Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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sie ein, so gut es ging, weil er dachte, in der Behaglichkeit habe der Mensch mehr Lust, Gott zu dienen und den Himmel zu erwerben, als in Elend und Widerwärtigkeiten. Die Arbeiter sandte er zurück, nachdem er ihnen den Eid abgenommen hatte, seinen Aufenthalt keinem Menschen auf der Welt zu verrathen. Und hierauf begann er sein Büßerleben und hatte Verzückungen, in welchen er den Himmel offen sah, in welchen der Heiland seinen Arm vom Kreuze loslöste, um ihn zu umarmen, in welchen die Jungfrau Maria ihm Rosen zuwarf und sich niederbeugte um ihn zu küssen.

      Ich lobte meinen frommen Bruder und war nun Herr der Burg und der Grafschaft. Auch ich genoß jene Freuden, die mein Bruder genossen hatte, aber ich genoß sie nicht im Rausche, sondern mit Bedachtsamkeit, und atzte somit auch meine Seele. Ich liebte ein schönes Burgfräulein aus nachbarlichem Gaue, das mich als den Herrn von Bechern erhörte. Wie war es schön, die Huldin an der Seite, hinter vier Rappen oder sechsen, dahinzurollen! Wie war es schön, auf hohem Rosse durch die Gegend zu sprengen und zu sehen, wie alles ehrfurchtsvoll den Herrn begrüßt, und in fröhlichem Muthe Einem oder dem Anderen mit der Peitsche Eins über den Rücken geben zu können! Alles hatte ich, was der Jugend und dem Ehrgeize wohl that, und nach Allem trachtete ich, was die Lust der Jugend und des Ehrgeizes noch erhöhen konnte. Einer der schon von Kindheit auf zur Herrschaft erzogen und mit dem Gedanken daran vertraut geworden ist, kann nicht jenes Glück empfinden, das ich als junger Herr auf Bechern empfunden habe. Und das lange Leben, das vor mir lag, wie sollte es reich und herrlich sein!

      So war es mondelang gewesen, da stand eines Tages mein Bruder vor mir. Das Leben da d’rin in der Wildniß habe ihm doch nicht behagt, es sei überaus langweilig, auch wären die Wurzeln und Kräuter seiner Gesundheit nicht zuträglich und so habe er sich entschlossen, wieder auf sein Gut zurückzukehren und sein frommes Leben auf der Burg fortzuführen. Er danke mir freundlich für die Verwaltung der Grafschaft, die ich während seiner Abwesenheit geführt hätte.

      Ich war wie aus den Wolken gefallen. Was ich ihm auf seine Worte geantwortet habe, weiß ich nicht mehr; was ich aber gefühlt und gedacht habe, beim Himmel, das weiß ich noch. Eher sterben, als gestürzt werden!

      Erst am nächsten Morgen besaß ich so viel Sammlung, daß ich hintreten konnte vor Den, der meinem begonnenen Lebensglücke so rücksichtslos in den Weg gesprungen war.

      »Bruder,« sagte ich, »was ich heute mit Dir zu besprechen habe, wir wollen es mit Ruhe abthun, wie es Rittern geziemt. Einer von uns Beiden ist auf diesem Schlosse zu viel.«

      Er verstand mich wohl und antwortete: »Wenn Du, mein lieber Bruder, in der väterlichen Burg nicht Platz zu haben wähnst, so laß’ Dir das Deine reichen und ziehe Deiner Wege.«

      »Das steht anders,« sagte ich, »denn der Herr auf Bechern bin ich. Du hast verzichtet auf die Güter und ein Ritter bricht sein Wort nicht.«

      »Wem habe ich mein Wort gegeben?«

      »Mir, stillschweigend, aber in der That, indem Du das väterliche Erbe herrenlos und schutzlos im Stiche ließest. Ich habe es bewahrt vor den Händen der Feinde, so ist es zu Rechten mir anheimgefallen. Dem Himmel hast Du laut Dein Wort gegeben, auf diese Welt zu verzichten.«

      »Bist Du der Anwalt des Himmels?« Sagte hierauf mein Bruder, »willst Du mich verantwortlich machen für das, was ich etwa im Fieber gesagt habe?«

      »Schurke!« rief ich, »Du bist immer im Fieber.«

      »Zum mindesten jetzt!« schnaufte er und riß sein Schwert aus der Scheide.

      Ich sprang einen Schritt zurück, erfaßte meinen Degen. Wir kämpften, ich stieß ihn nieder.

      Nun war ich Herr auf Bechern.

      Ich machte mich daran, das begonnene Leben fortzusetzen. Aber das war jetzt anders; die Lust und den Übermuth mußte ich heucheln, ich fühlte Unlust und Unmuth. An dem Busen der Huldin wollte ich wieder erwarmen, diese aber stieß mich zurück und sagte: Mörder liebe sie nicht.

      »Mein Bruder ist im Zweikampfe gefallen!« rief ich ihr zu.

