Die Familie Lüderitz. Paul Enck

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Название Die Familie Lüderitz
Автор произведения Paul Enck
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783873222984



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könnte auch zur Ausstellung nach Chicago (1893) gereist und in den USA geblieben sein. Aber sie fand sich nicht auf den Passagierlisten der Ozeandampfer jener Jahre. Und da die Familie Lüderitz viele ihrer Familiennachrichten im Friedenauer Anzeigenblatt veröffentlichte (Tod der Mutter 1900, Tod des Konsuls 1909, Pensionierung des Reichsbank-Buchhalters 1918), wurden auch alle Ausgaben dieser Wochenzeitung für die Jahre 1895 bis 1898 durchgeschaut – jedoch vergeblich.

      Hoffnung gab für kurze Zeit Folgendes: In einer Internetnotiz fand sich der Hinweis, dass im Juni 2001 das Werk „Bildnis einer jungen Frau in Pelzmütze“ von Elisabeth Poppe-Lüderitz bei einer Versteigerung des Auktionshauses Peretz & Ball in Saarbrücken zum Kauf angeboten worden war. Leider ist das Auktionshaus seit vielen Jahren nicht mehr existent, und der Katalog konnte bislang nicht gefunden werden. Einlieferer und Käufer blieben unbekannt, somit konnte auch die Frage, ob es Nachkommen gibt, die vielleicht noch im Besitz von Bildern sind, nicht beantwortet werden.

      Immerhin: Nachdem wir den Tod Rudolf Poppes am 28. Mai 1937 im Sterberegister des Standesamtes des letzten Wohnsitzes (Standesamt Berlin IX - Spandau) bestätigt gefunden hatten und dieser darin als Witwer bezeichnet wurde, war zumindest die rückwärts gerichtete Suche im gleichen Register erfolgreich: Elisabeth Poppe-Lüderitz starb am 17. Februar 1930 in Berlin im Alter von 71 Jahren. Todesursache: Grippe und Entkräftung. Damit hat sie nach Beendigung ihrer offiziellen Maltätigkeit noch 35 Jahre gelebt. Diese Information ersetzt immerhin die Fragezeichen in den biografischen Angaben der Kunstlexika, wie zum Beispiel im „Allgemeinen Künstlerlexikon (AKL)“ (6).

      Um die Geschichte weitererzählen zu können, müssen wir noch mal an den Anfang zurückkehren, zu unserer Suche nach Informationen über Dr. Carl Lüderitz. Die Mütter von Carl Lüderitz und Hermann Nothnagel, Lucie und Ottilie Neider, waren Schwestern und Töchter eines Kaufmanns aus Güstebiese, einem kleinen Ort am anderen Ufer der Oder (im heutigen Polen), nur ca. 50 km von Berlin entfernt. Während Carl in Jena Medizin studierte, trafen die Vettern oft beruflich zusammen und waren auch familiär verbunden. Die Geschwister Lüderitz waren oft zu Gast bei den Nothnagels, auch als Hermann Nothnagel seine große Liebe – Marie Teubner (1848 – 1880) – gefunden und geheiratet hatte. Nach der Geburt ihres vierten Kindes starb Marie am 23. Juli 1880 im Wochenbett. Als Hermann Nothnagel 1882 in tiefer Trauer Jena verließ, um eine Professur in Wien anzunehmen, kehrte Carl Lüderitz zurück nach Berlin.

      Als Nothnagel 1905 überraschend starb, beauftragte die Wiener Medizinische Fakultät den amtierenden Direktor des Instituts für Medizingeschichte, Prof. Max Neuburger (1868 – 1955), mit einer Nothnagel-Biografie (7). Diese wurde nicht zuletzt wegen des Ersten Weltkriegs erst 1922 veröffentlicht. Neuburger verwertete darin einen Teil der privaten Korrespondenz von Hermann Nothnagel; viele dieser Briefe sind zumindest teilweise im Buch abgedruckt. Mit Datum vom 21. September 1880 finden sich in einem Brief Nothnagels an seinen Kollegen und besten Freund Vincenz Czerny (1842 – 1916) in Heidelberg die folgenden Sätze: „Ich sitze täglich 4, 5 Stunden und arbeite in der Klinik; zu Hause sehe ich meiner Cousine zu, welche mir zur Zerstreuung das lebensgroße Ölbild meiner Kinder malt, als Gegenstück zu Marie. So gehen wenigstens die Stunden hin ...“.

      So lag die Vermutung nahe, dass es sich dabei um das „Bildnis der Kinder des Dr. L.“ handeln könnte, das Elisabeth 1893 auf der Großen Berliner Kunstausstellung gezeigt hatte und durch seinen irreführenden Titel die Kinder ungenannt beließ. Diese neue Spur veranlasste uns, die Noth­nagel-Nachfahren zu suchen.

