Vergangenheitskampf. Corinna Lindenmayr

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Название Vergangenheitskampf
Автор произведения Corinna Lindenmayr
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783967526554



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»Gestern. Ich, äh, war sozusagen schon mit ihm verabredet.«

      »Aha.«

      Bea stieß Nick unsanft von der Seite an. »Müsst ihr Männer immer so wahnsinnig kommunikativ sein?« fragte sie dann ironisch. »Wie wäre es stattdessen lieber mit einer hilfreichen Meinung?«

      Nick verzog keine Miene. »Er ist nicht Emmas Typ.«

      Das ließ Besagte aufhorchen. Sicher, das gleiche hatte sie selbst auch gedacht. Aber warum zum Teufel sagte Nick das?

      »Warum?« hörte sie sich daher fragen, bevor sie sich eines Besseren belehren konnte.

      »Habe ich etwa unrecht?« gab Nick anstelle einer Antwort zurück.

      »Nein, aber..«

      »Dann ist ja alles gesagt.« unterbrach er sie dann brüsk und stand wieder auf. »Vielleicht solltet ihr euch wieder an die Arbeit machen. Das scheint produktiver zu sein.« Damit lief er in Richtung der Spielwiese der Kinder davon.

      »Okay, das war seltsam.« Emma sah ihm hinterher, wie er um die Ecke verschwand.

      »Oder auch nicht.« erwiderte Bea nachdenklich. »Wenn ich es mir so recht überlege, denke ich, dass es die logische Reaktion darauf war.«

      Irritiert zog Emma die Augen nach oben. »Worauf denn bitte schön?«

      »Darauf, dass er auf dich steht.«

      Auch in der kommenden Nacht schlief Emma nicht besonders gut. Ihr Kopf pochte noch immer, auch wenn die Schmerzen ein wenig nachgelassen hatten. Aber der Hauptgrund für ihren Mangel an Schlaf waren vermutlich ihre Gedanken, die einfach nicht aufhören wollten über die letzten beiden Tage nachzudenken. Nicht, dass es hier so verdammt viel gab, worüber man sich den Kopf zerbrechen könnte, aber irgendwie schien ihr Gehirn da anderer Meinung zu sein.

      Das Treffen mit Max warf sie offenbar mehr aus der Bahn, als sie sich eingestehen wollte. Und Bea´s Kommentar über Nick und mögliche Gefühle für sie war dabei auch nicht gerade hilfreich gewesen. Zwar glaubte Emma nicht wirklich daran, aber sie konnte nicht leugnen, dass sie Nick seit dem versuchte aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen aus dem Weg zu gehen. Was angesichts des Umstandes, dass sie diese Tatsache für völligen Blödsinn hielt, auch nicht gerade viel Sinn machte.

      Gott, seit wann war ihr Leben so kompliziert geworden?

      Okay, zugegeben es war nie besonders einfach gewesen.

      Mit zu erleben wir die eigene Mutter starb, worauf man in einem Kinderheim ohne weitere Familie aufwachsen musste, nur um dann mit 18 Jahren auf sich allein gestellt zu sein, mit nichts als einem Schulabschluss und monatlichen 200,00 EUR Kindergeld in der Tasche, war alles andere als leicht.

      Dennoch hatte sie es geschafft.

      In den letzten Jahren war es sogar ziemlich normal geworden. Sie besaß eine nette kleine Wohnung, einen Job den sie liebte und die beste Freundin, die man sich nur vorstellen konnte.

      Bea war in jeder Hinsicht ihr Rettungsanker. Der Mensch, der ihr geholfen hatte das alles zu überstehen.

      Das Kinderheim war ihr zu Hause, aber es war auch ein Ort, der sie ständig daran erinnerte, dass sie niemanden auf der Welt hatte zu dem sie gehörte.

      Die meisten Kinder waren kaum länger als ein paar Monate geblieben. Wie sollte man da Freunde finden?

      Sie hatte versucht, das Beste daraus zu machen, sich einzureden, dass sie dafür immer neue Freunde kennen lernen durfte, aber manchmal war ihr das eben nicht gelungen.

      Emma war gerade 10 Jahre alt, als Bea in ihr Leben trat. Sie kam zu ihnen nach dem ihre Mutter gestorben war und ihr Vater erst einmal wieder mit sich selbst klar kommen musste. Was beinahe drei Jahre dauerte. Für Emma war dies die glücklichste Zeit ihres Lebens. Bea und sie wurden unzertrennlich. Zumindest bis zu dem Moment, als Bea´s Vater sie zurückholte.

      Danach brach für sie zuerst ihre mühsam aufgebaute kleine Welt zusammen, doch Bea hatte sie nicht im Stich gelassen. Beinahe jedes Wochenende kam sie zu Besuch oder lud Emma zu sich ein. Solange, bis Emma volljährig wurde und das Heim verlassen musste.