      »Wer giebt deß Zeugniß? Wer hat es gesehen? Dir stand er im Wege, Du hattest die Absicht, ihn zu tödten, Du hast es gethan!«

      Ich schwieg, denn gegen die Wahrheit habe ich niemals gestritten. Sie rief es laut, was mir mein Gewissen im Innern vorwarf. Ich war Herr auf Bechern, aber die Braut floh mich, verachtete mich. Die Unterthanen grüßten mich kriechend, aber ihr Gruß war wie Hohn, jedem Auge merkte ich’s an, daß es an mir den Mörder sah. Die Nächte wurden mir vergällt durch schreckliche Träume und Erscheinungen. Ich kämpfte dagegen; Almosen gab ich. Messen ließ ich beten für meinen Bruder. Vergebens, meine innere Last wurde immer unerträglicher. Das Gemach hatte ich verschließen lassen, in welchem der Bruder gefallen; aber nun graute mich vor der ganzen Burg. Elend war ich, krank war ich, vor Gespenstern bebend, wankte ich selbst wie ein Gespenst umher. Meinem Schloßcaplan wollte ich das gerade nicht mittheilen, woran ich am schwersten trug, dazu war ich zu stolz, und ich wußte doch, daß er mir nicht vergeben konnte. Ach ja, es reiten so Viele unter der Sonne, die finstere Verbrechen auf der Seele haben, und freuen sich doch des Lebens! Ich war zu schwach dazu, vielleicht auch hatte mich Gott noch lieb und ließ das Gewissen nicht schweigen. Ich ertrug es, so lange ich vermochte, dann warf ich es ab. Verwandte und Freunde nahmen meine Güter in Besitz und erklärten mich für einen Narren. Da floh ich. Einen alten Hörigen nahm ich mit auf die Flucht, er fragte: »Wohin?« Ich lachte ihm ins Gesicht. »Von den Menschen weg, von Allen, auch von Dir und von mir selbst!« Da hat mich der Mann traurig angeblickt und hat mir dann mitgetheilt: wie es mit mir stünde, wisse er wohl einen Platz, der für mich passe. »Die Gruft,« rief ich. »Die Zelle,« sagte er. »Ins Kloster, wohin Jeder seine Sünden trägt?«

      »Ich habe es,« fuhr der Mann fort, »dem Herrn, Eurem Bruder geschworen, daß ich die Klause nicht verrathe, die er in der Wildniß für sich gebaut hat. Aber, da der Herr nicht mehr in der Zelle lebt, da er todt ist, so mag ich das Geheimnis auf Euch übertragen.

      Die Zelle, die mein Bruder in der Wildniß gebaut hat? Anfangs graute mir vor diesem Vermächtnisse, aber der Gedanke blieb, und je vertrauter ich mich mit demselben machte, desto leichter und tröstlicher wurde mir zu Muthe. Ja, das ist die Sühne. In jener Klause will ich als Einsiedler leben und büßen und beten, bis der Getödtete versöhnt ist.

      Wohlan, Freund, führt mich! Führt mich hin, versorgt mich mit dem Nöthigsten und dann geht, geht, wohin Ihr wollt, ich geb’ Euch frei, aber meinen Aufenthalt dürft Ihr nicht verrathen. Ich will allein sein.

      So hat er mich heraufgeführt in diesen weiten Wald und zu dieser Klause.

      Gott wird meinen Bruder in Gnaden zur Urständ rufen; mir ist’s mit dem Eremitenleben ernster gewesen als ihm. Ich weiß nicht genau, wie viele Jahre ich schon hier lebe, ich bin nun alt, das weiß ich. Der Kampf ist groß, den ich gegen der Welt Versuchung geführt habe, und ich kann nicht sagen, daß ich mit ihm fertig wäre. Gott hat mich einer Offenbarung gewürdigt, die mein Leitfaden ist, ein Leitfaden, der mich in den Himmel führen wird. Die Flucht vor dem Teufel, die Verachtung dieser Welt, die Abtödtung der Begierden, die Sehnsucht nach Gott, die freiwillige Vernichtung der Fessel ... das ist mein Weg. Es gelang mir fast alles, aber vor dem letzten stehe ich mit Bangigkeit.

      Oft höre ich himmlische Stimmen, die mich rufen. Ach wie glücklich ich bin! Bald werde ich selig sein.«

      So viel des Hauptsächlichen der Schrift, wie es in dem Gedächtnisse Wahnfred’s verblieben war. Darunter fand sich auch allerlei Wunderliches, Unverständliches. Besonders gegen Ende hin war sowohl in der Schreibart eine wachsende Verwilderung, als auch in der Denkweise eine steigende Verwirrung bemerkbar. Die äußere Welt, sowie die Lebensweise des Einsiedler, seine Schicksale und etwaigen Abenteuer in der langen Reihe von Jahren fanden kaum Erwähnung. Überall nur die Laute einer ringenden Seele. Die Klagen und Selbstanklagen waren allmählich verstummt, Zufriedenheit und Glück fanden stets begeisterten Ausdruck; die letzten Seiten waren völlig im Tone der Verzückung geschrieben.

      Es wirkte ansteckend, und als Wahnfred, der Mann vom Gestade, all das gelesen hatte, rief er aus: »Das ist die Wahrheit!«

      Es war lange nach Mitternacht. Das Feuer auf dem