      Die Suche war erfolgreich, so dass wir bei den Nachfahren in der dritten Generation – der Familie Strasburger – anfragen konnten, ob im Nothnagel-Nachlass zum einen Informationen über den Verbleib dieses Bildes, zum anderen Informationen über Carl Lüderitz enthalten seien. Immerhin waren wir noch auf der Suche nach einem Foto von Carl.

      Und wir hatten Glück: In der Chronik der Familie Strasburger fand sich ein Foto des Bildes, das die vier Kinder von Hermann und Marie Nothnagel in Lebensgröße zeigt. Dabei handelt es sich um eine eindrucksvolle Komposition mit bemerkenswertem Detailreichtum, so dass man fast auf ein hochaufgelöstes Foto zu blicken glaubt.

      2_3Bild 2-2: Die Kinder von Prof. Nothnagel, gemalt 1880 von Elisabeth Lüderitz. Foto aus der Familienchronik der Familie Leyde-Strasburger, freundlichst zur Verfügung gestellt von Hans Strasburger, München

      Der Verbleib des Bildes, das wegen seiner schieren Größe schließlich auf den Dachboden verbannt wurde, ist ungewiss. Und noch eine Überraschung bereitete uns die Familie Strasburger: Sie schickte uns das Farbfoto eines Portraits der Uroma Marie, das noch im Original vorhanden und auf dessen Rückseite die Signatur „Elisabeth Lüderitz 1879“ vermerkt ist. Dabei handelt es sich um das von Hermann als „Gegenstück“ bezeichnete Bild, das ein Jahr vor Maries Tod entstanden ist. Ein Foto von 1915 zeigt die ursprüngliche, lebensgroße Darstellung der Marie Nothnagel geb. Teubner als Gemälde im Haushalt der Strasburgers.

      Portrait mit SignaturBild 2-3: Portrait der Marie Nothnagel geb. Teubner (1848 – 1880), gemalt von Elisabeth Lüderitz 1879. Unten eingeklinkt ist der auf der Rückseite des Bildes befestigte Abschnitt mit der Signatur. Freundlichst zur Verfügung gestellt von Hans Strasburger, München

      Für die drei Autoren dieser Geschichte wäre dies zumindest ein angemessener Abschluss gewesen, selbst wenn die Frage nach dem Grund der Mal-Abstinenz offengeblieben wäre. Aber wir wurden noch einmal überrascht. Auch dazu kehren wir wieder an den Ausgangspunkt der Geschichte, der Recherche über Carl Lüderitz, zurück.

      2_5Bild 2-4: Fotografie von Marie-Edith Strasburger, Tochter von Hermann Nothnagel (das jüngste Kind auf Bild Nr. 2-2) mit ihren drei Söhnen und einer Tochter in Frankfurt 1915. Das Gemälde an der Wand ist ein Portrait von Marie Nothnagel geb. Teubner, aus dem das Bild 2-3 ausgeschnitten wurde. Freundlichst zur Verfügung gestellt von Hans Strasburger, München

      Bilderfunde und des Rätsels Lösung

      Carl Lüderitz hatte sich 1906 in Waldsieversdorf im Märkischen Oderkreis zur Ruhe gesetzt, wo er 1930 starb. Das Haus, das er dort gekauft und bewohnt hatte, erbte nach seinem Tod seine Haushälterin Ida Kreutzfeld. Nach deren Tod ging das Haus 1970 an eine Marie Lüderitz geb. Beymel, die mit einem Neffen von Carl Lüderitz, Georg Lüderitz, jüngster Sohn seines älteren Bruders Albert, verheiratet gewesen war.

      2_6Bild 2-5: Unsigniertes Gemälde, wahrscheinlich von Elisabeth Lüderitz, das die Malerin beim Schachspiel mit Bruder Carl zeigt

      Georg war 1955 verstorben, so dass seine Frau das Erbe übernahm. Sie starb 1977 und vererbte Haus und Grundstück an eine Renate Ehrlich. Diese verkaufte es 1993 weiter, wie aus den Unterlagen des Katasteramtes Strausberg entnommen werden konnte. Familie Beymel wohnte seit 1905 am Friedrich-Wilhelm-Platz 7 in Berlin-Friedenau.

      Am Samstag, den 19. Januar 2019 fuhr Paul, der Berliner unter uns, gegen Mittag am Friedrich-Wilhelm-Platz vorbei, um Fotos vom Haus Nr. 7 zu machen. In einer E-Mail an die anderen Autoren am gleichen Abend schildert er das so:

      „Ich habe das Haus fotografiert, das Zigarrengeschäft der Beymels ist jetzt Gemeindecafé der Kirche direkt gegenüber ... Ich will schon wieder wegfahren, da spricht mich eine junge Frau an und fragt (freundlich), warum ich fotografiert habe (sie hatte auch gesehen, dass ich das Klingelbrett fotografiert hatte), und als ich ihr erkläre, dass hier vor mehr