Die Familie Lüderitz. Paul Enck

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Название Die Familie Lüderitz
Автор произведения Paul Enck
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783873222984



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      BeispieleBild 3-2: Beispiele von arabischen Sprichwörtern aus der Publikation von 1899; aus (4)

      Aber seine Karriereprobleme waren keineswegs gelöst, obwohl er in Tanger die Protektion seiner Vorgesetzten genoss. Als 1895 der unglücklich agierende Vizekonsul, der Kaufmann Heinrich Ficke, in Casablanca abgelöst und durch einen Berufskonsul ersetzt wurde, übertrug man Lüderitz die kommissarische Vertretung der Dragomanatsstelle in Casablanca. Der neue Konsul, August Freiherr von Brück, verfügte weder über Landeserfahrung noch über Sprachkenntnisse.

      Bereits im März 1897 kehrte Lüderitz nach Tanger zurück, jetzt als Dragoman. Offenkundig nutzte er die folgende Zeit, um auch seine konsularische Ausbildung abzuschließen. Im September 1901 wurde ihm der Charakter als Konsul verliehen. Mit der Übernahme als Konsul war seine weitere Karriere insoweit gesichert, dass er ans Heiraten denken konnte. In einem Brief vom 24. September 1902 aus Berlin an seinen obersten Dienstvorgesetzten, Reichskanzler von Bülow, kündigte er die baldige Vermählung mit Fräulein Victoria Ribbeck aus Coburg an. Hermann und Victoria bestellten am 12. Oktober 1902 das Aufgebot und heirateten am 3. November 1902 in Coburg.

      Von April bis Juli 1902 wurde er kommissarisch als Konsul in den beiden Königsstädten Marrakesch und Fes, wo es noch keine Berufskonsulate gab, eingesetzt. 1903 war er abermals Dragoman in Tanger. Spätestens seit Ende 1903 drängte dann der Gesandte Friedrich Freiherr von und zu Mentzingen im Auswärtigen Amt darauf, Lüderitz endlich auf die Stelle eines Konsuls zu berufen. Mentzingen fühlte sich auch dazu verpflichtet, weil er Lüderitz nach einem „schweren Sturz“ in Fes nicht dorthin zurückgeschickt hatte, so dass sich dieser wieder zusammen mit seiner Frau in einer Warteposition befand. Auf Mentzingens Empfehlung hin wurde er 1905 vom Auswärtigen Amt übernommen und als Konsul in Casablanca eingesetzt.

      Im Folgenden die Empfehlung im servilen Originalton des Friedrich Freiherr von und zu Mentzingen (1856 – 1922), kaiserlicher Gesandter in Tanger von 1899 bis 1904 (1,7), an den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt in Berlin, Dr. Otto von Mühlberg (1843 – 1934) (8):

      „Tanger, den 3. März 1904

      An den Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt

      Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär!

      Im November v.J. hatten Eure Excellenz die Güte, mir mündlich die Erfüllung meiner Bitte wegen Ernennung des Konsuls Lüderitz nach Casablanca in Aussicht zu stellen, nachdem ich dargelegt hatte, wie sehr sich der Genannte an Stelle des für jenen Posten ungeeigneten Konsuls Igen qualifizieren würde. ... Unterdessen sitzt Lüderitz seit über Jahr und Tag hier in äusserst unangenehmer Lage. Er muss mit seiner Frau in einem theuren Hotel leben, da er sich bei der Ungewissheit seines Schicksals nicht in einer Privatwohnung auf länger binden kann. Das ist sehr kostspielig, namentlich da die schon vorher sehr hohen Preise der Lebensmittel in den letzten Monaten um ca. 100 % gestiegen sind. Dabei kann ich nur wiederholen, dass er ein ausgezeichneter, besonnener und erfahrener Beamter ist. Im Auswärtigen Amt hat er aus mir unbekannten Gründen den Eindruck eines unruhigen Geistes gemacht. Vielleicht hat er sich dort nicht ganz geschickt benommen, aber ein unruhiger Geist ist er sicherlich nicht. ... Er ist ganz unschuldig daran, denn ich habe seiner Zeit ohne sein Vorwissen den Antrag gestellt, ihn nach seinem schweren Sturze nicht mehr nach Fez zu schicken. ...

      In jedem Fall wäre ich Eurer Excellenz für eine gütige Äusserung darüber dankbar, welche Aussichten Lüderitz hat, damit er eventuell, wenn er wirklich noch längere Zeit hierbleiben muss, sich sein Leben billiger einrichten kann. ... Lüderitz tut mir leid, und ich möchte wenigstens meinerseits das Mögliche thun, um ihm zu helfen, wiewohl ich ihn hier sehr vermissen werde, wenn er versetzt wird.Ich benutze die Schreibmaschine um Eurer Excellenz die Lektüre dieser leider etwas länger gerathenen Ausführungen zu erleichtern. Genehmigen Sie, Hochverehrter Herr Unterstaatssekretär, mit meinem besten Danke die erneute Versicherung aufrichtiger Verehrung Ihres gehorsamsten (Mentzingen)“

      Ein verschlüsseltes Telegramm Mentzingens an von Mühlberg im Auswärtigen Amt vom 2. August 1904 erinnert in aller Kürze an den Vorgang: „Da wegen Erledigung der Konsulate in Nizza und Singapore Revirement zu erwarten, bringe ich meine Bitte Lüderitz zum Konsul in Casablanca zu ernennen, angelegentlich in Erinnerung – Mentzingen“ (8). Die Entsendung nach Casablanca erfolgte aber erst am 17. August 1905.

