Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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Nachmittage zu Trawies an der Dreiwand zu versammeln hätten. Die Dreiwand strebt etwa büchsenschußweit unterhalb der Kirche, wo der Rockenbach in die Trach sich ergießt, senkrecht aus dem Wasser auf. Der Fluß bildet dort einen tiefen, grünlich finsteren Tümpel und ist ganz still. Seithalb wuchert dichtes Getann und der Wald erfüllt zu aller Tageszeit die Schlucht mit Dämmerung. Nur in den Monaten der Sommersonnenwende ergießt sich zu Mittag ein paar Stunden der helle Sonnenschein in die Schlucht und verschleiert sie sanft mit blauem Äther.

      Unterhalb der Dreiwand, welche an ihrer hohen Brüstung drei balconartige Abstufungen hat, führt über eine Brücke der Weg, der vom Trasankthale und vom Rockenberge kommt, und schlägt dann zur schmalen Straße, die diesseits des Wassers, der Felswand gegenüber von den Vorgegenden herein nach Trawies führt. So steht es heute noch, und so war es an jenem Tage, da an dieser Stelle das Schicksal von Trawies erfüllt worden ist.

      Bald nach der Mittagsstunde begannen die Leute sich hier zu versammeln und am Wege und am hange, gegenüber der Wand aufzustellen. Da waren etliche Neugierige, die sich trotz aller Warnung und Gefahr nicht zurückhalten ließen, sondern wissen wollten, was die Dinge für einen Ausgang nehmen würden. Andere waren gekommen in der Absicht, die Gemüther aufzuregen, und wieder Andere in der Absicht, die Gemüther zu besänftigen. Vielleicht gab es noch etwas zu retten, vielleicht handelte es sich um einen Vergleich, vielleicht auch galt es, anderswie einen weiteren Schlag von der Gemeinde abzulenken. Landsknechte bewachten die Bewegungen der Versammelten.

      Diese getrauten sich denn auch kein lautes Wort zu reden, flüsterten sich aber insgeheim umsomehr ordnungswidrige Dinge zu.

      Die am Bergabhange standen, sahen die Kirche und die Brandstätte des Pfarrhofes.

      Von dieser Brandstätte her bewegte sich jetzt unter dem unendlich traurig klingenden Geläute der Glocken ein Zug schwarzer Gestalten, von drei Fackeln begleitet. Dieser Zug umging von rückwärts den Felsen und erschien an der ersten Abstufung hoch über dem Wasser. Es waren die Priester und Richter. Die Fackeln, welche von drei Greisen getragen wurden, legten einen trübrothen Schein in die Schlucht – und die Schneeflocken zitterten nieder von der Düsternis des Himmels.

      »Ich weiß nicht,« flüsterte Einer in der Versammlung, »daß es so grauenvoll ist!«

      »Zum Herzabdrücken,« meinte ein Anderer, »nur die Schneeflocken thun mir wohl – ich weiß nicht warum.«

      Schwere Stille herrschte in der Schlucht. Da trat aus den Männern auf der Felswand der Pater Dominicus vor; er hatte in der Hand einen langen, schwarzen Stab, der ein Kreuz trug. Er wendete sich gegen das Volk und sprach mit lauter Stimme:

      »Höret, der Herr spricht durch seinen Propheten. Ich habe Euch groß gezogen. Ihr habet gefrevelt wider meinen heiligen Namen. Ihr seid verstockt und ohne Reue. Ihr seid der Baum, der stirbt, das Fleisch, das vermodert. Euer Same sei verflucht. Veröden wird Euer Land, das Feuer wird Eure Häuser verzehren. Auf dem Felde, das ihr begießet mit Schweiß, wird Unkraut wachsen und Gift, Pest und Feinde werden Euch bedrängen. Ihr werdet beten zu mir. Der Bruder wird den Bruder zerfleischen, der Wahnsinn wird brennen in Eurem Haupte, Ihr werdet beten zu mir. Aber hinwegstoßen will ich Euch vor dem Schemel meiner Füße, denn Ihr habet den Namen des Herrn verachtet und getödtet seinen Diener.«

      »O je, nur eine Predigt!« zischelte Einer unter den Zuhörern.

      Der Priester nahm nun eine Rolle zur Hand und sagte: »Im Namen des dreieinigen Gottes!« Dann begann er aus der Rolle zu lesen in lateinischer Sprache und ging über in folgende Worte, die er mit lauter, feierlicher Stimme sprach:

      »Gemeinde von Trawies! Von dieser Stunde an bist Du verstoßen aus dem Frieden! Du bist treulos gewesen den Gesetzen der Kirche und des Kaisers. Du bist verstockt und ohne Reue. Du hast Deinen Priester gemordet. So sollst Du priesterlos sein. Den Altar Deines Gottes hast Du entweiht, so soll das Unkraut wachsen auf demselben und die Raben sollen krächzen in Deinem Tempel, und den Glocken auf dem Thurm sollen die Zungen ausgerissen sein. Magst Du die Kinder begießen mit dem Nasse des Regens, aber verwehrt sei dem Brautpaare der Segen der Ehe, dem Sterbenden die Gnade des Abendmahles, dem Todten die geweihte Erde. Wie Michael der Erzengel die hoffärtigen Geister hat vertrieben aus den Himmeln, so bist Du ausgestoßen, Gemeinde zu Trawies, vom heiligen Frieden des Reiches Gottes. Ehrlos bist Du und aller christlichen Gemeinschaft bar. Frei wolltest Du sein, frei bist Du, wie der Vogel in der Luft, wie der Wolf im Walde. Wer eines Deiner Mitglieder aufnimmt in sein Haus, der wird selber der Rechte verlustig; wer eines Deiner Mitglieder tödtet, der ist des Gerichtes frei. Umstrickt werden Deine Grenzen und von einem Flammenring umzogen sein. Anheimgegeben bist Du dem Fürsten der Finsternis, so lange Du in der Unbußfertigkeit verharrest.«

