Die Familie Lüderitz. Paul Enck

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Название Die Familie Lüderitz
Автор произведения Paul Enck
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783873222984



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haben.

      So war Hermann Lüderitz vermutlich Mitte Januar zu Hause in Coburg. Noch im gleichen Monat stellte er sich bei Universitätsprofessor Albert Albu in Berlin vor, der am 22. Januar 1909 dem Auswärtigen Amt mitteilte, Hermann Lüderitz sei in einem „schlechten Ernährungszustand infolge von Abmagerung, Zeichen allgemeiner Nervenschwäche, Vergrößerung der linken Herzkammer u. eine Vergrößerung der Leber, welche auf die vorangegangene Gallenerkrankung zurückzuführen ist. Ausserdem klagt Herr Consul Lüderitz seit Jahren über dramatische Schmerzen in den Gliedmassen, welche sich in letzter Zeit noch erheblich verstärkt haben. Zur Wiederherstellung der Gesundheit und Dienstfähigkeit bedarf Hr. Consul Lüderitz für längere Zeit der körperlichen und geistigen Schonung sowie einer Trink- bez. Badekur in Karlsbad und in Wiesbaden“, so Albu in seinem Schreiben, gefunden in der Personalakte Lüderitz im Auswärtigen Amt in Berlin (8).

      Akbu und KrauseBild 3-4: Ärztliche Atteste von Prof. Krause und Prof. Albu, Berlin (Quelle: Personalakte von Hermann Lüderitz im Archiv des AA, P 1/9234, 9235. 9236)

      Daraufhin bewilligte ihm das Auswärtige Amt am 10. Februar 1909 einen dreimonatigen Urlaub „unter Ausschluß der Reisezeit“, und sein Vertreter Maenss bekam eine monatliche Gehaltszulage von 120 Mark.

      Wir fanden Hermann in der Karlsbader Kurliste vom 20. März 1909; er wohnte – allein – im Hotel Rotes Herz in Karlsbad.

      In dieser Zeit meldete sich Hermann Lüderitz mit einem Schreiben an Reichskanzler Fürst von Bülow, in dem er schrieb (8):

      „Seiner Durchlaucht beehre ich mich, im Anschluß an meinen gehorsamsten Briefe de dato Wiesbaden den 21. v. Mts. zu melden, daß mein Gesundheitszustand sich ganz neuerdings wieder verschlechtert hat und ich zu meinem großen Bedauern nicht in der Lage bin, schon jetzt mit Ablauf des mit Erlaß vom 19. n. Mts. - Nr. I e.6667 - bewilligten Nachurlaubes auf meinen Posten zurückzukehren.

      Nach ärztlichem Urteil, wie er in der hier gehorsamst beigefügten Bescheinigung zum Ausdruck gelangt, ist es nunmehr erforderlich, daß ich vor meiner Rückkehr nach Casablanca noch mehrere Wochen zwecks weiterer ärztlicher Behandlung in Deutschland verweile. Gleichzeitig ist mir eine weitere Trinkkur verordnet worden. Eurer Durchlaucht darf ich daher die ehrerbietige Bitte vortragen, mir eine nochmalige Verlängerung meines Urlaubs und zwar auf die Dauer von sechs Wochen hochgeneigtest gewähren zu wollen. Lüderitz.“

      Der Urlaub wurde im April um weitere fünf Monate verlängert. Ende Mai / Anfang Juni stellte sich Hermann Lüderitz erneut bei Prof. Albu vor, der laut Attest vom 3. Juni 1909 „seinen Zustand gebessert, aber nicht geheilt“ befand. „Insbesondere ist noch eine beträchtliche Vergrößerung der Leber nachweisbar, und da Herr Consul Lüderitz noch neuerdings wiederum über Schmerzen in der Lebergegend klagt, so erscheint es uns wünschenswert, dass er vor der Rückkehr in das für solche Kranke oft schädliche subtropische Klima Marocco´s noch mehrere Wochen unter ärztlicher Beobachtung in Deutschland bleibt. Dr. med. Albert Albu, Universitätsprofessor“.

      Albert Albu (1867 – 1921), ein prominenter Vertreter der Theorie der Autointoxikation (11) als Ursache vieler chronischer Erkrankungen, hat hier möglicherweise eine bösartige Erkrankung der Gallenwege als chronische Leber-Erkrankung fehldiagnostiziert. Irgendwann in dieser Zeit zwischen Anfang Juni und Anfang August 1909 muss Hermann Lüderitz auf Prof. Fedor Krause (1857 –1937) getroffen sein, der die bereits im Dezember 1908 von Dr. Dobbert konstatierte Notwendigkeit einer Operation in einem Attest am 11. August dem Auswärtigen Amt bestätigte. Krause war Chefarzt der chirurgischen Abteilung des Augusta-Hospitals Berlin und hatte sich in Hamburg als Experte der Tumorchirurgie profiliert. Gemäß den Aufzeichnungen seines Neffen Georg Lüderitz unterzog sich Hermann Lüderitz dieser Operation, verstarb aber 24 Stunden später am 15. August 1909.

