– ab. Der Veranstalter seiner Verwicklung, der Vorläufer des Ballettmeisters, ist der Intrigant. Als dritter Typus tritt er neben den Despoten und den Märtyrer.
448 Seine verworfnen Berechnungen erfüllen den Betrachter der Haupt- und Staatsaktionen mit um so größerem Interesse, als er in ihnen nicht allein die Beherrschung des politischen Getriebes, sondern ein anthropologisches, selbst physiologisches Wissen erkennt, das ihn passionierte. Der überlegne Intrigant ist ganz Verstand und Wille. Darin entspricht er einem Ideal, das Machiavelli zum ersten Mal gezeichnet hatte und das in der dichterischen und theoretischen Literatur des XVII. Jahrhunderts energisch ausgebildet wurde, ehe es zu der Schablone herabsank, als die der Intrigant der wiener Parodien oder der bürgerlichen Trauerspiele auftritt. »Machiavelli hat das politische Denken auf seine anthropologischen Prinzipien gegründet. Die Gleichförmigkeit der Menschennatur, die Macht der Animalität und der Affekte, vor allem der Liebe und der Furcht, ihre Grenzenlosigkeit – dies sind die Einsichten, auf welche jedes folgerichtige politische Denken und Handeln und die politische Wissenschaft selbst gegründet werden muß. Die mit Tatsachen rechnende positive Phantasie des Staatsmannes hat in diesen Erkenntnissen, die den Menschen als eine Naturkraft begreifen und Affekte dadurch überwinden lehren, daß sie andere Affekte ins Spiel bringen, ihre Grundlage.«
449 Die menschlichen Affekte als berechenbares Triebwerk der Kreatur – das ist im Inventar der Kenntnisse, welche die weltgeschichtliche Dynamik in staatspolitische Aktion umzuprägen hatten, das letzte Stück. Es ist zugleich der Ursprung einer Metaphorik, die in dichterischer Sprache dieses Wissen so wach zu halten sich bemühte wie Sarpi oder Guicciardini unter den Historikern es taten. Diese Metaphorik macht nicht halt im Politischen. Neben eine Wendung wie: »In der Uhr der Herrschaft sind die Räthe wohl die Räder/ der Fürst aber muß nichts minder der Weiser und das Gewichte … seyn«
450 darf man die Worte des »Lebens« aus dem zweiten Reyen der »Mariamne« stellen: »Mein güldnes Licht hat Gott selbst angezündet/ | Als Adams Leib ein gangbar Uhrwerk ward.«
451 Ebendort: »Mein klopffend Hertz’ entflammt/ weil mir das treue Blut | Ob angebohrner Brunst an alle Adern schläget/ | Und einem Uhrwerck gleich sich durch den Leib beweget.«
452 Und von der Agrippina wird gesagt: »Nun liegt das stoltze Thier, das aufgeblasne Weib | Die in Gedancken stand: Ihr Uhrwerck des Gehirnes | Sey mächtig umbzudrehn den Umkreiß des Gestirnes.«
453 Kein Zufall, daß die Uhr diese Redewendungen mit ihrem Bilde beherrscht. In dem berühmten Uhrengleichnis des Geulincx, das den psychophysischen Parallelismus nach Art des Ganges zweier fehlerloser und gleichgestellter Uhren schematisiert, gibt der Sekundenanzeiger sozusagen den Takt für das Geschehn in beiden Welten an. Auf lange hinaus – noch in den Texten der Bachschen Kantaten bemerkbar – scheint das Zeitalter von dieser Vorstellung fasziniert. Das Bild der Zeigerbewegung ist, wie Bergson erwiesen hat, für die Darstellung der qualitätslosen wiederholbaren Zeit der mathematischen Naturwissenschaft unersetzlich.
454 In ihr spielt nicht allein das organische Leben des Menschen sondern auch das Treiben des Höflings und das Handeln des Souveräns sich ab, der nach dem okkasionalistischen Bilde des waltenden Gottes jederzeit unmittelbar ins Staatsgetriebe eingreift, um die Daten des historischen Verlaufs in einer gleichsam räumlich auszumessenden, regelrechten und harmonischen Abfolge anzuordnen. »Le Prince développe toutes les virtualités de l’Etat par une sorte de création continue. Le prince est le Dieu cartésien transposé dans le monde politique.«
455 Im Ablauf des politischen Geschehens schlägt die Intrige den Sekundentakt, der es bannt und fixiert. – Die illusionslose Einsicht des Höflings ist ihm selbst ebenso tiefe Quelle der Trübsal als sie durch den Gebrauch, den er von ihr jederzeit zu machen imstande ist, für andere gefährlich werden kann. In diesem Zeichen nimmt das Bild dieser Figur seine düstersten Züge an. Wer das Leben des Höflings durchschaut, der erkennt erst durchaus, warum der Hof die unvergleichliche Szenerie des Trauerspieles ist. Der »Cortegiano« des Antonio de Guevara hat die Bemerkung, »Kain sei der erste Hofmann gewesen, weil er durch Gottes Fluch keine eigene Heimstätte«
456 gehabt hätte. Im Sinn des spanischen Autors ist dies gewiß nicht der einzige kainitische Zug des Höflings; der Fluch, mit welchem Gott den Mörder schlug, ruht oft genug auch auf ihm. Während aber im spanischen Drama der Glanz des Herrschertums immerhin das erste Kennzeichen des Hofstaates war, so ist das deutsche Trauerspiel ganz auf den düstern Ton der Intrige gestimmt. »Was ist der hof nunmehr als eine mördergruben, Als ein verräther-platz, ein wohnhauß schlimmer buben?«
457 klagt im »Leo Armenius« der Michael Balbus. Lohenstein stellt in der Widmung des »Ibrahim Bassa« den Intriganten Rusthan gewissermaßen als Exponent des Schauplatzes dar und nennt ihn »einen Ehr-vergessenden Hof-Heuchler und Mord-stifftenden Ohrenbläser«.
