Das Ministerium für Sprichwörter. Otto Grünmandl

Читать онлайн.
Название Das Ministerium für Sprichwörter
Автор произведения Otto Grünmandl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783709939321



Скачать книгу

heraus und setzten ihr Spiel fort.

      „Türe schließen“, schrie es wieder von innen, und ein Chor nachäffender Stimmen: „Sitzung ist Sitzung“, und darauf ein Ausbruch wiehernden Lachens, das sich wie eine Flut glucksenden und sich in phantastischen Wellen selbst überschlagenden Wassers aus dem Extrazimmer in die Gaststube ergoß und die Gespräche an den einzelnen Tischen mit sich fortschwemmte, bis es in den Ritzen und Fugen der alten Holztäfelung versickerte.

      „Die Idioten“, sagte einer der Billardspieler, „man kann sich nicht einmal konzentrieren.“

      Der andere ging hin und schloß die Tür.

      „Noch einen Schnaps“, sagte Pizarrini zu dem gerade vorbeigehenden Kellner.

      „Den gleichen?“ fragte der zurück.

      „Den gleichen“, sagte Pizarrini.

      „Wir haben auch fünfzigprozentigen Kontiuszowska hier“, sagte der Kellner und machte eine Miene, als böte er Pizarrini die Möglichkeit eines ehrenhaften Ausweges an.

      Aber Pizarrini war nicht mehr nach einem Ausweg zumute, ihn gelüstete nach seinem Verderben. Das Angebot des Kellners ärgerte ihn.

      „Ich wünsche den siebzigprozentigen“, sagte er so laut und scharf, daß der vornehm aussehende, dunkelblau gekleidete Herr mit dem Faltengesicht auf dem Nebentisch erstaunt zu ihm herüberblickte und dann seinem Begleiter, dem kleinen Rotgesichtigen, ein paar Worte zuflüsterte, worauf der ebenfalls zu Pizarrini herüberschaute.

      Der Kellner hatte ein resignierendes „Bitte“ fallengelassen und war wieder weggegangen.

      Pizarrini fühlte sich von den beiden am Nebentisch beobachtet.

      Der Kellner brachte ihm das bestellte zweite Glas Schnaps.

      Was die zwei sich wohl von mir denken, fragte er sich. Die glauben vielleicht, ich sei ein Angeber, denen werde ich zeigen, wer ich bin.

      Er nahm das Schnapsglas in die Hand und trank es wiederum, wie das erste, in einem Zug aus. Es war ihm zu dumm, daß ihm gleich darauf wieder so heiß wurde, daß er genau spürte, wie sein Kopf abermals rot zu werden begann und es ihm wieder das Wasser in die Augen trieb. Er zog seine Brieftasche heraus, bückte sich darüber und tat, als suche er etwas darin. Als das Ärgste vorüber war, steckte er sie wieder ein und blickte mit einem etwas glasig gewordenen Blick auf die beiden Herren am Nebentisch. Wieder beugte sich der Dunkelblaue mit dem Faltengesicht zu dem schmierigen Kleinen hin und flüsterte ihm etwas zu. Der nickte, stand auf, ging zu Pizarrini hin, verneigte sich kurz und sagte: „Der Herr Präsident würde sich freuen, wenn Sie an seinem Tisch Platz nehmen wollten.“

      Pizarrini war verblüfft.

      Der Herr Präsident, dachte er, Präsident, und schielte zu dem Dunkelblauen hinüber.

      Das konnte er sich eigentlich gut vorstellen, daß das ein Präsident war, der schaute wahrhaftig wie ein Präsident aus. Er verneigte sich im Aufstehen und stotterte etwas verwirrt: „G-gerne.“

      Er ging mit dem kleinen Schmierigen zum Nebentisch hinüber und verbeugte sich tief vor dem Präsidenten.

      „Pizarrini.“

      Der Präsident gab ihm in überaus leutseliger Manier die Hand und sagte schlicht: „Schmidbruch.“

      Dann zeigte er auf den kleinen Schmierigen und sagte abermals in seiner schlichten, jovialen Art: „Darf ich Ihnen meinen Mitarbeiter, Herrn Ingenieur Isidor Podesta, vorstellen.“

      Der Mann hat Stil, dachte Pizarrini. Er verbeugte sich vor Podesta, gab ihm die Hand und sagte wiederum nichts als: „Pizarrini.“

      Sie nahmen Platz.

