Boat People. Sharon Bala

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Название Boat People
Автор произведения Sharon Bala
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783963114441



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frisch und ausgeruht, die Augen waren klar, die Fingernägel geschnitten und sauber. Priya fragte sich, ob das richtig war. Würden die Entscheider diese Flüchtlinge nicht mit mehr Mitgefühl behandeln, wenn sie sie so sähen, wie sie selber sie gesehen hatte, als sie dreckig und zerschlagen in Esquimalt vom Schiff geführt wurden?

      Prasad schüttelte ihnen kräftig die Hand und sprach sie auf Englisch an. Good morning, good morning. Very nice to see you.

      Die anderen blieben etwas weiter zurück, reckten die Hälse nach der gigantisch hohen Decke und schlurften mit den Schuhsohlen über die Fliesen, als wollten sie deren Qualität testen.

      Prasad war der Einzige, der von dem umgebenden Luxus unbeeindruckt blieb. Schließlich hatte er als studierter Journalist in Colombo gearbeitet und sprach fließend Englisch. Gigovaz hatte gleich zu Priya gesagt: Das ist unser bester Kandidat. Unser Mustermigrant.

      Um sie herum liefen Büroarbeiter, vertieft in ihre Smartphones und Zeitungen. Wie eine Reisegruppe, schoss es Priya durch den Kopf, und Gigovaz ist der Reiseleiter. Prasad bombardierte sie mit Fragen. Wie lange hatte Kanada von dem Schiff gewusst? Warum waren sie ihnen nicht entgegengekommen, warum hatten sie ihnen nicht schneller Hilfe geschickt?

      Mahindan und Savitri lösten sich aus der Gruppe und steckten ihre Köpfe zusammen. Mahindan war offensichtlich erregt und bekam seine zitternde Hand nicht unter Kontrolle. Savitri zog nur die Schultern hoch und wandte ratlos die Handflächen nach oben. Was ist mit den beiden?, dachte Priya. Aber sie wusste ja, dass Savitri sich um Mahindans Sohn kümmern sollte. Hatte man inzwischen einen Besuch arrangiert? Priya empfand ein leises Schuldgefühl, hatte sie diese Sache doch nicht weiterverfolgt. Im gleichen Atemzug aber kam auch die Irritation: Sie war nicht als Sozialarbeiterin hier.

      Ranga humpelte hinüber, klopfte Savitri leicht auf die Schulter und massierte, während er zu ihr sprach, sein Bein. Er war in einem Dorf in Mannar Obst- und Gemüsehändler gewesen. Eines Nachts war sein Gemüsestand beschossen und total vernichtet worden. Als ich am Morgen dahin kam, war alles weg, hatte er ihnen erzählt, dem Erdboden gleich gemacht. Was konnte ich da tun? Ich war am Ende.

      Der will wissen, was Mr. Gigovaz neulich gesagt hat, sagte Charlie. Über ihre Ausweise.

      Wir geben ihre Namen nicht an die Regierung von Sri Lanka weiter, sagte Priya schnell. Wenn Sie noch Familienangehörige in Sri Lanka haben, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, dass denen etwas passiert.

      Ranga wollte noch etwas sagen, aber Gigovaz sah auf seine Uhr und verkündete, es sei Zeit hineinzugehen. Mr. Mahindan, Sie sind der Erste. Ms. Jones wird den anderen hier draußen Gesellschaft leisten.

      Wie erwartet, war der Anhörungsraum ein trüber, fensterloser Kasten mit quadratischen, in die Styropor-Deckenfliesen eingelegten Leuchtkörpern. Vier lange Tische waren zu einem Quadrat zusammengestellt, an jedem Sitzplatz war ein Mikrofon angebracht. Der Raum hatte etwas unterirdisch Beklemmendes an sich, wie eine enge Kellerwohnung.

      Als sie eintraten, verdrehte sich eine Herde Reporter die Köpfe nach ihnen. Die Besetzung war komplett: die Reporter, eine Stenotypistin, ein Schnellzeichner und ein weißblonder Mann mit dünnem Schnurrbart, den Gigovaz als den Dolmetscher vorstellte. Er saß neben Mahindan und hatte zwei dicke Wörterbücher, einen Notizblock und einen Schreibstift vor sich liegen, alles im rechten Winkel zur Tischkante.

      Auf ihren Gegenpart weisend, sagte Gigovaz: Amarjit Singh von der Grenzschutzagentur.

      Der Grenzschutz – die für die Bewachung der äußeren Landesgrenzen verantwortliche Instanz, die offiziellen Rausschmeißer. Priya hatte sich am Abend zuvor hingesetzt und sich die Namen aller Beteiligten eingeprägt.

      Eine Uhr tickte träge an der Wand. Sie warteten auf den Entscheider. Es gab acht Entscheider, und wen von ihnen ein Antragsteller an einem gegebenen Tag zugeordnet bekam, entschied das Los.

      Wir haben eine Neue, sagte Gigovaz, Grace Nakamura.

      Ist das gut oder schlecht?, fragte Priya.

