Die Familie Lüderitz. Paul Enck

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Название Die Familie Lüderitz
Автор произведения Paul Enck
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783873222984



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Eine etwa 80 Jahre alte, sehr gepflegt aussehende Dame, die sich als Renate Ehrlich, Tochter der Maria Lüderitz vorstellt, und die in dem Haus unter dem Namen Ehrlich/Zander wohnt. Ich war sprachlos.“

      Wir haben seitdem Renate Ehrlich mehrfach interviewt und viele bis dahin unbekannte Informationen erhalten. Aber vor allem haben wir Bilder – sowohl Fotos als auch Gemälde – entdeckt: ein Bildnis einer ca. 35-jährigen Frau und das Genrebild einer jungen Frau und eines jungen Mannes beim Schachspiel (–> Bild 2-6; Bild 2-5).

      Eines der Bilder ist signiert und datiert (8. Oktober 1892), und es sei, erklärte Renate Ehrlich, ein Selbstbildnis der Malerin: Elisabeth Poppe-Lüderitz. Auffällig sind große weiße Flecken auf der Haut, wobei es sich nicht um Farbeffekte auf dem Ölbild, sondern um die Weißfleckenkrankheit (Vitiligo, Scheckhaut) – eine Pigmentstörung aufgrund einer immunologischen Fehlfunktion – handelt.

      Dass diese Krankheit nicht ansteckend ist, wusste man mit Sicherheit noch nicht im Jahre 1880 (8). Es erklärt womöglich den vollständigen Rückzug der Malerin aus der Öffentlichkeit und auch den Kommentar zu ihrem 1892 gezeigten Selbstbildnis auf der 63. Ausstellung der Akademie: „... und ihrem mit Holbeinscher Delikatesse und Wahrheitsliebe durchgeführten Selbstbildnis ...“ (9).

      2_8Bild 2-7: Portrait vermutlich von Hermann oder Carl Lüderitz, gemalt von Elisabeth Lüderitz, undatiert

      Neueste Entdeckungen und Erkenntnisse

       Juni 2019 Ein weiterer Dachboden – bei Matthias Lüderitz, einem Urgroßneffen der Malerin – brachte zwei weitere Bilder zutage, darunter das bislang schönste Werk. Es zeigt, signiert und datiert auf 1888, Carls Mutter Lucie mit ihren vier Kindern Albert, Carl, Elisabeth und Hermann (–> Titelbild) beim Familienrat. Das andere Bild ist das Portrait eines jungen Mannes, der sowohl Carl als auch sein jüngerer Bruder Hermann sein könnte. Es ist signiert mit „E. Lüderitz“, daher vor 1891 entstanden (–> Bild 2-7). Die drei Autoren können sich nicht einigen, wen der beiden Brüder das Bild darstellt und schwanken zwischen Wissenschaftlichkeit, Ehrlichkeit und Wunschdenken: „Es müsste Carl sein, dann hätten wir endlich das Bild, das wir seit Langem suchen.“ Ein Argument für Carl: Der Abgebildete trägt eine Uhrkette, und eine Uhr mit Kette hatte Carl in seinem Testament seinem Neffen vermacht; Hermann, geboren 1864, war dafür vielleicht noch zu jung. Aber auch Experten des Bayerischen Landeskriminalamtes konnten beim Vergleich des Familienbildes und des Porträts kein eindeutiges Urteil abgeben.

       Januar 2020 Ein weiterer Besuch bei Renate Ehrlich zaubert ein Foto von 1909 hervor (–> Bild 2-8), das die 51-jährige Elisabeth zeigt, jedoch ohne einen Hinweis auf die Weißfleckenkrankheit. Da digitale Bildbearbeitung zu jener Zeit noch kein Thema war, war hier entweder Retusche oder Kosmetik am Werk. Das Retuschieren war bereits 1855 erfunden worden. Und auf die Frage, ob es vor 100 Jahren schon Kosmetik gegeben habe, ist die Antwort vom Historiker: „Kosmetik hatten die Frauen schon erfunden, als die Männer noch über die Erfindung des Rads nachdachten.“

       August 2020 Auf einer Auktion bei E-Bay im November 2019 werden zwei Portraits angeboten, signiert von Elisabeth Poppe-Lüderitz und datiert auf 1898/1899. Herkunft und Verbleib dieser Bilder sind bislang unbekannt, aber sie zeigen, dass die Künstlerin weiterhin gemalt, aber nicht mehr öffentlich ausgestellt hat.

