Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf. Uli Wittstock

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Название Weißes Rauschen oder Die sieben Tage von Bardorf
Автор произведения Uli Wittstock
Жанр Зарубежные детективы
Серия
Издательство Зарубежные детективы
Год выпуска 0
isbn 9783954627929



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schrieb sie los:

       Flacher Bauch, straffer Po, vorstehende Brüste, das ist der Grund für meine hochhackigen Schuhe. Leider nur hätte ich vorher üben sollen. Jetzt stehe ich vor dem großen schmiedeeisernen Tor und drücke auf den Klingelknopf. Ganz in der Ferne höre ich ein Geräusch, das mich auf eine merkwürdige Weise berührt, wie ein sanftes Ziehen im Schoß. Das Gefühl kenne ich nur zu gut. Endlich höre ich die Schritte auf dem Kies. Eine schlanke blonde Frau, etwas jünger als ich, bewegt sich gemessenen Schrittes auf mich zu. Was gäbe ich darum, so selbstsicher über diese Auffahrt zu schreiten.

       – Miss Kilsingstone?

       Ihre Stimme klingt kühl, eher feststellend als fragend. Dann öffnet sie das große Tor. Ich betrete

      Ti-ti-tatta-ti-ti-ti, wenn Silvia Raschkes Handy so klingelte, meldeten sich die besonders ungestümen Fans ihrer Netzgemeinde, jene, die es geschafft hatten, im Dickicht der Weiterleitungen, Werbebanner, Querverweise und Untermenüs direkt in Kontakt zu ihr zu treten. So viel Hartnäckigkeit nötigte ihr Respekt ab, sodass sie es sich angewöhnt hatte, die Nachricht gleich zu lesen. HullkHorgan, einer der regelmäßig an ihrer Arbeit Anteil nahm, meldete sich jeden Montagabend. Silvia Raschke war also nicht überrascht: hallo black swan. das war wieder eine tolle geschichte mit dem indianer und der entführten sklavin. könntest du nicht mal was über sex im weltraum schreiben. schwerelos in fesseln zum beispiel oder dark sex of the moon. vielen dank, dein fan hullkhorgan.

      Silvia Raschke hatte jetzt keine Zeit. Sie schob das Handy zu Seite, spreizte ihre Finger und schrieb dann weiter:

      den Kiesweg. Mit den hohen Schuhen spüre ich die Kiesel, ein kleines Ziehen, das meine Beine hinaufläuft. Vor mir wippt der blonde Pferdeschwanz der jungen Frau. Unter ihrem eng anliegenden, beigen Kostüm zeichnen sich keine Umrisse eines BHs ab und auf ihren knielangen Rock folgen perfekte Beine. Ich komme mir jetzt vor wie ein Bauernmädchen. Der Kiesweg scheint endlos zu sein, und ich habe Mühe, mit der Blonden mitzuhalten. Der Weg macht eine Biegung und das Erste, was mir auffällt, ist eine Überwachungskamera. Ich spüre einen leichten Schauer über meinen Rücken streifen, so als würde ich durch einen Nacktscanner laufen. Ich habe den Eindruck, als ob die blonde Frau nun etwas langsamer geworden ist. Soll mich die Kamera etwa länger beobachten? Über den Schlossbesitzer gibt es viele Gerüchte im Dorf. Gesehen haben ihn bislang nur ein paar Jagdhelfer, und die haben so gut wie nichts erzählt. Und dann gibt es da noch diese Andeutungen …

       – Folgen Sie mir bitte hier entlang.

       Wir gehen nicht die große Eingangstreppe hoch, sondern nehmen einen Seiteneingang, zu dem ein kleinerer Weg zwischen dem Kirschlorbeer führt. Die blonde Frau legt ihre gepflegte Hand auf den Türgriff und blickt mich zum ersten Mal an, als wolle sie mich prüfen. Dann öffnet sie die Tür.

      Das Licht im Flur flackerte auf. Um diese Uhrzeit kam eigentlich nur noch selten jemand nach unten in das Archiv und meistens auch nur, um alte Sendekassetten aus dem Umlauf vor die Tür zu stellen, sodass Silvia Raschke sie am nächsten Morgen einsortieren konnte. Einer hatte in den letzten Monaten besonders häufig etwas in ihrem Kellerarchiv geordert, den aber konnte sie nun von der Liste streichen, denn er war tot im Hörfunktrakt gefunden worden. Von der Aufregung hätte sie in ihrem Keller beinahe nichts mitbekommen, wenn sie nicht zufällig auf dem Weg zum Bildarchiv zwei Männer in dunklen Uniformen getroffen hätte, von denen sie zunächst annahm, es handele sich um neue Mitarbeiter des Wachschutzes, bis sie auf den Jacken den Firmennamen las: „Immertreu-Bestattungen“. Sie seien wohl falsch, mutmaßte Silvia Raschke zu Recht, doch hatten sich die Herren nicht in der Hausnummer, sondern nur im Stockwerk geirrt.