      Hm, dachte Pizarrini, er ist Präsident, ich darf mich nicht blamieren, ich muß jetzt etwas unternehmen. Er schaute sich um und sah den Kellner.

      „Herr Ober!“ rief er – und zu den beiden mit verbindlichem Lächeln: „Ich darf die Herren doch zu einem Schnäpschen einladen?“

      „So war das nicht gemeint, Herr Pizarrini“, entgegnete Schmidbruch würdevoll.

      „Aber, ich bitte Sie“, antwortete Pizarrini, er fühlte sich plötzlich ungeheuer sicher, „Sie wollen mich doch nicht kränken, indem Sie meine Einladung ablehnen?“

      Der Kellner stand bereits wartend da.

      „Herr Ober“, schnarrte Pizarrini, „drei große Kontiuszowska für Herrn Präsidenten Schmidbruch, Herrn Ingenieur Podesta und mich.“

      Es klang wie drei Fanfarenstöße. Der Kellner nahm die Order mit unbewegtem Gesicht an und ging.

      „Herr Ober!“ rief ihm Pizarrini nach. „Wir wünschen siebzigprozentigen!“ Einige Gäste blickten neugierig zu Pizarrini hin. Die sollen ruhig schauen, dachte er sich, ich werde ihnen zeigen, wer ich bin.

      Doch seine Selbstsicherheit währte nicht lange. Das Bewußtsein, mit einem richtigen Präsidenten an einem Tisch zu sitzen, begann ihn immer mehr aufzuregen. Er mußte hinausgehen. Unruhig rückte er hin und her.

      Schließlich hielt er es nicht mehr länger aus, stand auf und sagte: „Entschuldigen Sie mich, bitte, einen Moment.“

      Der Kellner ging ihm nach. Als sie allein waren, klopfte er ihm auf die Schulter und sagte mit besorgter Miene:

      „Herr Buchhalter …“

      „Ich heiße Pizarrini, nicht Buchhalter.“

      „Herr Pizarrini, ich möchte Sie warnen.“

      „So, vor was denn?“

      „Einmal vor dem Kontiuszowska und zum anderen vor den beiden Herren, die Sie an ihren Tisch gebeten haben.“

      „Wie meinen Sie das?“

      „Ich kenne die Herren nicht, aber ich glaube kaum, daß sie das sind, für das sie sich ausgeben.“

      „Sie wissen doch, daß ich die beiden Herren zu einem Schnaps eingeladen habe. Ich verbitte mir, daß Sie meine Gäste der Hochstapelei bezichtigen, Herr Ober!“

      „Das habe ich nicht getan!“

      „Das haben Sie getan!“

      „Das habe ich nicht getan!“

      „Das haben Sie getan! Was die beiden Herren sind, kann Ihnen egal sein.“

      „Ich meine es Ihnen doch nur gut, Herr Pizarrini.“

      „Das ist mir egal! Ich verbitte mir das! Das einzige, was Sie in diesem Zusammenhang kümmern kann, ist meine Brieftasche, und die ist voll! Ich zahle schon, keine Angst, Herr Ober, ich bleibe Ihnen nichts schuldig, hier, sehen Sie“, und er hielt dem Kellner seine volle Brieftasche hin.

      „Sie haben mich völlig mißverstanden“, sagte der Kellner mit großer Beherrschung, drehte sich würdevoll um und ging.

      „So ein unverschämter Mensch!“

      Pizarrini steckte seine Brieftasche wieder ein.

      Als er zurückkam, erzählte er den beiden Herren, was vorgefallen war.

      „Aber ich habe ihm meine Brieftasche gezeigt, da ist er wieder gegangen.“

      Er lachte und zeigte sie nun auch ihnen.

      „Die haben wir schon gesehen“, grinste Podesta.

      Schmidbruch stieß ihm mit dem Fuß an das Schienbein, daß er leise aufschrie.

      „Ist Ihnen nicht gut?“ fragte Pizarrini besorgt.

      „Doch, doch“, versicherte Podesta, „ich habe nur manchmal verschlagene Winde, die stechen so furchtbar.“

      „Sie haben meine Brieftasche schon gesehen?“

      Schmidbruch argwöhnte Argwohn.

      „Sie haben doch vorhin etwas darin gesucht“, gab er leichthin zurück.

      „Ja,