Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Der that, was einem Einsiedler zukam, er aß Wurzeln und Kräuter und betete. Er sah gar wild und bärtig aus und hatte fast das Sprechen verlernt. Der Mann aus Trawies behelligte ihn nicht, und da er sich überzeugt hatte, daß dieses Menschenthier einen Beistand nicht bedurfte oder ihn verschmähte, stieg er stets beruhigt in sein fernes Thal hinab. Einmal, als er wieder hinaufgekommen war, fand er den Waldmenschen todt, aber in einer Stellung, vor der er erschrak und die er niemanden verrathen hatte. Er ließ ihn zu Thale tragen und auf dem Kirchhofe zu Trawies begraben. Das Haus im Ritscherwald jedoch merkte er sich, und da es nun galt, den Wahnfred in Sicherheit zu bringen, wählte er es diesem zum Asyle. In dieses Haus trat Wahnfred, der Schreiner aus dem Gestade an der Trach nun ein. Es graute ihm vor dem Modergeruch, der da hervorwehte, und er riß die Schuber der Fenster auf. Dann machte er Feuer an, und da die Flamme prasselte, der Hertha heiliger Geist, da ward ihm wohler.

      Der Herd war größer, als man es in der Wohnung eines Wurzel- und Kräuteressers hätte vermuthen mögen, er war gut eingewölbt und hatte sogar eine Vorrichtung für den Abzug des Rauches. Daneben war auf einem Gestelle ein Mooslager, ein Betschemel vor dem Holzkreuze an der Wand, ein Tisch, ein Schrank, und es fand sich auch manch Anderes, welchem sich der Mensch damals schon angelebt hatte. Ja, die mit glatten Tafeln beschlagenen Wände, das Glas in den Fenstern, der gut gedielte Fußboden und anderes waren Dinge, die man sonst in der Einsiedlerklause nicht zu finden pflegte. Wahnfred legte die Nahrungsmittel und andere Dinge aus, die er mitgebracht hatte, das Schußgewehr lehnte er zur steten Bereitschaft an die Ecke der Wand; machte sich dann so bequem als möglich, um nach der mühevollen Wanderung zu rasten.

      Als es still wurde und die Flammen verflogen waren, starrte er in die Gluth. Und nun – kaum zwei Stunden nach seinem Einzug in dieses Haus – überkam ihn das Grauen der Einsamkeit, die Sehnsucht nach den Seinen. Denn hier in dieser öden Ruhe das erstemal, als ob es nun der Gluth entstiege, schaute er jene Szene am Altare – das Bild in seiner gräßlichen Lebendigkeit. Im Dunkel der Nacht hatte er sich neben dem eintretenden Pfarrherrn in die Sacristei geschlichen. Im Winkel hinter dem großen Kasten, in welchem die kirchlichen Kleider aufbewahrt sind, stand er wie eine schwarze Säule und kein Strahl der Altarkerzen fiel auf ihn. Als das Glöcklein klang, schlug er mit Rechten das Kreuz, während seine Linke unter dem Mantel krampfhaft die Axt festhielt. Bei der Aufwandlung, da der Priester die Hostie emporhielt, kam ihm der Gedanke: Laß fahren. Thu’s nicht! – Aber da er durch die Fuge der halb offenen Thür den Kelch heben sah, fiel ihm ein: Christi Blut! Blut muß fließen, daß die Welt erlöst sei. Beim Agnus dei schlug er auf seine Brust und betete, daß nicht Haß- oder Rachegefühl seinen Arm lenke. Und als er sah, wie der Priester in Demuth sich neigte, um des Herrn Leib aufzunehmen, wärmte sich sein Herz in Mitleid und Liebe, und er freute sich, daß dieser Geist in ihn gekommen war und seine That zu einem edlen Werke weihen wollte. Mit ausgebreiteten Händen wandte sich der Priester gegen das Volk und der Chor sang: »Selig die Todten, die im Herrn sterben. Ruhen sollen sie von ihrem Leide und ihre Thaten werden mit ihnen eingehen in die ewigen Ewigkeiten!« Wahnfred hatte den Ausgang ins Freie vorbereitet und sich dann in der dunklen Sacristei hingestellt an die Thüre, durch welche vom Altare her der Priester kommen mußte. Dieser hob die heiligen Geräthe, stieg nieder von den Stufen und schritt heran. Wahnfred faßte das Beil mit beiden Händen, trat ein paar Schritte zurück und stürzte dann auf sein Opfer hin ... Einen Schrei stieß Wahnfred aus, da er nun an der knisternden Gluth saß und sein Angesicht verhüllte er mit den Händen, denn er sah den Blick, welchen der Sterbende auf ihn geworfen, und er sah hinfallen den Kelch auf die Stufen und hinfallen die Seele in die Gluthen. Daß er einen Menschen vielleicht in die Hölle hätte geschickt! Als Seelenmörder zitterte und wimmerte er vor der knisternden Gluth.