458 In solchen und ähnlichen Beschreibungen wird der an Macht, Wissen und Wollen ins Dämonische gesteigerte Hofbeamte, der Geheim-Rat vorgeführt, dem der Zutritt in das Kabinett des Fürsten, wo Anschläge der hohen Politik entworfen werden, offen steht. Darauf ist angespielt, wenn Hallmann in einer eleganten Wendung der »Leichreden« bemerkt: »Allein mir/ als einem Politico, wil nicht anstehen/ das geheime Cabinet der Himmlischen Weißheit zu beschreiten.«
459 Das Drama der deutschen Protestanten betont die infernalischen Züge dieses Rates; im katholischen Spanien dagegen tritt er mit der Würde des sosiego auf, »der katholisches Ethos mit antiker Ataraxie in einem Ideal des kirchlichen und weltlichen Höflings verquickt«.
460. Und zwar ist es die unvergleichliche Zweideutigkeit seiner geistigen Souveränität, in welcher die durchaus barocke Dialektik seiner Stellung gründet. Geist – so lautet die These des Jahrhunderts – weist sich aus in Macht; Geist ist das Vermögen, Diktatur auszuüben. Dieses Vermögen erfordert ebenso strenge Disziplin im Innern wie skrupelloseste Aktion nach außen. Seine Praxis führte über den Weltlauf eine Ernüchterung mit sich, deren Kälte nur mit der hitzigen Sucht des Machtwillens an Intensität sich vergleichen läßt. Die derart errechnete Vollkommenheit weltmännischen Verhaltens weckt in der aller naiven Regungen entkleideten Kreatur die Trauer. Und diese seine Stimmung erlaubt es, an den Höfling die paradoxe Forderung zu stellen oder gar es von ihm auszusagen, daß er ein Heiliger sei, wie Gracian dies tut.
461 Die schlechthin uneigentliche Einlösung der Heiligkeit in der Stimmung der Trauer gibt dann den schrankenlosen Kompromiß mit der Welt frei, der den idealen Hofmann des spanischen Autors kennzeichnet. Die schwindelnde Tiefe dieser Antithetik in einer Person zu ermessen, konnten die deutschen Dramatiker nicht wagen. Vom Höfling kennen sie die beiden Gesichter: den Intriganten als den bösen Geist ihres Despoten und den treuen Diener als den Leidensgenossen der gekrönten Unschuld.
Unter allen Umständen mußte der Intrigant eine beherrschende Stelle in der Ökonomie des Dramas einnehmen. Denn die Kenntnis des Seelenlebens, in dessen Beobachtung er allen andern es zuvortut, mitzuteilen, war nach der Theorie des Scaliger, die hier mit dem Interesse des Barock sich wohl vertrug und hierin Geltung behauptete, der eigentliche Zweck des Dramas. Der moralischen Absicht der Renaissancepoeten trat im Bewußtsein der neuen Generationen die wissenschaftliche zur Seite. »Docet affectus poeta per actiones, vt bonos amplectamur, atque imitemur ad agendum: malos aspernemur ob abstinendum. Est igitur actio docendi modus: affectus, quem docemur ad agendum. Quare erit actio quasi exemplar, aut instrumentum in fabula, affectus vero finis. At in ciue actio erit finis, affectus erit eius forma.«462 Dieses Schema, in welchem Scaliger die Darstellung der Handlung als des Mittels derjenigen der Affekte als des Zieles der dramatischen Veranstaltung untergeordnet zu wissen wünscht, kann in gewisser Hinsicht einen Maßstab zur Feststellung barocker Elemente im Gegensatz zu denen einer früheren Dichtungsweise geben. Für die Entwicklung im XVII. Jahrhundert nämlich ist es kennzeichnend, daß die Darstellung der Affekte immer nachdrücklicher, die konturierte Ausprägung der Handlung aber, wie sie im Renaissancedrama nirgends fehlt, immer unsicherer wird. Das Tempo des Affektlebens beschleunigt sich dermaßen, daß ruhige Aktionen, gereifte Entscheidungen seltner und seltner begegnen. Empfindung und Wille liegen nicht nur in der plastischen Erscheinung der barocken Menschennorm im Streite – wie Riegl das so schön am Zwiespalt zwischen Haupt- und Körperhaltung bei dem Giuliano und der Nacht der Mediceergräber zeigt463] – sondern auch in ihrer dramatischen. Auffallend ist’s zumal bei dem Tyrannen. Sein Wille wird im Verlauf der Entwicklung von der Empfindung mehr und mehr gebrochen: zuletzt tritt der Wahnsinn ein. Wie sehr über der Vorführung der Affekte die Handlung, die ihre Grundlage sein soll, zurücktreten konnte, erweisen Lohensteins Trauerspiele, wo in einem didaktischen Furor die Leidenschaften in wilder Jagd einander ablösen. Dies wirft ein Licht auf die Beharrlichkeit, mit der die Trauerspiele des XVII. Jahrhunderts in einen