      Zwei dramatische Vorfälle ereigneten sich während Hermanns Dienstzeit in Casablanca: die Beschießung der Stadt im Juli 1907 durch Frankreich und die sogenannte Legionärsaffäre im Herbst 1908. Bei beiden trat er nicht profiliert in Erscheinung. Anders als etwa sein späterer Nachfolger Walter Maenss, der ihm bereits 1907 als Dragoman zur Seite stand, oder Philipp Vassel, der die deutschen Interessen bei den internationalen Verhandlungen über die Entschädigung für das Bombardement vertrat. Beide stiegen zu den prominentesten deutschen konsularischen Vertretern in Marokko auf. Beiden Ereignissen vorausgegangen war die Erste Marokkokrise (1904 – 1906), in der nach Verschiebung des Gleichgewichtes zwischen England und Frankreich auf der einen und Deutschland und seinem Verbündeten Österreich auf der anderen Seite sich zugunsten der Achse Paris – London („Entente Cordiale“) der Einfluss Frankreichs in Marokko zu vergrößern begann. Der nach dem Besuch des Kaisers in Tanger 1905 auch medial überspitzte Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland wurde 1906 auf der Konferenz von Algeciras beigelegt. Aber die Spannungen blieben, weil Frankreich seine Ziele größerer Einflussnahme in Marokko erreichte, während das Deutsche Reich international eher isoliert dastand (1).

      Die Beschießung von Casablanca 1907

      Nachdem der Sultan die Akte von Algeciras hatte unterschreiben müssen, ging eine Welle der Unruhe durch das Sultanat. Als 1907 in Marrakesch ein französischer Arzt ermordet wurde und die Franzosen zur Vergeltung einen Streifen marokkanischen Gebiets an der algerischen Grenze besetzt hatten, war die Zeit für den Bruder des Sultans gekommen, seine Ansprüche auf den Thron öffentlich anzumelden. Ein Bürgerkrieg bahnte sich an. Es genügte ein kleiner Funke, um in Casablanca Unruhen auszulösen, die in der Ermordung von neun europäischen Arbeitern gipfelten. Als Frankreich auch hier militärisch intervenierte, kam es in der Stadt und im Hinterland zum bewaffneten Aufstand, den Frankreich mit der Beschießung der Stadt beantwortete. Die Schäden waren enorm.

      3_KarteBild 3-3: Karte von Casablanca zur Zeit der Beschießung von 1907; aus (9)

      Konsul Lüderitz war zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau auf Heimaturlaub, aber sein Haushalt wurde erheblich beschädigt, auch sein Personal machte Schäden geltend. Meldung an die Reichsregierung machte sein Vertreter, Konsularverweser Maenss, am 9. August 1907 per Telegramm. Konsul Lüderitz selbst, zurück in Casablanca, meldete seinen Schaden am 29. November 1907 mit einem vierseitigen Schreiben und einer 33-seitigen Liste mit insgesamt mehr als 750 Positionen und einem geschätzten Gesamtwert von 35.765,18 Mark an. Diesen korrigierte das Reichsschatzamt um einen kleinen Rechenfehler von 11,50 Mark nach oben, um anschließend zu bemerken, dass die Liste „in vielen Punkten nach Art und Zahl der Sachen zu Anständen Anlaß [biete] sowie der in Rechnung gestellte Wert der einzelnen Positionen im Allgemeinen zu hoch gegriffen [sei]. ... ein Abzug von 25 % der geforderten Ersatzsumme [genüge], um eine angemessene Schadloshaltung zu ermitteln“ (8).

      Uns Autoren war dabei vor allem eine gut bestückte Bar mit 6 Flaschen Rum, 17 Flaschen Champagner, 24 Flaschen Rheinwein, 12 Flaschen Rotwein, 3 Flaschen Sherry, 2 Flaschen Madeira, 50 Havanna-Zigarren und 25 Hamburger Zigarren aufgefallen sowie dass die beiden „Lüdis“ musikalisch gewesen sein müssen: Bratsche, Flöte, Gitarre, Geige (plus Ersatzgeigenbogen) waren ebenfalls genannt.

      Die Feststellung der Schäden erfolgte zunächst 1907 durch eine deutsche Kommission, die aus ortsansässigen Kaufleuten bestand und unter dem Vorsitz des ebenfalls seine Interessen wahrenden Konsuls Lüderitz tagte. Trotz der Bedenken des Reichsschatzamtes, die intern blieben,