Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Название Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band)
Автор произведения Peter Rosegger
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075837325



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todten Pfarrherrn werden sie nach Oberkloster tragen,« meinte der Stromer, »und haben ganz Recht, auf unserem Kirchhof gäb er doch keine Ruh’.«

      »Er wird noch lange als Gespenst umgehen zu Trawies. Ich sag’s«

      »Da, lug’ einmal, das ist ja eine ganze Gottesleichnams-Procession. Sie haben das Goldene bei sich.«

      »Sollt’s doch wahr sein, was ich heute gehört hab’?«

      »Was willst denn gehört haben?«

      »Das Sacrament thäten sie uns davontragen.«

      »Ist mir gleichviel.«

      »Und die Kirchen schließen!«

      »Ist mir gleichviel. Wann ich nur von der Thür an der auswendigen Seiten bin.«

      »Und uns in Acht und Bann thun, alle miteinander!«

      »Ist mir gleichviel,« sagte Roderich der Stromer immer wieder. »Weißt, Uli, Du hast was, hast ein Häusel und Weib und Kinder drei, und eine Gais, Dir muß so was nicht lustig sein. Aber wir, was wir freie Leut’ sind und so fest bestellt, daß uns kein Mensch was wegnehmen kann, weil wir nichts haben, wir lachen jetzund.«

      »Bedenke, mein lieber Roderich, daß wir jetzt dem Teufel gehören.«

      »Nachher!« zischte der Stromer dem Köhler in die Ohren, »nachher giebt’s Geld ab. Der Teufel – muß ich Dir sagen – verlangt nichts umsonst. Bruder, jetzt gefreut mich wieder das Leben.«

      Mittlerweile war der Zug vorübergewallt. In feierlicher Würde bewegte er sich hin an dem Ufer der rauschenden Trach, die lange dunkle Schlucht hinaus gegen das Gestade und weiter.

      Der kleine Baumhackel bestieg eben die Brandstätte des Schreinerhauses und fuchtelte mit einem glimmenden Feuerschwamm auf der Asche umher, nach Eisennägeln oder etwaigen anderen Dingelchen suchend, die das Feuer übrig gelassen. Er hatte schon einen Sack davon dort an der Herdmauer stehen.

      Die neuesten Ereignisse hatten ihn gelehrt, daß es viel weniger verdächtig und gefährlich ist, auf heimlichen Raub auszugehen, als sich in der Kirche zu zeigen. Als nun unten am Wege die seltsame Procession vorbeizog, duckte er sich ein wenig und sagte bei sich: »Schau die Gerichtsherren unterhalten sich auch. Weil jetzt das Wasser so klein ist, machen sie einen Fischzug. Werden schon was stechen. Ei schau, Baumhackel, da bist Du schon wieder einmal zu langsam gewesen.«

      Da die fremden Männer und Herren von Trawies her drei Stunden und länger mit dem Sacrament gewandert waren, zogen sie nun durch die letzte Schlucht, wo die Trach tief unten in einer finsteren Klamm braust und der Weg am Gewände mühsam emporstieg gegen die Höhe, wo damals die fünf Kiefern ragten und wo die weite Hochfläche des Heidelandes beginnt. Und als sie unter diesen Kiefern standen und ihr hohes Gut zur Rast auf einen schneelosen Stein niederließen, sanken sie davor auf die Knie und beteten es an.

      Hinterher aber kam ein Trupp von Landsknechten gezogen und dort, wo der schmale Weg die Wand heranlief und an der unwirthlichsten Stelle kühn über ein Brücklein setzte, zerstörten sie das Brücklein und sprengten das Gestein, daß die Trümmer krachend in den Abgrund stürzten. Und als so das letzte Band abgebrochen war mit Trawies, trugen sie auf der Grenzhöhe der fünf Kiefern Reisig zusammen und zündeten es an. Wanden dann von riesigen Spulen einen Faden ab und zogen ihn hin an der Grenze von Stein zu Stein, von Baum zu Baum. Und da war es, als ob manche junge Fichte ächzte, als man den Strick um sie schlang – den Strick, dessen Hanf im Thale der Trach gewachsen, der am Rocken in den Häusern von Trawies gesponnen worden war.

      Und die Verwirrung im Dörfchen währte fort. Unangefochten aber von aller Bedrängnis stand das Wirthshaus. In der Küche schluchzten zwar die Frauen, aber in der Stube tranken die Männer. Und vor dem Hause stand der »dreiköpfig’ Osel« umher, hatte die langen Arme in den Hosentaschen und glotzte das Haus an, und glotzte rathlos zur Kirche hinauf und in die nächtige Gegend hinaus. Wo den geköpft wird? Da ist er schon den halben Tag bereit und nirgends eine Anstalt, als ob was geschehen sollt’. Manchem hielt der arme Junge das schwarze Korn vor, gleichsam auf sein Anrecht weisend. Aber jeder ließ ihn stehen, wo er stand, kein Mensch wollte sich um ihn kümmern.

