hat begangen/ | An dem August gebohrn; so wird mit Spiel und Pracht | Auch der Entleibten Leib in sein Begräbnüs bracht/ | … Der blinde Simson bringt sich spielend in das Grab; | Und unsre kurtze Zeit ist nichts als ein Getichte. | Ein Spiel/ in dem bald der tritt auf/ bald jener ab; | Mit Thränen fängt es an/ mit Weinen wirds zu nichte. | Ja nach dem Tode pflegt mit uns die Zeit zu spieln/ | Wenn Fäule/ Mad’ und Wurm in unsern Leichen wühln.«
406 Gerade im monströsen Verlauf der »Sophonisbe« ist die spätere Entwicklung des Spielhaften wie es durch das hochbedeutende Medium des Puppentheaters ins Groteske einerseits, ins Subtile auf der anderen Seite eingeht, vorgebildet. Die abenteuerlichen Wendungen sind dem Dichter bewußt: »Die für den Ehmann itzt aus Liebe sterben wil, | Hat in zwey Stunden sein’ und ihrer Hold vergessen. | Und Masinissens Brunst ist nur ein Gaukelspiel, | Wenn er der, die er früh für Liebe meint zu fressen, | Den Abend tödlich Gift als ein Geschencke schickt, | Und, der erst Buhler war, als Hencker sie erdrückt. | So spielet die Begierd und Ehrgeitz in der Welt!«
407 Unter solchem Spiel braucht nicht ein zufälliges, es darf ebensowohl ein berechnendes und planmäßiges und somit eins von Puppen gedacht werden, die Ehrgeiz und Begierde an ihrem Faden halten. Unbestreitbar allerdings bleibt, daß im XVII. Jahrhundert das deutsche Drama noch nicht zur Entfaltung jenes kanonischen Kunstmittels gekommen ist, kraft dessen das romantische Drama von Calderon bis Tieck immer von neuem zu umrahmen und zu verkleinern verstand: der Reflexion. Kommt die doch nicht allein in der romantischen Komödie als eines ihrer vornehmsten Kunstmittel zur Geltung, sondern ebenso in ihrer sogenannten Tragödie, dem Schicksalsdrama. Dem Drama Calderons vollends ist sie, was der gleichzeitigen Architektur die Volute. Ins Unendliche wiederholt sie sich selbst und ins Unabsehbare verkleinert sie den Kreis, den sie umschließt. Gleich wesentlich sind diese beiden Seiten der Reflexion: die spielhafte Reduzierung des Wirklichen wie die Einführung einer reflexiven Unendlichkeit des Denkens in die geschloßne Endlichkeit eines profanen Schicksalsraums. Denn die Welt der Schicksalsdramen – soviel sei hier vorgreifend bemerkt – ist eine in sich geschlossene. Sie war es zumal bei Calderon, in dessen Herodesdrama »Eifersucht das größte Scheusal« man das früheste Schicksalsdrama der Weltliteratur hat sehen wollen. Es war die sublunarische Welt im strengen Sinne, eine Welt der elenden oder prangenden Kreatur, an der ad maiorem dei gloriam und zur Augenweide der Beschauer die Regel des Schicksals planvoll und überraschend zugleich sich bestätigen sollte. Nicht umsonst hat ein Mann wie Zacharias Werner, ehe er in die katholische Kirche flüchtete, sich am Schicksalsdrama versucht. Dessen nur scheinbar heidnische Weltlichkeit ist in Wahrheit das profane Komplement des kirchlichen Mysteriendramas. Was aber auch die theoretisch gerichteten Romantiker so magisch an Calderon fesselte, daß man ihn trotz Shakespeare vielleicht ihren Dramatiker κατ’ ἐξοχήν nennen darf, das ist die beispiellose Virtuosität der Reflexion, die seine Helden jederzeit bei der Hand haben, um in ihr die Schicksalsordnung wie einen Ball in Händen zu wenden, der bald von dieser, bald von jener Seite zu betrachten ist. Was anders haben die Romantiker zuletzt ersehnt, als das in den goldenen Ketten der Autorität verantwortungslos reflektierende Genie? Doch gerade diese beispiellose spanische Vollendung, die, so hoch sie künstlerisch steht, rechnerisch immer noch um eine Stufe höher zu stehen scheint, läßt die Statur des Barockdramas, die aus der Einfriedung der reinen Dichtung sich erhebt, vielleicht in mancher Hinsicht weniger klar hervortreten als das deutsche Drama, in welchem eine Grenznatur viel weniger in dem Primate des Artistischen verhüllt als in demjenigen des Moralischen verraten wird. Der Moralismus des Luthertums, immer bestrebt, wie so nachdrücklich seine Berufsethik es bekundet, die Transzendenz des Glaubenslebens an die Immanenz des täglichen zu binden, hat niemals die entschiedene Konfrontation der menschlich-irdischen Verlegenheit mit fürstlich-hierarchischer Potenz, auf der die Auflösung so vieler Calderonscher Dramen ruht, erlaubt. Der Schluß der deutschen Trauerspiele ist daher wie minder formvoll so auch weniger dogmatisch, er ist – moralisch, sicherlich nicht künstlerisch – verantwortlicher als der spanische. Demungeachtet ist es anders gar nicht denkbar, als daß die Untersuchung mannigfach Zusammenhänge trifft, die für die gehaltvolle und gleich verschlossene Form des Calderon belangvoll sind. Je weniger im folgenden der Ort sich für Exkurse und Verweise bietet, um so entschiedner hat die Untersuchung die grundsätzliche Relation zum Trauerspiel des Spaniers klarzustellen, dem das gleichzeitige Deutschland nichts an die Seite zu setzen hat.