      Er runzelte die Stirn und knurrte: Von der Regierung eingesetzt, handverlesen von Blair.

      Die Reporter hatten ihre Smartphones in einer Box neben dem Wachtposten ablegen müssen. Ihre Augen hielten sie fixiert auf Mahindan und kritzelten gelegentlich etwas in ihre Notizblöcke. Die Namen der Antragsteller durften nicht veröffentlicht werden. Die Reporter mussten ihre Beiträge mit größter Umsicht formulieren. In der von der Haftanstalt bereitgestellten Kleidung, einem grünen Pullover und einer grauen Jogginghose, saß der Migrant mit auf dem Schoß geballter Faust am Anhörungstisch.

      Am anderen Ende des Raumes ging eine Tür auf, und die erwartete Person trat ein. Sie trug einen schneidigen Hosenanzug und hatte ihr Haar straff zu einem Knoten gesteckt. Ein Wachtposten folgte ihr, schloss die Tür und stellte sich, die Hände in den Hosentaschen, davor auf.

      Nakamura hatte den besten Platz im Haus – einen Sessel mit hoher Rückenlehne und gepolsterten Armlehnen. Sie war klein von Statur, aber sie beherrschte den Raum mit der Präsenz einer weit größeren Person. Auch ohne erhöhten Sitz, ohne Robe oder Hammer, strahlte sie richterliche Strenge aus. Aber sie ist keine Richterin, und das ist kein Gericht, sagte sich Priya. Dies ist eine Anhörung der Verwaltung, allerdings in der zwielichtigen Grauzone zwischen Bürokratie und Gesetz.

      Nakamura sprach in ihr Mikrofon: Die Sitzung wurde einberufen zur Haftüberprüfung für Mr. … Sie schaute in ihre Papiere und kämpfte sich konzentriert, mit leicht gerunzelter Stirn, durch den Namen, Mr. Poom…am…ba…lam Ma…hindan. Zuerst aber die Aufnahme der Anwesenheit, sagte sie dann.

      Der Dolmetscher hieß Nigel Blacker. Nakamura bat ihn und Mahindan zu bestätigen, dass sie sich verständigen konnten, worauf die beiden ein paar Worte wechselten. Priya fiel auf, wie eigenartig es doch war, so ein perfektes Tamil ungezwungen und natürlich aus dem Mund eines blonden Mannes zu hören. Was er und Mahindan sich sagten, verstand sie nicht.

      Als sie noch bei Elliot, McFadden, and Lo war, hatte Joyce Lau die Fusion von Henley und SunEx abgewickelt. Anderthalb Wochen davor hatte Priya die Checkliste für die erforderlichen Genehmigungen abgehakt. Warum war sie jetzt hier? Charlie hatte ein viel größeres Recht darauf, in diesem Raum zu sitzen als sie.

      Nakamura sagte: Wir beginnen mit Ms. Singh von der kanadischen Grenzschutzagentur.

      Singh lehnte sich nach vorn und drückte auf den roten Knopf ihres Mikrofons. Der Minister für öffentliche Sicherheit ist der Meinung, dass die Identität des Antragstellers nicht etabliert ist.

      Gigovaz wartete, bis Blacker das übersetzt hatte, und sagte dann: Mein Klient hat umfassenden Nachweis seiner Identität vorgelegt …

      Singh schnitt ihm das Wort ab und richtete sich an Nakamura: Außerdem befürchtet der Minister, dass dieser Migrant versuchen wird, das ordentliche Aufnahmeverfahren durch Untertauchen zu umgehen.

      Aus welchem Grund?, fragte Gigovaz.

      Es gibt Indizien dafür, dass das Schiff Teil einer Schlepperaktion war. Wenn das der Fall ist, läuft jeder von Bord Gefahr, dass er gezwungen wird, sich weiteren Anhörungen zu entziehen.

      Mahindan verfolgte mit angespannt hin und her schnellenden Augen den Wortwechsel zwischen Singh und Gigovaz. Dann hörte er aufmerksam der Übersetzung von Blacker zu. Dabei wechselte seine Miene abrupt zwischen erschrocken, gespannt, hoffnungsvoll und hilflos.

      Priya hätte sich gern zu ihm gebeugt und ihn beruhigend an den Arm gefasst, wie Charlie es mit Hema getan hatte, aber sie wagte es nicht. Stattdessen beobachtete sie fasziniert den Dolmetscher. Blacker nahm die Haltung der Person an, die gerade gesprochen hatte, und gab dann seine Übersetzung im Ton und mit der Gestik dieser Person wieder. Was war seine Story? Was steckte hinter diesem Wikinger mit seinem akzentfreien Tamil, seinen perfekt vibrierenden R’s?

      Gigovaz sagte: Ich fordere den Minister auf, Beweise zu erbringen. Ohne diese bleibt es ein Gerücht.

      Uns sind an Bord aufgenommene Fotos zugekommen, sagte Singh. Daraus ist ersichtlich, dass an dem Schiff extensive Renovierungen vorgenommen wurden. Es war zum Beispiel nachgerüstet mit Sanitäranlagen für eine lange