Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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links hin, am Fuße des Firner, über dem Gestade, schiebt sich der Nebel in dichterem Massen ineinander, zu sehen, als ob darunter auch Wirbel des Rauches wären. Vielleicht! Jene Nebel brauen über einer Brandstätte ...

      Noch weiter links, schon an den diesseitigen Bergzug sich schließend, blaut der Tärn. In jener Gegend sieht das Haus des Bart und in diesem Hause weilt ein heimatloses Weib, ein vaterloses Kind ...

      In seinen Füßen zuckte es heiß, seine Schuhspitzen waren gegen den Tärn gerichtet; aber er war gewarnt, er wußte, wie dort unten die Häscher Haus um Haus durchstöberten, und daß seine Rückkehr nicht bloß ihm, sondern auch seiner Familie, ja der ganzen Gemeinde die größte Gefahr bringen müßte.

      Wahnfred bedauerte seine That, sie hatte sein innerstes Wesen aufgewühlt, wie der Ausbruch eines Vulcans den Schoß der Erde – aber er bereute sie nicht. Er war entschlossen, sich nun verborgen zu halten und aufzubewahren für die Zeit, da er ungefährdet in sein Thal zurückkehren durfte. Er war entschlossen, sein Leben ganz der Waldgemeinde Trawies zu weihen, der erste Theil seiner Aufgabe war gethan; das Verderbliche war niedergerissen. Der zweite Theil blieb ihm noch übrig zu thun: das Gedeihliche aufzubauen.

      Nun wendete er sich und ging hinein in die winterliche Wildniß.

      Fast eben war der Boden. Zwischen den Bäumen lag hoher Schnee, der den Mann streckenweise trug, streckenweise brach unter der Last, so daß Wahnfred oft bis an die Lenden, mehrmals sogar bis an die Brust einsank und es ihm nur mit großer Mühe gelang, sich wieder herauszuarbeiten. Er kam kaum vorwärts und wurde allmählich so erschöpft, daß er in den Schnee zurücksank. Vor seinen Augen sah er nichts mehr, als das Kreisen buntfarbiger Sternchen und sein Gedanke war: das also ist mein Ende ...

      Doch erholte er sich wieder und seine Beine fühlten sich gestärkt im Schoße des Schnees, und die Sonne schien so warm über die zackigen Wipfel des Waldes her. Wahnfred sann auf Mittel, um vorwärts zu kommen. Am Abend friert der Schnee, dann dürfte er tragen. Aber wer konnte in der Nacht hier wandern und die Richtung einhalten, die gefunden werden mußte! Oder sollte er sich der Länge nach auf den Boden legen und weiter rollen wie ein voller Sack? Undenkbar. Es blieb ihm nur Eins übrig. Er hieb mit dem Handbeil, das er mit sich trug, Zweige von einem Tannling und flocht aus denselben zwei Scheiben, die er sich an die Fußsohlen band. Mit solch breiten Pfoten versuchte er’s nun wieder; der Schnee knackte unter den Tritten, aber er brach nicht ein.

      So schritt der Mann vom Gestade nun dahin. Er ging über weite Blößen, er brach durch Dickicht und Gefälle, indem er sich Pfad schlug mit dem Handbeil. Er ging durch glatt- und hochstämmigen Wald, der sich so dicht und finster über ihm schloß, daß der Boden schneelos war. Dann wieder ging er über Gesteppe, in welchem die Bäume einzeln und gar zerzaust dastanden, alle die verkrüppelten Äste nach einer Seite hinneigend, wie sie der Windlauf verkümmert hatte. In die Gegend von Trawies sah er nicht mehr; ein fremder Gesichtskreis voll Wald und Winter, so weit das Auge reichte. Nur einzelne Warten des Trasank ragten goldig leuchtend über die Höhe.

      Endlich kam er zu einem Bächlein, das zwischen dem Schnee auf braunem Kieselgrunde, die Wellen in verschobenen Quadraten glitzernd, heranrieselte. Nun war unser Wanderer auf rechtem Weg; an diesem Wasser mußte er fortgehen, bis er zur Klause des Einsiedlers kam. Auf dem Boden gingen stets Spuren von Hochwild in Kreuz und Krumm durcheinander; im Gewipfel flatterte manchmal ein Geier auf, daß der Schnee niederstäubte von Ast zu Ast. Da sah denn Wahnfred, daß er nicht einsam sein werde. Freilich bemerkte er im Schnee mitunter auch so etwas wie Hundspfoten, die aber theilweise durch einen Besen wieder verwischt schienen, als wär’ auch da Einer gegangen, der Ursache hatte, hinter sich die Spur zu vertilgen.

      Wahnfred kannte den Übelthäter, es war der Wolf mit dem buschigen Schwanze.

      Endlich – die Sonne hatte ihre winterliche Mittagshöhe schon überschritten – setzte sich Wahnfred auf einen frei aus dem Schnee ragenden Stein, um zu rasten und Tisch zu halten. Er holte Etwelches von seinem Mundvorrathe hervor und aß; dann schöpfte er mit hohler Hand Wasser aus dem Bächlein und trank. Hierauf stützte er sein Haupt auf die Hand und blickte sinnend ins Weite hinaus. – So von den Menschen fern sein, ein einziges Herz zwischen der starren Erde und dem ehernen Himmel – verlassen, vergessen, verloren ...