Die Ebene des Schöpfungsstands, der Boden, auf dem das Trauerspiel sich abrollt, bestimmt ganz unverkennbar auch den Souverän. So hoch er über Untertan und Staat auch thront, sein Rang ist in der Schöpfungswelt beschlossen, er ist der Herr der Kreaturen, aber er bleibt Kreatur. Und gerade dies an Calderon zu exemplifizieren sei gestattet. Spricht doch nichts weniger als eine spezifisch spanische Meinung aus den folgenden Worten des standhaften Prinzen Don Fernando. Sie führen das Motiv des Königsnamens in der Schöpfung durch. »Selbst beym Vieh und wilden Thieren | Steht auf solcher würd’gen Stufe | Dieser Name, daß das Recht | Der Natur ihm heißet huld’gen | Mit Gehorsam: wie wir lesen, | Daß der Löw’, in ungebundnen | Staaten des Gewildes König, | Der, wann er die Stirne runzelt, | Sie mit straub’gem Haarwuchs krönet, | Milde sey, und nie verschlungen | Hab’ als Raub den Unterwürf’gen. | In dem salz’gen Schaum der Fluthen | Mahlen dem Delphin, der König | Unter Fischen ist, die Schuppen, |Die er silbern träg und golden, | Auf die dunkelblauen Schultern | Kronen, und man sah wohl schon | Aus der wüsten Wuth des Sturmes | Ihn ans Land die Menschen retten, | Daß sie nicht im Meer verversunken … | Ist nun unter Thieren, Fischen, | Vögeln, Pflanzen, Steinen, kundig | Solche Königs-Majestät | Des Erbarmens: billig muß es | Auch bey Menschen gelten, Herr.«408 – Der Versuch, dem Königtum im Schöpfungsstande seinen Ursprung anzuweisen, begegnet selbst in der juristischen Theorie. So drangen die Gegner des Tyrannenmordes darauf, als »parricidi« Königsmörder in Verruf zu bringen. Claudius Salmasius, Robert Silmer und manche anderen leiteten »die Machtstellung des Königs von der Weltherrschaft ab, welche Adam als Herr der ganzen Schöpfung erhielt, die sich auf bestimmte Familienhäupter vererbte, um schließlich in einer Familie, wenn auch in begrenztem Umfange, erblich zu werden. Ein Königsmord ist daher so viel wie ein Vatermord.«409 Der Adel sogar konnte so sehr als Naturphänomen erscheinen, daß Hallmann in den »Leichreden« dem Tod mit der Klage: »Ach daß du auch vor privilegirte Personen keine eröffnete Augen noch Ohren hast!«410 begegnen darf. Der schlichte Untertan, der Mensch, ist denn ganz folgerecht Tier: »das göttliche Thier«, »das kluge Thier«,411, »ein fürwitzig und kitzliches Thier«.412 So die Wendungen bei Opitz, Tscherning und Buchner. Und andererseits Butschky: »Was ist … ein Tugendhafter Monarch anders/ als ein Himmlisches Thier.«413 Dazu die schönen Verse bei Gryphius: »Ihr, die des höchsten bild verlohren, | Schaut auf das bild, das euch gebohren! | Fragt nicht, warum es in dem stall einzieh! | Er sucht uns, die mehr viehisch als ein vieh.«414 Dies letzte weisen die Despoten in ihrem Wahnsinn. Wenn den Antiochus des Hallmann jähes Grauen, das ihm der Anblick eines Fischkopfes bei der Tafel weckt, in Wahnsinn stürzt,415 Hunold seinen Nebucadnezar in Tiergestalt vorführt – der Schauplatz präsentiert »eine wüste Einöde. Nebucadnezar an Ketten mit Adlers Federn und Klauen bewachsen unter vielen wilden Thieren … Er geberdet sich seltsam … Er brummet und stellt sich übel«416 – so ist es in der Überzeugung, daß im Herrscher, der hocherhabenen Kreatur, das Tier mit ungeahnten Kräften aufstehen kann.
Auf solchem Grunde hat das spanische Theater ein eigenes bedeutendes Motiv entwickelt, das wie kein anderes gestattet, den beschränkten Ernst des deutschen Trauerspiels als nationell bedingten zu erkennen. Die beherrschende Rolle der Ehre in den Verwicklungen der comedia de capa y espada wie auch im Trauerspiele aus dem kreatürlichen Stande der dramatischen Person hervorgehen zu sehn, kann überraschen. Und doch ist es nicht anders. Die Ehre ist, wie Hegel definiert, »das schlechthin verletzliche«.417 »Die persönliche Selbständigkeit, für welche die Ehre kämpft, zeigt sich nicht als die Tapferkeit für ein Gemeinwesen, und für den Ruf der Rechtschaffenheit in demselben oder der Rechtlichkeit im Kreise des privaten Lebens; sie streitet im Gegenteil nur für die Anerkennung und die abstrakte Unverletzlichkeit des einzelnen Subjekts.«418 Diese abstrakte Unverletzlichkeit ist aber doch nur die allerstrengste Unverletzlichkeit der physischen Person, in welcher als der Unbescholtenheit von Fleisch und Blut auch die abgezogensten Forderungen des Ehrenkodex ihren Urgrund haben. Daher denn die Ehre durch die Schande eines Verwandten nicht weniger als durch die Schmach betroffen wird, die dem eigenen Leibe