      „Das ist Schicksal“, hatte einer der beiden dann gesagt und Silvia Raschke war nicht umhin gekommen, ihm beizupflichten. Sie war dann wenig später ebenfalls in den dritten Stock gefahren, dorthin, wo die gesamte Belegschaft stumm zusah, wie der arme Wilkhahn abtransportiert wurde, unwürdig wie Silvia Raschke fand und das nicht nur, weil sie einen wichtigen Kunden verloren hatte.

      Ti-ti-tatta-ti-ti-ti. Stormrider12 schrieb: hey black swan. Super tolle story mit dem maskenmann, besonders die stelle mit der brennesselpeitsche. Du bist unerreicht. Mach weiter so.

      Silvia Raschke spreizte nun wieder ihre Finger:

       Das Licht fällt von der niedrigen Decke, dann geht es eine enge Wendeltreppe hoch. Ich fühle mich ein wenig unwohl und gehe deshalb dicht hinter der Frau. Ihr Rock ist leicht verrutscht, sodass ein dünner Streifen Spitzenwäsche aufblitzt. Sie trägt einen Tangaslip. Plötzlich sind wir oben angekommen und bleiben stehen. Eine angenehme Wärme weht mir entgegen, während es von der Treppe her kühl heraufzieht. Ich fröstele.

       – Die Frau des Jagdpächters.

       Die Blonde deutet eine Verbeugung an, bevor sie zur Seite hin verschwindet. Dort wird wohl eine Tür sein. Ich bin nicht allein, das spüre ich, doch sehen kann ich niemanden. Es ist ein Gefühl wie bei der Videokamera. Ich traue mich nicht zu bewegen, und je länger ich stehe, umso mehr schäme ich mich, ohne zu wissen warum.

       – Kommen Sie näher.

       Die Stimme klingt weich und warm. Ich bin geradezu dankbar, dass sie mit mir spricht. Ich gehe vorsichtig einige Schritte in den Raum und erkenne langsam die Situation. In der Mitte des Raumes steht ein riesiges Bett und davor mit einem leicht spöttischen Lächeln ein relativ großer schlanker Mann.

       – Näher kommen.

       Sagt er mit seiner freundlichen Stimme und hält mir die Hand hin. Als ich vor ihm stehe, rieche ich Sandelholz und ganz leicht ein wenig Tabak. Er greift meine Hand und führt sie kurz an seine Lippen. Ich spüre, wie sich alle meine Poren öffnen, sehnsüchtig nach einer Berührung von IHM. Ich kann nichts sagen. Der Mann steht mit verschränkten Armen vor mir und lächelt mich an.

       – Nicht so eilig, junges Kind.

       Er nimmt meine Hand und führt mich an einen Tisch.

       – Ein wenig Kirschlikör. Aus dem eigenen Garten und nach einem alten Rezept hergestellt. Wirkt belebend.

       Er gießt eine tiefrote Flüssigkeit ein, reicht mir das Glas.

       Es ist kein Brennen, sondern eine Art Schmeicheln, das meine Kehle herabfließt, sich in meinem Magen ausbreitet und von dort weiterstrahlt, weiter nach unten, wo eine tiefe Sehnsucht

      Krawitt krawitt krawitt krawitt. So klang das Handy nur bei einem speziellen Anrufer. Silvia Raschke kannte allerdings nur die Stimme, die sich hinter dieser Telefonnummer verbarg. Eine Telefonnummer, die sie selbst nie anrufen durfte und die ihr immer nur kurze Anweisungen gab. Die Stimme klang ungehalten.

      „Das dauert zu lange. Gang B, rechte Seite, vorletztes Regal. Laufende Archivnummer STZ 22-03-74. Lieferung morgen.“

      Dann wurde die Leitung unterbrochen. Silvia Raschke hielt das Telefon noch einen Moment in der Hand, bevor sie aufstand, um den Archivschlüssel aus dem Kasten zu holen.

      STZ 22-03-74 hatte einen vergilbten Rücken und auf der Vorderseite einen Aufdruck, der als Produktionsort ein Studio Z aufwies. In den Spalten für Toningenieur, Aufnahmeleiter und Komponist hatte jemand unleserliche Krakel hinterlassen. Auf ihrem Weg zurück in das Büro kam es ihr so vor, als hörte sie eine Tür klappen. Sie blieb kurz stehen, doch Schritte hörte sie nicht.

      Die Docstation lag unter dem Penthouse und erstreckte sich über den Südflügel des Gebäudes. Kilian hatte ein spezielles Glas einbauen lassen, das auch tagsüber für einen hohen Verschattungsgrad sorgte, doch richtig produktiv wurde er nur, wenn es auch draußen dunkel war. Und jetzt war es dunkel. Das Herz der Docstation bestand aus einem achteckigen gläsernen Aufnahmebereich sowie einem Steuerungsmodul, das wie ein Mond dem Studio treu zur Seite stand. Für beide Bereiche galten strenge Regeln: keine Zigaretten, keine Flüssigkeiten, keine elektronischen