gebeten, einen Lagebericht für die heutige Sitzung vorzubereiten. Dahlbo, ein distinguiert aussehender Mann Anfang sechzig, war gerade von einer zweiwöchigen Dienstreise aus Washington zurück und wollte ganz offensichtlich kontrollieren, ob seine Mitarbeiter während seiner Abwesenheit nicht auf den Tischen getanzt hatten. Die Mitarbeiter respektierten und mochten ihn, aber er konnte grauenvoll launisch sein. Gerüchten zufolge hatte er Probleme mit der Magensäure und reagierte gereizt und mürrisch, sobald der Betriebsarzt ihm mal wieder vom Morgenkaffee und dem Whiskey Soda vorm Schlafengehen abgeraten hatte.

      Als