      Hermann Lüderitz hatte noch erlebt, dass am 24. Februar 1909 in Coburg seine Tochter Erika Beatrice geboren wurde. Er hatte am 3. November 1902 Victoria Ribbeck geheiratet, deren Eltern in Coburg lebten. Victoria war am 21. Juli 1870 in Stettin als Tochter des Großkaufmanns Rudolph Ribbeck und seiner Ehefrau Alma Ottilie (–> Bild 9-3) geboren worden.

      Die Witwe Victoria lebte bis September 1948 in Coburg und verzog dann nach Düsseldorf zu ihrer Tochter Erika, die dort ab 1955 als kaufmännische Angestellte tätig war. Die Mutter starb 1953 in Düsseldorf, die Tochter blieb unverheiratet und ohne Kinder. Sie zog im November 1981 in ein Seniorenheim in Hilden, wo sie am 16. Dezember 2001 verstarb.

      Zwei Aspekte seien hier noch abschließend kurz erwähnt, die uns wichtig erscheinen: Zum einen bedachte Hermann Lüderitz in seinem 1908 kurz vor seiner Abreise nach Berlin verfassten Testament, in dem er seine Frau als Alleinerbin einsetzte, sein Patenkind und Sohn seines 1902 in Berlin verstorbenen Musiklehrers Otto Frank mit einem kleinen Legat. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Hermann Lüderitz wie auch sein älterer Bruder Carl der Musik verbunden gewesen war.

      Bedacht wurden im Testament auch sein Patenkind Charlotte, Tochter seines Bruders Albert, und ein weiteres uns bis dato unbekanntes Patenkind, Wolfgang Rottenburg. Dabei handelte es sich um den jüngsten und in Tanger geborenen Sohn (* 28. September 1890) des Zivilingenieurs Walter Rottenburg, der seit 1888 im marokkanischen Rabat im Auftrag des Sultans das Fort mit Krupp-Geschützen ausgebaut hatte und der im Mai 1890 mit seiner gesamten Familie nach Tanger übergesiedelt war. Die Rottenburgs waren der gesellschaftliche Mittelpunkt (nicht nur) der deutschen Kolonie; auch Hermann Lüderitz verkehrte in ihrem Haus und hatte Kontakt mit der Familie bis zu seinem Tod.

      Auch seine Frau Victoria setzte Legate für drei uns bis dato völlig unbekannte Personen aus; diese Spur führte uns am Ende zu den Lüderitz am Niederrhein.

      Zum anderen: Der Mädchenname der Mutter von Victoria Ribbeck war Alma Ottilie Dorothee Lüderitz (1841 – 1928), ein Umstand, der zunächst erheblich für Verwirrung bei uns sorgte: Sie war die Tochter des Stettiner Kaufmanns Theobald Carl Albert Lüderitz und seiner Frau Alma Marie Veronica Brandenburg genannt Tarnovius. Alma Ottilie war also Hermanns Cousine väterlicherseits, deren Tochter Victoria somit seine Nichte zweiten Grades. Rechtlich handelte es sich um eine Verwandtschaft im fünften Grad – legitim, aber reichlich verwirrend für Hobby-Genealogen wie wir.

      4 Vom Kaiserlichen Buchhalter zum armen Rentner: Albert Lüderitz

      Über Albert Carl Siegfried Lüderitz, den ältesten der vier Lüderitz-Geschwister, wissen wir von allen Familienmitgliedern am wenigsten. Dafür haben wir aber von ihm und seiner Frau Martha geb. Lützow und den Kindern eine Reihe von Fotos und zumindest ein Bild von Albert im Kreis seiner Herkunftsfamilie. Dieses wurde von seiner Schwester Elisabeth 1888 noch vor seiner eigenen Familiengründung (–> Titelbild) angefertigt.

      Die Bilder stammen aus dem Nachlass von Georg Lüderitz, ihrem jüngsten Sohn, und fanden sich, wie die meisten unserer Schätze, bei Renate Ehrlich geb. Lüderitz, adoptierte Beymel, dem letzten Mitglied der Lüderitz-Familie in Berlin. Warum wir von Albert so wenig wissen, ist vermutlich einfach zu erklären: Malerinnen malen und stellen aus, Wissenschaftler publizieren und Konsuln stehen in der politischen Öffentlichkeit und Verantwortung. Das hinterlässt auch im vordigitalen Zeitalter Spuren, die man in Archiven, Bibliotheken und Zeitungen finden kann. Bankbuchhalter dagegen arbeiten eher im Stillen.

      Kindheit und Jugend

      Albert wurde am 18. September 1850 in Berlin-Friedrichstadt geboren. Seine Taufe fand am 30. Oktober 1850 in der Jerusalemkirche statt. Seine Taufpaten waren (unter anderem) die Großmutter väterlicherseits, Dorothea Lüderitz, die Großmutter mütterlicherseits, Catharina Neider, sowie der Bruder des Vaters, Kaufmann Theobald Lüderitz aus Stettin, und ein Albert Doussin, Rendant (Rechnungsführer).

      Die Familie wohnte in dem Haus, das der Familie Lüderitz seit etwa 1820 gehörte – das Eckhaus Markgrafenstraße 74 / Zimmerstraße