Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Ermangelung eines anderen Schmuckes Tannenreisig an das rohgeschnitzte Kreuz. Er wußte nicht recht, was er beginnen sollte, um dem Weihnachtsgefühle Genüge zu thun.

      Er legte sich in derselbigen Nacht nicht zu Bette. Stets tat er frisches Holz ins Feuer, daß die Flamme lohte und leuchtete. Und dabei dachte er an Weib und Kind. Abseits von Herde zündete er jetzt auf einem Stein zwei Flämmchen an, das eine seinem Weibe, das andere seinem Kinde. Als sie im Verlöschen waren, wendete er sich ab, als wollte er nicht sehen, welches zuerst dahinging. So peinigte ihn selbst die Liebe. Er suchte auch die Bilder von Bethlehem in seinem Gedächtnisse wachzurufen, aber sein Herz blieb heute kalt. Ein anderes Bild, finster und blutig, umgaukelte die lieblichen Idyllen aus dem Morgenlande, und jene Engel, die in den Lüften schwebten und sonst bei den Menschen Frieden verkündeten, bliesen heute Posaunen.

      Wahnfred sah, daß er nicht mehr denken und träumen konnte wie sonst, und nicht mehr selig sein in diesem Träumen. Er sehnte sich nach einem Liede, wie sie sein Weib in dieser Nacht gern gesungen hatte, nach einem Erbauungsbuche, nach seiner Bibel sehnte er sich. Hatte denn der Mann, der vor ihm in dieser Klause gewohnt, keine Seele gehabt? Hatte er denn die ganze Aufgabe seines Lebens darin gesehen, Wurzeln und Kräuter zu kauen, vor dem Kreuze zu knien? Hatte er den gar keine Spur eines geistigen Lebens hinterlassen?

      Wahnfred durchsuchte noch einmal den Schrank, in welchem er sonst nur einen härenen Sack, ein paar Betschnüre und allerlei alltägliche Dinge gefunden hatte. Er wühlte heute das vertrocknete Moos auf, das sein Lager bildete und unter diesem Lager fand er zwischen zwei Holzbrettchen, die mit einer Schnur umwunden waren – Schriften. Nicht ein gedrucktes Buch, sondern ein Packet von Handschriften. Das war etwas Seltenes. Nicht viele Leute konnten lesen und die Schreibkunst war nur in Klöstern, Schlössern und Städten daheim. Trawies war eine wunderliche Ausnahme. Der Geist der Selbständigkeit, der in dieser Waldgemeinde seit jeher geherrscht hatte, wußte es wohl, daß die Kunst zu lesen, schreiben und rechnen eine Hauptnothwendigkeit geworden war für Jeden, der sein Stückchen Erde frei beherrschen wollte. und so stand ein des Lesens Kundiger vor den Schriften.

      Wahnfred legte frisches Holz in die Gluth, setzte sich ans Feuer, durchblätterte die grauen Papierstücke und las sie. Der Inhalt zog seine ganze Seele an ; sein Auge begann seltsam zu leuchten, bis der plötzlich aufsprang und ausrief: »Das ist die Wahrheit!«

      Wörtlich könnte es heute nicht mehr gegeben werden, was in diesen Schriften stand, denn die Blätter sind verbrannt worden. Der sie geschrieben hatte, war ein Phantast gewesen. In selbstverschuldetem Elend untergehend, hatte er Gott und Welt dafür verantwortlich machen wollen, hatte sich aufgelehnt gegen die menschlichen Satzungen und auch gegen jene, welche die göttlichen genannt werden. Und er hatte sich eine eigene Lehre erdichtet, die ihm anfangs zugesagt zu haben schien und an der er schließlich zugrunde gegangen war.

      Überschrieben war eine Abtheilung der Blätter, die etwas von dem wilden Humor eines zum Tode Verurtheilten in sich hatten, mit den Worten: Offenbarungen eines frommen Einsiedlers. Ihr Inhalt war der Hauptsache nach folgender:

