Boat People. Sharon Bala

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Название Boat People
Автор произведения Sharon Bala
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963114441



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präzise Geometrie und blendend weiße Helligkeit. Alles war auf Hochglanz poliert, auch der Fußboden.

      Das erinnerte ihn an eine Raumstation in einem alten Stanley-Kubrick-Film, den er zusammen mit Chithra im Kino gesehen hatte, als sie noch nicht verheiratet waren. Voller Spannung hatten sie in der Dunkelheit verfolgt, wie der teuflische Computer auf dem Raumschiff lebendig wurde. Im entscheidenden Augenblick, als er einen der Astronauten in den Raum stieß, schlug ein Mann, der hinter ihnen saß, mit den Beinen aus, so dass Chithra in ihrem Sitz nach vorn flog und vor Schreck laut aufschrie. Mit Schaum vor dem Mund schlug der Mann um sich, der Film musste unterbrochen werden, bis man ihm ein Schlüsselbund zwischen die Zähne gestopft hatte. Mahindan und Chithra waren mit dem Bus nach Hause gefahren, ohne das Ende gesehen zu haben.

      Ist das wirklich ein Gefängnis?, fragte Ranga. Mahindan gab keine Antwort. Er trat etwas näher an den Zeitungsmenschen heran, der vor ihm stand.

      Dann ging es in Einzelreihe, einer hinter dem andern, unter langen, über ihren Köpfen hängenden Leuchtröhren in einen endlosen Korridor, vorbei an Türen rechts und links, durch deren viereckige Sichtfenster Mahindan Doppelstockbetten und Wasch­becken sehen konnte.

      Er fragte sich, wie es wohl im Frauengefängnis aussah, und er machte sich Sorgen, wie Sellian ohne ihn zurechtkam. Neun Monate lang, seit dem Tag, als sie auf den Lastwagen der Vereinten Nationen aus Kilinochchi fliehen konnten, waren sie unzertrennlich gewesen. Jetzt fühlte sich Mahindans Hand, die Sellian immer gehalten hatte, entsetzlich leer an.

      Die Männer wurden in einen Waschraum geführt, wo sie sich gruppenweise waschen konnten. Als Mahindan an der Reihe war, knöpfte er das Hemd auf und zog so heftig am Gürtel, dass Hose und Unterhose sich mit einem Zug lösten. Seit Monaten hatte er die Sachen nicht wechseln können. Sie abzustreifen war, als schälte er sich aus einer schmutzigen Hautschicht heraus. Feuchter, modriger Gestank stieg ihm in die Nase.

      Splitternackt stand er da, fühlte sich entblößt und erleichtert zugleich. Jetzt, wo es ans Waschen ging, merke er erst richtig, wie viel Dreck sich überall an seinem Körper festgesetzt hatte – in den Ohren, unter den Fingernägeln, in der Gesäßspalte. Kräftig rieb er sich die Arme ab und hatte kleine Dreckklümpchen an den Fingern, den Schweiß und den Staub von Monaten.

      Der Aufseher zeigte auf einen Abfalleimer, und Mahindan warf alles hinein: Hemden, Hosen, Schuhwerk alles. Die Sandalen versanken darin und er hoffte, man würde alles verbrennen.

      Er bekam ein Handtuch und ein Stück Seife und trottete, zusammen mit elf anderen Männern, in einen gefliesten offenen Raum. Der Fußboden war nass. An der Wand waren auf Brusthöhe große runde Drehscheiben und Haken für die Handtücher angebracht. Mahindan hockte sich hin, aber es gab keinen Eimer und keinen Wasserhahn.

      Das Wasser kommt aus der Decke, rief der Zeitungsmensch von der anderen Seite des Waschraums. Alle standen sie mit dem Gesicht zur Wand und dem nackten Rücken den anderen zugekehrt. Ganz oben über seinem Kopf entdeckte Mahindan den Wasserhahn. Mit dieser kanadischen Waschvorrichtung konnte er überhaupt nichts anfangen.

      Ihr müsst an der Scheibe drehen, rief der Zeitungsmensch. Mahindan hörte es regnen, drehte sich um und sah den Zeitungsmenschen unter einem Wasserfall stehen, sah, wie er sich mit der Seife kräftig die Achselhöhlen rieb, so als hätte er das schon oft getan.

      Mahindan trat zur Seite und drehte vorsichtig an der Scheibe. Das Wasser schoss aus dem Hahn. Er streckte die Hand aus und fühlte, wie warm es war.

      Ihr müsst euch drunterstellen, rief der Zeitungsmensch.

      Mahindan sah, wie die anderen der Anweisung folgten, und tat es auch. Er hielt die Luft an und trat unter das herabströmende Wasser. Es schlug hart auf ihn ein und er musste schlucken, um nicht aufzuschreien. Alles, was er jetzt hörte, war der Wasserstrahl – laut, unangenehm, feindselig.

      Er seifte sich ein, bis es schäumte – Monate von Blut und Krieg rannen schlammig schwarz in den Abfluss in der Mitte des Raumes. Die Schrecken von Sri Lanka wurden weggewaschen mit ­kanadischen Wassern, verschwanden in kanadischen Abflussrohren.