      Aus den Kirchenfenstern schimmerte ein Schein, der fast zu hell war, als daß er vom ewigen Lichte herrühren konnte. Auf dem Kirchhofe war ein frisches Grab gegraben und ein Leib mit gespaltenem Haupte hineingelegt worden. Das Christusbild, welches mitten auf dem Anger der Todten hoch aufgeragt hatte, lag zusammengebrochen in Trümmern auf dem Schnee. Und über alles lag eine tiefe Ruh’.

      Der Küster kam nun heran. Er hatte sich an jenem Abende, da der Tumult war, und er sah, daß der Pfarrhof zu brennen begann, weit gegen den Trasank hineingeflüchtet. Er hatte sich halb verloren und verirrt herumgetrieben und kam nun, da er glaubte, daß wieder Ruhe sein werde, über pfadlose Gründe von der Wildwiesen niedergestiegen. Das Erste, was einem braven Küster geziemt, er geht der Kirche zu. Nach dem Scheine aus den Fenstern schließt er, daß Gottesdienst drinnen sei. Das Thor öffnend, bemerkt er, daß die Bänke leer sind. Es ist so grauenhaft still und am Altare brennen die Lichter. Er tritt ein. Aber nicht lange, und er stürzt wieder heraus, die Arme ausgebreitet, todtenblaß wie ein Gespenst, mit gräßlich verdrehten Augen und Lippen, die wie im Fieber beben und nicht reden können – so eilt er zu den Häusern hinab, stürzt in die Stube des Withshauses und ächzt und stöhnt und deutet gegen die Kirche hin und schlägt die Hände zusammen.

      Sie treten zu ihm hin.

      »Der nimmt’s jetzt erst wahr, daß unser Altar geplündert ist,« so sagt Einer.

      Aber der Küster streckt beide Arme mit gespreiteten Fingern jetzt nach dem Fußboden aus, und stammelt unverständliche Worte und starrt mit rollenden Augen hin, so daß Alle ihr Gesicht nach den Dielen wenden, zu sehen, was denn da Schreckliches sei. Wieder nach der Kirche deutet der Küster und stößt einen Schrei aus und schlägt sich die Hände in das Angesicht.

      Da erheben sich denn die Leute und verlassen das Haus und steigen den Berg hinan zur Kirche. Am Altar um den leergähnenden Tabernakel brennen die Lichter und an den blutigen Stufen hingeworfen liegen die Körper der Enthaupteten.

      Zur selben Stunde schimmerten von den Grenzhöhen am Heideland, über den Waldzügen des Firner, des Tärn und des Ritscher, von den Warten des Trasank und in der ganzen weiten Runde zahlreiche Gluthsterne herein auf Trawies. Es waren Markfeuer, einschließend und zeichnend die niedergeworfene verstoßene Waldgemeinde, ein glühender Grenzwall, der sie Abschied von Gott und Menschen, ein Glied aus der feurigen Kette, »die den Drachen fesselt«.

      Somit waren die Symbole der Verbannung vollzogen.

      Zweites Buch:

       Die Gottlosen

       Inhaltsverzeichnis

      Und zu jener Zeit war’s, daß der kleine Erlefried eines Tages herangestiegen kam zur Kirche von Trawies, um in seiner kindlichen Einfalt zur nahenden Weihnacht das Jesukind zu grüßen. Er war im Festtage aus- und inwendig; sein blühender Leib strebte in Lust den Thaten des Lebens zu, seine Seele schwebte in frommer Heiterkeit und Zuversicht und flog gläubig, wie ein Waldkind nur gläubig sein kann, an diesem Tage in die Ewigkeit hinein.

      Er, der vom Berge niedersteigt, weiß von Allem noch nichts, man hat’s ihm verhüllt – er ist noch in der Gnade. Er weiß wohl, daß etwas Außerordentliches geschehen ist, etwas, das seinen Vater betrifft; wohl ist sein kleines, junges Herz bedrängt, aber er hat gehört, das Beten wäre heilsam, so will er beten. Nicht wie sonst klingen ihm die hellen Kirchenglocken entgegen, und als er zur Pforte des Gotteshauses kommt, erschrickt er. Ein Landsknecht steht da mit bloßem Schwerte und zwei Männer vermauern den Eingang.

      »O Kind,« murmelte ihm einer der Arbeiter zu, »Du willst beten gehen und wir haben keinen Gott mehr! Er hat uns alle verlassen und sein Tempel ist eine Mördergrube geworden.«

      Da erhält der Sprechende schon vom Landsknecht einen Seitenstoß, er habe nicht zu schwatzen, er habe zu arbeiten.