      Gott hat den Himmel erschaffen. Deß war der Engel Oberster von Bosheit und Neid geplagt, hat seine Flügel ausgebreitet, hat ein Ei in den Himmel gelegt. Hierauf hat Gott den bösen Engel und sein Ei aus dem Himmel geworfen. Das Ei war groß und schwebte in den Lüften und das Ei war voll von Gluth und Schreckniß und hieß die Hölle. Da das Ei so schwebte, daß sein Äußeres von der Sonne beschienen wurde, so entstanden darauf allerlei Wesen, als Pflanzen, Thiere und Menschen, und das Äußere des Eies hieß die Erde. Der böse Engel aber ist Teufel genannt, und sobald von den Wesen der Erde eines gestorben war, warf er dessen arme Seele in die Höllengluth. Dagegen hat sich Gott aufgethan und gerufen: »Es ist unrecht, schuldlose Geschöpfe ins ewige Feuer zu werfen!« Darauf entgegnete der Teufel: »Was geht das Dich an! Ich habe das Ei gebrütet, es gehört mein! Du hast es mit mir aus dem Himmel geworfen, es gehört mein! Du hast es verflucht, es gehört mein!« Hierauf sprach Gott: »Das Ei gehört Dein. Aber die Wesen, die auf seiner Oberfläche gewachsen sind, gehören mein, denn meine Sonne hat sie erzeugt und großgezogen, in meinen himmlischen Sternen habe ich zu ihnen gesprochen und sie haben sich meines Lichtes gefreut und meinen Winken gelauscht.« Und der Teufel antwortete: »Was? Deine Sonne, die in der Nacht nicht scheint? Deine Sterne, die am Tage nicht leuchten? Die Wärme der inneren Gluth ist durch die Schale gedrungen und hat auf der Oberfläche die Wesen erzeugt und großgezogen. Ihr Blut und ihre Leidenschaften sind Gluth von meiner Gluth. Der Weizen wächst auf meinem Felde, den ernte ich!« Gott bedachte, daß der Teufel zum großen Theile Recht hatte und sprach: »Wohlan, wir wollen theilen. Behalte Du die Pflanzen und Thiere, ich nehme die Menschen.« »Wie Du schlau bist!« rief der Teufel, »nimm Du die Pflanzen und Thiere, just nach den Menschen gelüstet’s mich.« Hierauf sprach Gott: »Mit Dir will ich nicht streiten. Überlassen wir die Entscheidung dem Menschen selbst, Er empfindet Deine Höllengluth, er fühlt und sieht mein Sonnenlicht: sein Fuß steht auf der Erde, sein Haupt schaut gegen Himmel. Er soll wählen. Läßt er sich leiten von deiner Gluth, ergiebt er sich den Früchten Deiner Erder, so sei er Dein. Weist er Dein Feuer zurück, verschmäht er die Güte Deines Reiches, so sei er mein.« »Was soll das heißen?« Versetzte hierauf der Teufel, »Verschmäht er das Feuer, die Güte der Erde, so wird er nicht leben.« »Ja,« sprach Gott, »er wird sterben. Er wird in die Wildnisse gehen, wo ihm Deine Spur am seltensten begegnet, er wird sein Auge zum Himmel richten und freiwillig sterben. Und je mehr er erfüllt ist vom Hasse gegen Dich und von der Liebe zu mir, mit desto größerer Sehnsucht wird er von der Erde hinweg zu mir zutrachten. Und wenn es ihm gelingt, so selbstlos zu sein, daß er mit eigener Hand die blutigen Fesseln zerhackt, die ihn an Dich ketten, so fliegt er jauchzend in meine Arme und jauchzend werde ich ihn empfangen.

      Die zweite Abteilung der Schrift, welche Wahnfred unter dem Moose seines Lagers aufgefunden hatte, trug die Bezeichnung: Das Bekenntniß des Einsiedlers.

      Darin war Folgendes enthalten:

      «Wenn ich hier meine Lebensgeschichte aufschreibe, so thue ich es nicht, um sie der Welt als dem Reiche des bösen Feindes zu hinterlassen, sondern mein Wunsch ist, daß sie in die Hand eines Solchen falle, der wie ich die Erde flieht und dem Himmel zustrebt. Ein Anderer wird ja in dieses Haus der Einsamkeit nicht kommen. Und wenn Keiner kommt, so möge die Schrift vermodern, und ich trage mein Geheimnis mit zu Gott, der mich meiner Buße willen in Gnaden richte!

      Meine väterliche Burg steht zwei Tagesreisen von hier auf einem Felsen, an dessen Sohle der große Fluß rinnt. Es der einzige Felsen in dem fruchtbaren Lande, das, so weit man ihn schaut, der Burg unterthan ist. Wir sind die Grafen von Bechern, unser Urahn reichte am Hofe des römischen Kaisers Karl den Becher. Die Thaten unseres Geschlechtes verschweige ich, sie sind nur groß in den Augen der Welt. Nur meine Missethat bekenne ich und flehe mit jedem Athemzuge meines Mundes zu Gott um Verzeihung.

      Mein Vater hinterließ, als er zur Erde sank, zwei Söhne, meinen Bruder und mich. Mein Bruder war der ältere und der Herr auf Bechern. Er war ein Heißblut und ein Sprühgeist und that, von der Macht des Augenblicks erfaßt, die unglaublichsten Dinge. Seine Leidenschaft war heiß wie die Hölle, seine Jugend war reich an Freuden und Sünden und unter den schönen Weibern der Grafschaft gab es wenige, die nicht für seine Sünden büßten. Zerfahren an Leib und Seele fiel mein Bruder – er war damals im sechsundzwanzigsten Jahre seines Lebens – in eine schwere Krankheit. Ärzte und Priester kamen zu seinem Lager, die Einen um seinen Leib, die Anderen um seine Seele zu retten. Im wilden Fieberträumen tobte er, darauf lag er dahin, als wäre er schon gestorben, und in einer Nacht, da wir versammelt waren, um ihm die letzte Liebe zu erweisen, erhob er sich, streckte die Arme aus und blickte mit leuchtenden Augen gen Himmel. »Mein Gott!« so rief er mit heller Stimme, »mein großer, einziger Gott! Mein lieber Jesus! Meine heiligste, schönste Jungfrau Maria! Nehmt mich auf, ich will bei Euch sein! Die schnöde Welt, ich verachte sie! Ich dürste, dürste nach dem Reiche Gottes!« – Und sank hierauf erschöpft zurück aufs Kissen und lag dahin. Am nächsten Tage war die Krankheit gebrochen, mein Bruder schritt der Genesung zu. Aber als er genesen war, wurden seine Wangen nicht mehr so roth, wie sie sonst gewesen waren, sein Auge war noch glühender und er that mir die Absicht dar, seinen Lebenswandel zu ändern, in die Einsamkeit zu gehen und, wie die heiligen Büßer es gethan, Gott zu dienen in Kasteiung und Gebet. Ich hörte es und widersprach nicht. Ich pries die Gnade Gottes, die seine