ist die des Usurpators von jeher besonders kontrovers erörtert worden. Die Kirche hatte ihn preisgegeben, darüber jedoch, ob von dem Volke oder vielmehr vom Gegenkönig oder auch einzig von der Kurie das Signal, ihn zu beseitigen, gegeben werden könne, ging die Debatte. Die kirchliche Stellungnahme hatte ihre Aktualität nicht verloren; gerade in einem Jahrhundert der Religionskämpfe hielt der Klerus an einer Lehre fest, welche Waffen gegen feindliche Fürsten ihm in die Hand gab. Deren theokratischen Anspruch verwarf der Protestantismus; in der Ermordung Heinrichs IV. von Frankreich stellte er die Folgen dieser Lehre an den Pranger. Und mit dem Erscheinen der galikanischen Artikel im Jahre 1682 fiel die letzte Position der theokratischen Staatslehre; die absolute Unverletzlichkeit des Souveräns war vor der Kurie durchgefochten worden. Diese extreme Lehre von der fürstlichen Gewalt ist in ihren – trotz der Gruppierung der Parteien gegenreformatorischen – Ursprüngen geistvoller und tiefer gewesen als ihre neuzeitliche Umbildung. Wenn der moderne Souveränitätsbegriff auf eine höchste, fürstliche Exekutivgewalt hinausläuft, entwickelt der barocke sich aus einer Diskussion des Ausnahmezustandes und macht zur wichtigsten Funktion des Fürsten, den auszuschließen.
364 Wer herrscht ist schon im vorhinein dafür bestimmt, Inhaber diktatorischer Gewalt im Ausnahmezustand zu sein, wenn Krieg, Revolte oder andere Katastrophen ihn heraufführen. Diese Setzung ist gegenreformatorisch. Aus dem reichen Lebensgefühl der Renaissance emanzipiert sich ihr Weltlich-Despotisches, um das Ideal einer völligen Stabilisierung, einer ebensosehr kirchlichen als staatlichen Restauration in allen Konsequenzen zu entfalten. Und ihrer eine ist die Forderung eines Fürstentums, dessen staatsrechtliche Stellung die Kontinuität jenes in Waffen und Wissenschaften, Künsten und Kirchentum blühenden Gemeinwesens verbürgt. In der theologisch-juristischen Denkweise, die so kennzeichnend für das Jahrhundert ist,
365 spricht die verzögernde Überspannung der Transzendenz, die all den provokatorischen Diesseitsakzenten des Barock zugrunde liegt. Denn antithetisch zum Geschichtsideal der Restauration steht vor ihm die Idee der Katastrophe. Und auf diese Antithetik ist die Theorie des Ausnahmezustands gemünzt. So wird denn nicht nur auf die größere Stabilität politischer Verhältnisse im XVIII. Jahrhundert zu verweisen sein, will man erklären, wie »das lebhafte Bewußtsein von der Bedeutung des Ausnahmefalles, das im Naturrecht des 17. Jahrhunderts herrscht«
366 im folgenden verlorengeht. Wenn nämlich »für Kant … das Notrecht überhaupt kein Recht mehr«
367 war, so hängt das mit seinem theologischen Rationalismus zusammen. Der religiöse Mensch des Barock hält an der Welt so fest, weil er mit ihr sich einem Katarakt entgegentreiben fühlt. Es gibt keine barocke Eschatologie; und eben darum einen Mechanismus, der alles Erdgeborne häuft und exaltiert, bevor es sich dem Ende überliefert. Das Jenseits wird entleert von alledem, worin auch nur der leiseste Atem von Welt webt und eine Fülle von Dingen, welche jeder Gestaltung sich zu entziehen pflegten, gewinnt das Barock ihm ab und fördert sie auf seinem Höhepunkt in drastischer Gestalt zu Tag, um einen letzten Himmel zu räumen und als Vakuum ihn in den Stand zu setzen, mit katastrophaler Gewalt dereinst die Erde in sich zu vernichten. Denselben Sachverhalt, nur transponiert, berührt die Einsicht, der barocke Naturalismus sei »die Kunst der geringsten Abstände … In jedem Fall dient das naturalistische Mittel zur Verkürzung der Distanzen … Um desto sicherer in die Überhobenheit der Form und in die Vorhöfe des Metaphysischen zurückzuschnellen, sucht es den Kontrapost im Bezirk der lebhaftesten gegenständlichen Aktualität.«
368 Die exaltierten Formen des barocken Byzantinismus verleugnen denn auch nicht die Spannung zwischen Welt und Transzendenz. Sie klingen unruhig und der saturierte Emanatismus ist ihnen fremd. Die Vorrede der »Heldenbriefe« sagt: »Wie ich denn der tröstlichen Zuversicht lebe/ es werde meine Kühnheit/ daß ich etlicher erlauchten Häuser/ die ich unterthänigst ehre/ auch dafern es nicht wieder Gott were/ anzubeten bereit bin, längstverrauchte Liebes Regungen zuerfrischen mich unterstanden/ nicht allzufeindseelig angesehen werden.«
369 Unübertrefflich Birken: je höher die Personen stehen, desto besser macht sich ihr Lob, »als welches fürnemlich Gott und frommen ErdGöttern gebühret«.