      Der Stern seiner Augen wendete sich mählich, das Lid sank, er schlummerte.

      Dort im Dickicht funkelten die grünlichen Augen eines Fuchses; auf dem Zweig einer Lärche saß ein Schneeammer, flatterte mit den Flügeln und neigte sein Köpfchen Schief gegen den Schläfer herab, als käme ihm diese Gestalt hier gar erstaunlich seltsam vor.

      Plötzlich zuckte Wahnfred zusammen und sprang vom Steine auf und wendete sein Haupt und starrte umher. Er sah den Fuchs nicht und auch nicht den Ammer, er suchte einen Anderen und fürchtet ihn zu sehen. Er hatte die Stimme gehört im Halbschlummer: Kain, wo ist Dein Bruder?!

      Wahnfred ging weiter. Die Mühe des Vorwärtskommens beruhigte wieder ein wenig seinen aufgeregten Geist. Er kam zu einer sich weit hinziehenden und ihm quer den Weg abschneidenden Felswand, die aus waagrecht liegenden Steinschichten aufgebaut war, und an welcher der kleine Bach von Stufe zu Stufe rauschend herabsprang. Das armselige, morsche Leitergeflecht, welches die Männer aus Trawies damals, als sie diesen Weg gingen, um den Einsiedler zu begraben, hier gefunden hatten, war nun nicht mehr da. An die Umgehung der langgestreckten Wand, die sich weit in der Wildniß verlor, war kaum zu denken. An dem Wasserfalle hatten sich theils in Orgelpfeifen, theils in Pfeilerform Eismassen angesetzt, und an denselben empor schlug Wahnfred mit dem Beile seinen Pfad und hackte Stufen in das Eis. Die Reisigscheiben mußten hier freilich von den Füßen gelöst werden, dann aber stieg er kühn und kam glücklich oben an. Das erste Thauen wird diese Treppe schmelzen, und die Wand wird ihn hüten und schützen vor seinen Verfolgern wie eine feste Burg.

      Dann ging es wieder eben, oder sanft ansteigend fort durch Wald oder über Blößen. Mehrmals hörte Wahnfred jenes scharf ausgestoßene und langgezogene Bellen, vor dem in den Wäldern alles floh, was sich nicht wehrhaft fühlte.

      Endlich, als die Kruste des Schnees wieder starr geworden war, als die Sonne glanzlos hinter dem blauenden Wipfelwalle niedergesunken war, sah der Wanderer am Bächlein den dreispitzigen Stein, der ihm zum Wahrzeichen war. Hier bog er vom Wasser links ab, wand sich durch wucherndes Dickicht zu einer Anhöhe hinauf, deren Boden hin und hin mit schneelosen, grünbemoosten Steinen bestreut war, ging dann wieder thalwärts in einen weiten Kessel, der hier von Hochwald, dort von Felslehnen umgeben war und in welchem nur wenige Baumgruppen standen. Er war am Fuße einer kahlen, felsigen Kuppe, der Donnerstein genannt. Und nun erblickte Wahnfred sein Ziel.

      Es stand noch da, wie damals, unter einigen Tannen, die ihr Geäste undurchdringlich dicht ineinander verschlangen und über diesem Gefilze ihre zerzausten Wipfel in die Luft reckten. Eine dieser Tannen war geköpft und ihr kahler Strunk mit den knochenweißen Astresten ragte abenteuerlich empor über die Kronen der anderen.

      Unter diesen Bäumen stand das Haus, die Klause des Einsiedlers.

      Sie war fest gebaut und kaum einer Klause ähnlich. Die Zimmerbäume waren so massig, daß sie ein Mann kaum hätte zu umspannen vermocht. Auch das giebelsteile Dach war aus dicken Bäumen gezimmert, so daß es weder ein Raubthier durchbrechen, noch ein fallender Baumast durchschlagen konnte. Das rindenlose Holz war klingend hart – ein Holz, wie wir es in unseren Tagen nimmer haben, weil wir den Stämmchen unserer Wälder die Bedingungen ihres Ausreifens nehmen und ihnen keine Ruh’ und Zeit geben, um Bäume zu werden.

      Der Fensterlein des Hauses waren nur wenige, dieselben waren von innen mit Schubern wohl verschlossen. Den Eingang zu finden mußte man schier um den Baum herumgehen; ganz rückwärts, wo das finstere Dickicht des niederstehenden Geästes am üppigsten wucherte, war die schmale, schwere Thür, die noch mit jener Vorrichtung versperrt war, welche die Männer beim Tode des Einsiedlers angelegt hatten.

      Wer in dieser Wildniß dieses Haus gebaut hatte, war gar nicht bekannt; es war vor vielen Jahren mitsammt dem Einsiedler vom Feuerwart entdeckt worden. Der Feuerwart war bei einer Klosterjagd als Treiber betheiligt gewesen, und als er – er allein – an den Bau stieß, bat ihn der Einsiedler kniefällig, ihn nicht zu verraten. Der Feuerwart