      Er schwieg. Auch das Klingen der Glocken war verstummt. Die Zuhörer, anfangs spottlustig noch, waren während des Anathemas blaß geworden, Einer nach dem Anderen. Wohl Mancher aber war darunter, der knirschte mit den Zähnen und ballte die Faust im Sacke. Wie ein Standbild ragte dort auf dem Felsen die dunkle Gestalt des Priesters, von den drei Fackeln beschienen, die weit über die Wand hin seinen Schatten warfen.

      Nun hob der Priester den schwarzen Stab mit dem Kreuze.

      »Zunichte sei Dir das Anrecht an das Kreuz unseres Erlösers!« Er rief es, zerbrach den Stab und schleuderte die Stücke hinab in das Wasser. Dann faßte er mit kräftigem Griff eine der Fackeln: »Zunichte sei Dir der Schutz Gottes des Vaters!« – und schleuderte die qualmende Leuchte in das zischende Wasser. Hierauf erfaßte er die zweite: »Zunichte sei Dir die Liebe Gottes des Sohnes!« – und schleuderte sie hinab. Endlich nahm er die dritte der Fackeln, rief: »Zunichte sei Dir die Gnade Gottes, des heiligen Geistes!« – und warf sie in den Abgrund, wo alle drei zischend verloschen.

      Jetzt bemächtigte sich eine wilde Aufregung der Versammelten und manches Weib war sich auf den Boden und klagte und schrie: »jetzt ist’s aus, der Himmel ist hin! Ich sehe meine verstorbenen Leut’ nimmer. Der Himmel ist hin! Wir sind verdammt in die unterste Höllen! Ewig aus ist’s!«

      Ein erbärmlich Weinen und Klagen ward, so in dieser Schluchten niemalen gehört worden. Eltern verfluchten ihre Kinder und Kinder ihre Eltern, anzusehen und zu hören, so als nach der Weissagung Wort beim jüngsten Gerichte die Verdammten rasen werden.

      Diese Schilderung in der Urkunde erstreckte sich nicht auf Alle. Es waren Böcke darunter. Denn ein anderes Blatt erzählt aus derselben Stunde, daß eine Frau geschrien habe: »Ich sehe sie, sie kommen schon, die schwarzen Teufel!« worauf ein Nebenstehender gefragt habe, ob sie wohl wisse, wovon die Teufel ihre schwarze Farbe hätten? Und da sie nicht antwortete, den Bescheid gab, die hätten sie von den Pfaffen.

      Als nun in der Abenddämmerung das Volk der Geächteten wirr an der Trach auf und ab eilte, Manche mit dem Gefühle, als hätte man ihnen die arme Seele aus dem Leib gerissen, Manche dem Wahnsinne nahe, und Andere wieder voll Lustigkeit und Spottsucht – bewegte sich von der Kirche her ein zweiter Zug. In feierlicher Procession unter Laternen und Windlichtern trugen Priester die Monstranz mit dem Heiligsten davon. Tief bogen sich an beiden Seiten des Weges die Äste und die Wipfel der Bäume unter dem Schnee; Ammern und Häher flatterten über den Köpfen des Zuges, als wollten sie dem Heiland das Geleite geben hinaus ins Land.

      »Jetzt geht mein Jesus fort!« rief ein Weib in der Menge und sprang hin und stürzte vor dem Zuge mitten auf dem Wege zu Boden, »Du darfst nicht fortgehen! Mein Kind ist krank, mein Mann liegt daheim auf der Todtenbahr’!«

      Still und ernst gingen sie an dem wimmernden Weibe vorüber. Das starrte, plötzlich stumm geworden, dem Zuge nach und in ihrem stieren Auge glühte der Schein der hinschwankenden Lichter.

      Unten an der Brücke, hinter einem dichtästigen Baum, stand ein großer, wildbärtiger Mann, der hatte Gluth in den Augen auch ohne Fackelschein, der hielt sich still und ließ den Zug mit der Monstranz vorüberschwanken und blickte ihm mit Hohn nach, und knurrte es halb verbissen heraus: »Ist mir lieb, daß Du fortgehst. Dich hab’ ich lange gefürchtet!«

      Unweit dort, wo der Johannesbach in den Fluß rauscht, begegnete der Zug Uli dem Köhler und Roderich dem Stromer. Sie hatten vorhin weiter draußen den Fackelstab eines Windlichtes in der Trach schwimmen gesehen, ohne zu wissen, was das zu bedeuten.