Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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In diesem Fall, muß ich sagen, haben alle wissenschaftlichen Anhaltspunkte nicht mehr ergeben, als ich schon wußte. Indes er blättert. Herzlos. Schläft lang. Unverständig. Kurz: In ruhigem, lang aufgespartem Triumph. Eine, wissenschaftlich betrachtet, durchaus nicht vollwertige Person. Und …! Er hat die gesuchte Stelle endlich gefunden und reicht sie ihr sehr vorsichtig hin, so daß ihm das Buch nicht entrissen werden kann. Und hier steht «Ferdinand» und daneben «Doppelpunkt kleiner Neapolitaner». Und da: «Johannes, wann kehrst du wieder?»!

      Regine: Geben Sie es mir zurück.

      Stader: Aber was denken Sie. Freundschaftlich. Ja, sagen Sie, ich habe vorhin etwas gehorcht, es war ja nicht viel Gelegenheit, aber die Dame, die in Ihrer Gesellschaft war, rief «Heilige». Machen Sie das also wirklich noch immer? Das haben Sie nämlich doch schon mir erzählt: Ihre Liebe zu mir galt dem seligen Herrn Johannes und mir gewissermaßen nur, wie wenn einer in Stellvertretung getraut wird. Das hat mir damals mächtig imponiert. Ich war unschuldig – entschuldigen Sie, daß ich lache: mir erzählten Sie das, dem späteren Newton & Stader – und ich habe es Ihnen geglaubt. Aber es war auch eine schöne Erfindung und hat mich später zum Psychologen gemacht. Nur: etwas so Ungewöhnliches ist nicht jedermanns Verständnis zugänglich. Und wenn man es zu oft wiederholt und ganz unwürdige Individuen zu den Akten kommen: Sie werden große Unannehmlichkeiten haben! Wissen Sie übrigens, daß Ihr jetziger Bräutigam bereits verheiratet ist und sich von seiner Frau nicht scheiden lassen will, um nicht Sie heiraten zu müssen.

      Regine die sich inzwischen zusammengenommen hat: Ja.

      Stader: Das hat nämlich die Analyse dieses Briefs an seine rechtmäßige Frau ergeben, – indem es darinsteht.

      Regine: Den möchte ich sehen, zeigen Sie ihn mir.

      Stader legt ihn in die Mappe zurück und verschließt diese sorgsam: Sie würden ihn zerreißen.

      Regine: Sie haben also den Auftrag erhalten, mich auszuspionieren?

      Stader: Seine Exzellenz der Herr Professor und ich dienen, jeder in seiner Art, seit unseren Mannesjahren der Wahrheit!

      Regine steht auf: Sie sind ein Schwindler! Sie wissen gar nichts! Ich habe Sie nie gekannt! Ich kann ja doch jederzeit einen Eid darauf schwören.

      Stader: Ich habe Ihnen ja bei weitem nicht alles gezeigt, ich habe noch ganz anderes Material: Vermissen Sie nichts?

      Regine: Was sollte ich vermissen?

      Stader: Ein Notizbuch zum Beispiel? Ein ganz kleines, gelbes Buch; darin haben Sie Ihre Lebensgeschichte aufgezeichnet und die des Doktor Anselm.

      Regine: Aber das habe ich doch – –!

      Stader: Nein, das haben Sie eben nicht mehr.

      Regine: Das habe ich doch in den Koffer gelegt, das weiß ich ganz bestimmt.

      Stader: Kann ja sein. Aber durchaus nicht nur die einfachen Naturen, auch in der besten Gesellschaft … ich kann nicht mehr sagen als: selbst in wissenschaftlichen Kreisen findet man Subjekte! – Aber lassen wir das. Sehen Sie, diese Ausbrüche der Heftigkeit kennen wir; Sie haben mich nicht beleidigt.

      Regine die ihren Entschluß gefaßt hat: Ja; lassen wir es!!

      Stader: Die Wahrheit ist immer Angriffen ausgesetzt, aber sie ist darüber erhaben.

      Regine: Wenn das die Wahrheit ist, so ist sie eine ungeheure schmutzige Menschenfalle … Ich sehe Sie an, wie ein Gespenst stehn Sie da. So wie Sie könnten dastehn: – ich werde nachdenken und Ihnen die genaue Zahl sagen; die können Sie dann zu den Akten nehmen. Wie soll ich Ihnen begreiflich machen, daß all das niemals wahr gewesen ist?!