      Verzeichnis der Bilder der Malerin

       Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste 1880: Page (verkäuflich)

       Ausstellung der Königlichen Akademie der Künste 1881: Porträt der Mrs O (nicht verkäuflich)

       39. Ausstellung des Kasseler Kunstvereins 1881: Ein Mitglied der Chinesischen Gesandtschaft in Berlin (1000 Mark), Page (800 Mark), Mann und Frau (nicht verkäuflich)

       Ausstellung der Akademie der Künste 1883: Porträt des Fräulein Caty H (nicht verkäuflich)

       Ausstellung der Akademie der Künste 1884: Porträt (nicht verkäuflich)

       Große Berliner Kunstausstellung 1891: Porträt

       63. Ausstellung der Akademie 1892: Nr. 926: Portrait; Nr. 927: Selbstportrait

       Weltausstellung in Chicago 1893: Mars und Venus

       Große Berliner Kunstausstellung 1893: Bildnis der Frau R. und Bildnis der Kinder des Herrn Dr. L. (–> Bild 2-2)

       Große Berliner Kunstausstellung 1894: Damenbildnis

       Große Berliner Kunstausstellung 1895: Bildnis

       Ungelistet: Einzelportrait (Hermann oder Carl Lüderitz, Schachspiel, Familienrat, Frauenportrait, Männerportrait)

      3 Glückloser Konsul von Casablanca: Hermann Lüderitz

      Wenn man zum ersten Mal den Namen Lüderitz hört, denkt man unweigerlich an den Bremer Kaufmann Adolf (von) Lüderitz in Deutsch-Südwestafrika, für viele der Inbegriff des deutschen Kolonialismus Ende des 19. Jahrhunderts. Viele denken auch nur an Lüderitz-Land und Lüderitz-Bucht und an den Ort Lüderitz im heutigen Namibia – dabei gibt es auch in Brandenburg einen Ort mit Namen Lüderitz.

      Selbst die Mitglieder unserer Lüderitz-Familie, die wir befragen konnten, assoziierten ihren Familiennamen mit dem des Kolonialisten und glaubten sich mit ihm verwandt. Von solchen spontanen Gedankenverbindungen waren auch zwei von uns nicht ganz frei, als wir Hermann Lüderitz als Konsul in Marokko orteten. Nur der Historiker wusste es natürlich von Anfang an und besser, hatte er doch über die Marokko-Deutschen geforscht und publiziert (1): Hermann Guillaume Theobald Lüderitz war von 1905 bis 1909 Konsul des Deutschen Reiches in Casablanca, Marokko, und hatte dazu einen langen Weg hinter sich gebracht.

      Berlin – Heidelberg – Berlin

      Hermann wurde am 1. März 1864 in Berlin geboren und am 20. April 1864 im Hause seiner Eltern in der Markgrafenstraße 74 getauft. Sein Vater, Carl Adolph Lüderitz, war mitsamt seiner Familie wenige Tage zuvor (am 6. April 1864) kollektiv in die Französische Kirche übergetreten, wohingegen die anderen drei Kinder noch evangelisch-protestantisch getauft worden waren. Zwei Jahre später starb der Vater mit nur 50 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war Albert 16 Jahre alt und ging zur Realschule, Carl war zwölf Jahre alt und Schüler des Gymnasiums und Elisabeth war gerade mal vier Jahre alt. Die Mutter, Lucie Lüderitz geb. Neider, musste von nun an zwei Kleinkinder und zwei Halbwüchsige alleine durchbringen. Von 1866 bis 1875 firmierte sie im Adressbuch der Stadt Berlin als „Rentiere“, d. h. sie hatte Einkommen, für das sie nicht arbeiten musste. Meist war damit Hauseigentum gemeint, das vermietet war: In der Markgrafenstraße / Ecke Zimmerstraße war sie als Hauseigentümerin eingetragen, und es gab dort im Jahr 1875 sieben Mieter.

      Innerhalb der nächsten zehn Jahre änderte sich diese Situation grundlegend: 1875 wohnte Albert (25 Jahre) vermutlich nicht mehr daheim, und Carl (21 Jahre) war 1874 zum Medizinstudium nach Jena gegangen. Die 17-jährige Elisabeth wohnte jedoch noch zu Hause und zeigte erste Ambitionen, Künstlerin zu werden. Hermann (9 Jahre) ging zu diesem Zeitpunkt noch zur Schule.

      Da fasste Lucie einen