      Tief erschöpft vor Anstrengung und Aufregung sank er endlich in den Schlummer. –

      So lebte er nun. Das fröhliche Feuer auf dem Herde, das er nicht verlöschen ließ, war sein einziger Genosse und Freund. Raben umkreisten die Baumgruppe, in welcher der Rauch emporstieg. In den Nächten heulten die Wölfe und nicht selten hörte der schlaflose Wahnfred die Sprünge und das Röhren der draußen durch Raubthiere vorübergejagten Hirsche. Mehrmals des Tages ging er selbst ins Freie, um Holz zu sammeln, oder um in einem roh ausgehöhlten Gefäße, das er vorgefunden hatte, vom Bächlein her Wasser zu holen, oder um die Gegend zu untersuchen, ging auch mit dem Gewehre auf Jagd aus und kam selten ohne Beute zurück. Der sonst so ahnungsreiche Mann, ahnungslos spielte er mit den Kohlen seines Feuers, während unten die Männer von Trawies verhängnisvolle Körner aus dem Kelche zogen. Er schlief ruhig zu jener Stunde, da unten in der Kirche der Tod, den er zum Altar gesandt hatte, dort die Opfer heischte. Nur einmal, als er auf dem Block vor seinem Hause saß und hinausblickte in das weite stille Schneegefilde und in den bleigrauen Himmel hinein, war ihm plötzlich, als höre er das Glockengeläute von Trawies. Es klang so wunderlich in der Luft, jede der drei Glocken ganz deutlich zu vernehmen, aber als Wahnfred aufsprang, um zu horchen, war es vorüber.

      Die alte Schrift sagt: »Das seyn gewest die Klocken von Trawies, so verbannet worden, gleichsamblich in die Wildnussen entfleuchend.«

      So nahte die Zeit, in welcher die Christenwelt das Weihnachtsfest begeht. Wahnfred mußte nicht einmal genau den Tag, im Verstecke bei Feuerwart und in der Wildniß war ihm die Zeitrechnung abhanden gekommen. Er sehnte sich so sehr danach, in jener Nacht, in welcher alle Christen zum Jesukinde beten, auch miteinzustimmen, wenngleich in der Einsamkeit und Verlassenheit. Auf dem Wege zu Gott treffen ja Alle zusammen und finden sich und umarmen sich geistig im Vaterunser, in diesem hohen Gebete, das allgemein wie Sturmgebraus und Vogelgesang um den Erdball schallt. – Und nun war Wahnfred so sehr in die Einsamkeit verstoßen, daß ihm nicht blos der Raum, daß ihn auch die Zeit von den Menschen trennen wollte. In jenen Tagen noch hielten die Gläubigen das Weihnachtsfest nicht wie heute für den willkürlich angekommenen und festgesetzten, sondern für den wahrhaftigen Jahrestag der Geburt des Herrn. Und so strenge schlossen sie sich an die Zeit, daß sie selbst in der Winternacht aufstanden, um genau die Stunde zu feiern, die uns den Heiland gebracht hat.

      Und diesen Tag und diese Stunde wußte Wahnfred nicht mit jener Bestimmtheit, wie es sein religiöser Sinn verlangte. Nach vielfachen Erwägunen stellte er endlich einen Tag als den heiligen Abend fest. Und an diesem Tage ging er mit kräftigem Stocke bewaffnet aus dem Hause. Die Luft war kalt, der Himmel klar, der Schnee fest gefroren. Er schritt über die weiten Blößen hin, er stieg den felsigen Hang hinan zur Höhe des Donnersteins, von der er weit ins Land sah. Die Trawieser Gegend selbst lag zu tief, nur das Gewände des Trasank baute sich auf, und die Spitze des Johannesberges und ein Waldrücken des Tärn erhoben sich für das Auge. Darüber hinaus blaute das weite Land. Dort stehen die Kirchen und Klöster, die sich vorbereiten zur nächtlichen Feier, dort leben die Menschen, die an Weihgesängen sinnend, freudigen Herzens dem heiligen Feste entgegengingen. Jedes Haus wird ein Tempel, jede Familie umschlingt sich heute inniger als sonst.

      So war es auch am Gestade gewesen, wo jetzt aus dem Schnee die Brandstätte ragt ...

      Sonst war an diesem Tage, wenn die Sonne sich zu neigen begann, eine eigenthümliche Stimmung über die Gegend gebreitet. In den wachsenden Schatten lag ein wundersamer Zauber. Die Bäche unter dem Eise stellten ihr Flüstern ein und aus den Wäldern widerhallte die Stimme des Menschen nicht mehr. Es war, als ob in Erwartung des göttlichen Wiegenfestes die Natur den Finger an den Mund legte: Stille, stille!

      Heute aber? Heute war es, wie es zur Winterszeit in den Bergen immer ist. Wahnfred vermißte jene kindliche Stimmung, weil er sich, wie er glaubte, an dem Tage irren mußte.

      Es war ihm noch nicht zum Bewußtsein gekommen, daß dem Unglücklichen, dem eine That zur schuld geworden, das kindliche Himmelreich auf Erden für immer dahin ist.

      Während im weiten Lande schon das Meer der Dämmerung herrschte, lag auf der Kuppe, auf welcher Wahnfred stand, noch der lichte Sonnenschein. Da dachte er: Wenn Einer von den Menschen dort jetzt sein Auge erhebt, so wird er wohl im Hochgebirge das Alpenglühen sehen, aber er wird nichts dabei denken und er kann nicht wissen, daß hier in der kalten, leuchtenden Einsamkeit ein Verbannter steht. Daß ich diesem Feste, welches ich nun, wie es einem Einsiedler geziemt, andächtigen Herzens beginne und feiern will, daß ich ihm ein Denkmal setze, einen Altar, so nenne ich den Berg, auf den ich stehe, den Christtagberg.

      Er schrieb mit dem Stocke