      Er seifte sich die Haare kräftig ein, Schaum triefte ihm vom Bart. Der Aufseher rief irgendetwas, dann kam von weit her und von Wasser überströmt die Stimme des Zeitungsmenschen: Beeilt euch mal, draußen warten noch mehr.

      Mahindan stand auf einem Fuß und säuberte sich die Zehen. Er rubbelte die Seife von den Fingernägeln. Es war anstrengend, das alles unter dem peitschenden Wasser und mit geschlossenen Augen zu bewerkstelligen. Er dachte an die Eimer auf dem Schiff – und den Luxus des einfach aus der Wand strömenden sauberen Wassers hier. Wie viel besser es doch in diesem neuen Land war, trotz der unangenehmen Wäsche im Stehen.

      Notdürftig mit ihren Handtüchern bedeckt, wurden sie in einen Ankleideraum geführt. Mahindan fühlte sich wohl wie nie in seiner eigenen, glatt geschrubbten, um einige Töne helleren Haut. Einer nach dem andern mussten sie sich an eine Messleiste an der Wand stellen und dann die Füße in eine Metallvorrichtung setzen. An einem Schalter reichte ein Mann in Uniform jedem ein Bündel durch die Fensteröffnung: graue Hose, grüner Pullover, Turn­schuhe.

      Mahindan bewunderte die langen weißen Schnürsenkel mit ihren durchsichtigen Plastikröhrchen an beiden Enden. Er zog die Schuhzunge hoch und schlüpfte mit dem Fuß in den bequemen, warmen Schuh. Er fädelte die Schnürsenkel ein, betrachtete das Etikett an der Ferse und war überrascht, dass es keine Schuhe von Bata waren.

      Noch nie hatte er solche Schuhe getragen und fragte sich, ob Sellian so etwas Ähnliches bekommen hatte, ob er auch diese komische Körperwäsche im Stehen über sich hatte ergehen lassen müssen, ob sie ihm Angst eingejagt hatte, ober er geweint hatte. Der Gedanke an Kumurans Frau löste ungute Gefühle in ihm aus, er wusste nicht, wie diese Frau mit seinem Jungen umgehen würde. Die Erinnerung daran, wie Sellian unter Schluckauf die Tränen zurückgekämpft hatte, schnürte ihm die Brust zu. Aber Sellian und der Sohn dieser Frau sind ja befreundet, sagte er sich. Und außerdem war es auf kurze Zeit. So als hätte er den Jungen in ein Internat geschickt.

      Internat, sagte er sich noch einmal. Machten die Eltern sich den ganzen Tag Sorgen, wenn ihre Kinder in so einem Internat waren? Nein, das taten sie nicht.

      Der Aufseher gab ihnen ein Zeichen, alle drehten sich wie auf Kommando um und sahen: zwölf Männer in derselben Uniform, mit tropfenden Bärten und nass auf der Stirn klebenden Haaren.

      Sie brachen in ein ohrenbetäubendes Gelächter aus. Mahindan bog sich vor Lachen, krümmte sich in rasenden Zuckungen. Nach allem, was er durchgemacht hatte – dem schreienden Baby an der Brust der toten Mutter, dem zerfetzten Zelt, den Monaten auf dem Meer –, nach all dem waren sie nun hier. In einem Land, wo es Regen im Haus gibt und für jeden den gleichen grünen Pullover. Mahindan stützte sich auf einer Seite ab, richtete sich auf und sah, wie der Aufseher sie ratlos anstarrte.

      Dann ging es zurück in den langen Korridor. Ihre Gummisohlen quietschten auf dem Linoleum. Sie hielten vor jeder Tür an, und je drei wurden hineingewiesen. Einige der Männer lachten noch vor sich hin. Mahindan strich mit der Hand über seinen Pullover, spürte den Arm im Ärmel, die weiche Baumwolle auf der Haut. Ich bin kein Tier, dachte er. Und zum ersten Mal seit langem fühlte es sich an wie die Wahrheit.

      Er kam in eine Zelle zusammen mit Ranga und dem Zeitungsmann. Drei schmale Betten aus Metall, eins doppelstöckig, eins einzeln, mit grauen Decken und weißen Kopfkissen. Die Wände waren aus Beton.

      Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, nahmen sie ihre Betten ein. Mahindan kletterte auf das obere Bett und rollte sich seitlich darauf. Seine Beine brummten vor Erleichterung und Erschöpfung. Jetzt merkte er, wie weh sie ihm taten. Der ganze Körper gab nach, überließ sich hemmungslos und total dem Bett. Die Tür schlug zu.

      Die Zelle war, wie bei einer öffentlichen Toilette, oben offen. Mahindan starrte auf die Belüftungsrohre über seinem Bett, bis sie in seinen Augen verschwammen. Er hörte die gedämpften Schritte der Männer draußen im Korridor, er hörte, wie seine Zimmergenossen sich in ihren Betten umdrehten, er hörte das Rascheln des Bettzeugs, das Knarren des Bettgestells. Es war das Knirschen des Schiffes, das Rauschen der Palmenwedel über ihm. Eine Kokosnuss fiel zu Boden, und Mahindan