370 Ist das nicht ein kleinbürgerliches Widerspiel zu Rubens Herrscheraufzügen? »Der Fürst erscheint in ihnen nicht nur als der Held eines antiken Triumphes, sondern wird zugleich mit göttlichen Wesen in unmittelbare Verbindung gebracht, von ihnen bedient und von ihnen gefeiert: so wird ihm selbst eine Vergottung zuteil. Irdische und himmlische Gestalten spielen in seinem Gefolge durcheinander und ordnen sich derselben Idee der Glorifikation unter.« Aber diese bleibt heidnisch. Monarch und Märtyrer entgehen nicht im Trauerspiel der Immanenz. – Zur theologischen Hyperbel tritt eine sehr beliebte kosmologische Argumentation. In unzähligen Wiederholungen durchzieht der Vergleich des Fürsten mit der Sonne die Literatur der Epoche. Dabei ist es zumal auf die Einzigkeit dieser entscheidenden Instanz abgesehen. »Wer iemand auf den thron | An seine seiten setzt, ist würdig, daß man cron | Und purpur ihm entzieh. Ein fürst und eine sonnen | Sind vor die welt und reich.«
371 »Der Himmel kan nur eine Sonne leiden/ | Zwey können nicht im Thron’ und Eh-Bett weiden«
372 spricht die »Ehrsucht« in Hallmanns »Mariamne«. Wie leicht die weitere Ausdeutung dieser Metaphorik aus der juristischen Fixierung der Herrscherstellung im Innern zum überschwänglichen Ideal der Weltherrschaft, das der barocken theokratischen Passion so sehr entsprach wie unvereinbar war mit seiner staatspolitischen Vernunft, überging, lehrte eine sehr merkwürdige Ausführung in Saavedra Fajardos »Abris Eines Christlich-Politischen Printzens/ In CI Sinn-Bildern«. Zu einem allegorischen Kupfer, der eine Sonnenfinsternis mit der Inschrift »Praesentia nocet« (sc. lunae) darstellt, wird erklärt, daß Fürsten ihre gegenseitige Nähe meiden müssen. »Die Fürsten die erhalten vntereinander gute freundtschafft/ vermittelst deroselbigen bedienten vnd brieffen; wo sie sich aber wollen wegen einiger Sachen selbsten vnter einander bereden/ alsobaldt entstehen nur auß dem angesicht allerhand verdacht vnd wiederwillen/ dan es findet einer in dem anderen das jenige nit/ was er ihm eingebildet/ auch niemandt auß ihnen ermist sich selbsten/ weil gemeiniglich keiner auß ihnen nit ist/ welcher nit mehr/ als ihm von rechts wegen zukombt/ seyn will. Die Fürstliche zusammenkunfft vnd gegenwart ist ein immerwehrender krieg/ in welchem man nur vmb die gepreng streitet/ vnd wil ein jeder den Vorzug haben/ vnd streitet mit dem anderen vmb den Sieg.«
373
Mit Vorliebe wandte man sich der Geschichte des Ostens zu, wo das absolute Kaisertum in einer dem Abendlande unbekannten Machtentfaltung begegnete. So greift in »Catharina« Gryphius auf den Schah von Persien und Lohenstein im ersten und im letzten seiner Dramen aufs Sultanat zurück. Die Hauptrolle aber spielt das theokratisch fundierte Kaisertum von Byzanz. Damals begann »die systematische Aufdeckung und Erforschung der byzantinischen Literatur … mit den großen Ausgaben der byzantinischen Historiker, die … unter den Auspizien Ludwigs XIV durch gelehrte Franzosen wie Du Cange, Combefis, Maltrait u. a. veranstaltet wurden«374 Diese Historiker, Cedrenus und Zonaras vor allem, wurden viel gelesen und vielleicht nicht nur um der blutigen Berichte willen, die sie von den Schicksalen des oströmischen Kaisertums gaben, sondern auch aus Anteil an den exotischen Bildern. Die Wirkung dieser Quellen hat sich im Laufe des XVII. Jahrhunderts und bis ins XVIII. hinein gesteigert. Denn je mehr gegen den Ausgang des Barock der Tyrann des Trauerspiels zu jener Charge wurde, die ein nicht unrühmliches Ende in Stranitzkys wiener Possentheater fand, desto brauchbarer erwiesen sich die von Untaten strotzenden Chroniken Ostroms. Da heißt es denn: »Man hänge brenne, man rädere, es trieffe in bluth und ersauffe im Styx wer Uns beleidiget, (wirfft alles über ein hauffen und geht zornig ab).«375 Oder: »Es blühe die gerechtigkeit, es hersche die grausambkeit, es triumphire Mord und tyranney, damit Wenceslaus auf bluthschaumenden leichen statt der stuffen auf seinen Sieghafften thron steigen könne.«376 Dem nordischen Beschluß der Haupt- und Staatsaktionen in der Oper entspricht dies wienerische Ende in der Parodie. »Eine neue Tragoedie, Betitult: Bernardon Die Getreue Prinzeßin Pumphia, Und Hanns-Wurst Der tyrannische Tartar-Kulikan, Eine Parodie in lächerlichen Versen«377 führt mit der Person des hasenfüßigen Tyrannen und der in die Ehe sich rettenden Keuschheit die Motive des großen Trauerspiels ad absurdum. Noch sie vertrüge fast als Motto eine Stelle des Gracian, aus der erhellt, wie peinlich an Schablone und Extrem die Fürstenrolle in den Trauerspielen sich zu binden hat. »Könige mißt man nach keinem Mittelmaße. Man rechnet sie entweder unter die gar guten/ oder unter die gar bösen.«378
Den ›gar bösen‹ gilt das Tyrannendrama und die Furcht, den ›gar guten‹ das Märtyrerdrama und das Mitleid. Diese Formen wahren ihr kurioses Nebeneinander nur so lange, als die