      Sie hätte nicht gewusst, was sie machen sollte. Wie auch, ohne Dach über dem Kopf. Frei nach dem Motto: Friss oder Stirb. Sie hatte sich für Ersteres entschieden. Hatte zugegriffen, als Bea ihr die Hand entgegenstreckte und sie nie wieder losgelassen.

      Zusammen waren sie zur Uni gegangen um Erziehungswissenschaften zu studieren und während die anderen ihr Leben mit Partys und Alkohol genossen, arbeiteten sie Doppelschichten um ihr Studium und die Wohnung zu finanzieren, die sie sich angemietet hatten.

      Also okay, ihr Leben war vielleicht auch vorher schon schwierig gewesen, aber dieses Mal war es einzig und allein auf emotionale Weise zurückzuführen, was vollkommen unrelevant sein sollte. Es aber nicht war.

      Auf dem Weg ins Kinderheim versuchte Emma sich weiterhin einzureden, dass sich nichts verändert hatte. Sie ging weiterhin jeden Tag zur Arbeit, Bea war nach wie vor ihre beste Freundin und sie besaß immer noch die gleiche nette kleine Wohnung wie die letzten zwei Jahre.

      Trotzdem fühlte es sich nicht mehr so an. Auch wenn nach außen hin alles gleich blieb, spürte sie doch tief in ihr drin, dass es nicht mehr stimmte.

      Alles was ihr wichtig war, fing an, langsam zu zerbrechen.

      St. Jose würde vermutlich bald geschlossen werden, Bea und sie müssten sich dann anderweitig nach Jobs umsehen, was sie zwangsweise trennen würde und ihre so mühsam aufgebaute Selbstkontrolle geriet durch das Zusammentreffen mit Max ebenfalls ziemlich ins Wanken. Als sie daher jetzt die Zufahrt hoch lief, verspürte sie nicht wie sonst Vorfreude, sondern einen gewissen Hauch von Melancholie. Das Leben war schon manchmal merkwürdig. Immer dann, wenn man glaubte, es wäre endlich perfekt, gab es einem deutlich zu verstehen, dass so etwas wie Perfektion einfach nicht existierte.

      Emma-Sophie lief den alten, ziemlich ramponierten Teerweg entlang und steuerte zielstrebig auf das ebenfalls bereits sehr morsche Holzgatter zu, dass von zwei Betonpfosten gehalten wurde. Rings herum war das Gelände mit einem notbedürftig reparierten Maschendrahtzaun und einer leicht vermoderten Hecke umzingelt. Ja, es war kein schöner Anblick, aber eben dennoch ein zu Hause für viele Kinder. Und auch wenn es draußen nicht sehr einladend wirkte, traf das nicht auf die liebevoll eingerichteten Wohnräume und Zimmer zu. Das alles sollte einem riesigen Einkaufszentrum weichen. Als ob es davon nicht bereits genug gab. Das Gatter quietschte fürchterlich, als Emma es öffnete und kurz darauf hinter sich wieder schloss. Es war erst halb sieben Uhr morgens und noch alles dunkel. Normalerweise fing ihr Arbeitstag erst um halb acht Uhr an, aber da sie sowieso kein Auge mehr zugebracht hatte, konnte sie genauso gut Gretchen zur Hand gehen, die mit den Kindern im Heim wohnte und sich täglich um das morgendliche Ritual kümmerte.

      Gerade als sie die zwei Stufen zum Haupteingang hochlaufen wollte, verspürte sie plötzlich so ein komisches Gefühl und als dann auch noch wie aus dem Nichts die Schaufeln vor dem Geräteschuppen umfielen wäre Emma beinahe vor Schreck über die Schwelle gestolpert. Gerade noch rechtzeitig konnte sie mit der rechten Hand nach dem Geländer greifen und sich festhalten. Was um alles in der Welt war das? Sie starrte auf die am Boden liegenden Spaten und warf dann einen Blick auf die Bäume im Garten. Kein einziger Ast bewegte sich. Es war also unmöglich, dass diese Geräte durch den Wind umgestoßen wurden. »Hallo? Ist da jemand?« Vorsichtig richtete sie sich wieder auf und bewegte sich langsam in Richtung des Schuppens. Leider hatte sie nichts bei sich, womit sie sich nötigenfalls verteidigen konnte, was vermutlich ziemlich dumm war, wenn man auf einen vermeintlichen Einbrecher zumarschieren wollte. »Hallo?« rief sie noch einmal. Keine Antwort. »Falls sie hier glauben etwas stehlen zu können, irren sie sich. Hier gibt es absolut nichts was einen Wert hätte.« Emma erreichte den Holzverschlag und wollte gerade nach den Schaufeln greifen, als sie von hinten einen Lufthauch spürte. Erschrocken wirbelte sie mit samt der Schaufel in der Hand herum, bereit zuzuschlagen. Doch da war niemand. Stattdessen donnerte das Eisen schwungvoll gegen die Holzwand und an der Pforte erschien eine ziemlich irritiert wirkende Schwester Margarethe am Türrahmen. »Was in Gottes Namen veranstaltest du da mein Kind?« Tja,