      Stader dem diese Wendung ungelegen kommt: Sie brauchen es ja gar nicht.

      Regine: Aber es ist ja wahr gewesen! Erinnern Sie sich nicht?! Wissen Sie nicht mehr, wie hündinnenhaft ich Ihnen hingegeben war?

      Stader beruhigend: Vorbei ist gewesen.

      Regine: So kommen Sie nicht davon! Ich hatte Sie vorher gesehn, wie Sie waren, ich habe Sie nachher so gesehn: aber dazwischen konnte ich das einfach nicht aushalten, so abscheulich waren Sie mir!

      Stader: Ja, ja, ja; etwas Derartiges hört man immer nach solchen Gelegenheiten.

      Regine: Aber ich konnte mir ja gar nicht genug daran tun, mir vor Ihnen etwas zu vergeben! Ich kann, wenn ich allein im Zimmer bin, es manchmal auch nicht ertragen, meinen Schrank so einfach dastehn zu sehn; manchmal bemerke ich, daß er sich verändert und Gesichter zieht. Dann muß ich ihn rasch aufmachen und nachsehn; ich würde ihn sonst vielleicht auch Johannes nennen.

      Stader warnend, aber ebenso entschlossen, zu dem Seinen zu kommen: Ich kann Ihnen nur raten, vertrauen Sie sich Ihrem Vetter Professor Thomas an. Das ist ein Mann, dem man sich anvertrauen darf. Welch ein Ruf in der Fachwelt, hat man mir gesagt; aber daneben auch welch ein Blick für die Menschheit! Den haben die gelehrten Herren nicht immer; gerade in meinem Beruf hat man manchmal mit ihrer Geringschätzung zu kämpfen. Natürlich mit Unrecht, denn im modernen Sinn ist ein Detektiv etwas ebenso Hohes wie ein Forscher; ja etwas noch Höheres, wenn man bedenkt, daß er Menschen ausforscht. Immerhin ist da stets eine Unterstützung nötig. Er ist aufgestanden. Ich habe ihn für eine große Idee zu gewinnen. Daß Sie sich bei mir nicht an den Unwürdigsten verschwendet haben, ist bewiesen. Sie brauchen Professor Thomas nur in einer herzlichen und einladenden Weise auf mich aufmerksam zu machen als auf einen Menschen, mit dem es sich lohnt, in ständiger Verbindung zu bleiben. Wenn Sie das wollten, bliebe alles streng unter uns dreien!

      Regine: Das tue ich nicht; das bringe ich nicht mehr zustande.

      Stader: Regine, haben Sie sich nicht! Sie waren damals schlecht zu mir, aber ich habe mit dem Abstandsgeld, das Sie mir gegeben haben, mein Institut gegründet. Ich will Ihnen wohl. Aber seit ich von Professor Thomas gehört habe, finde ich keine Ruhe! Ich bin alles imstande! Ich habe unberechenbares Künstlerblut in mir! Ohne das hätte ich es in meinem Beruf nicht so weit bringen können. Seien Sie anständig!

      Regine: Ich will nicht.

      Stader: Aber ich kann Ihnen ja doch zu sehr schaden!

      Regine: Tun Sie es. Sie kennen mich ja, wie ich wirklich und wahrhaftig bin; Sie haben mich in der Hand. Ich will, daß Sie diese Mappe Seiner Exzellenz ausliefern.

      Stader: Ja, aber haben Sie denn gar kein Schamgefühl?! Das wird vor Gericht ausführlich behandelt werden! Sie müssen doch etwas Schamgefühl haben, Sie werden sich doch nicht so bloßstellen lassen! Oder Angst!?

      Regine: Hören Sie »Ferdinand«: Man kann innen heilig sein wie die Pferde des Sonnengotts und außen ist es das, was Sie in Ihren Akten haben. Das ist ein Geheimnis, das Ihr Institut nie entdecken wird. Man tut etwas und es bedeutet innen etwas ganz andres als außen. Mit der Zeit aber hat man innen doch nur das getan, was außen geschehen ist. Man hat nicht mehr die Kraft, es zu verwandeln!

      Stader: Nun, ich könnte unter Eid nur aussagen, daß Sie jederzeit sehr wirklich bei der Sache gewesen zu sein schienen.

      Regine: –?! Ja. Sie haben recht. Das ist das Entsetzliche. – Aber Sie müssen gehn; wir können hier nicht länger bleiben.

      Stader: Ja, ich habe auch schon größte Eile, ich muß zum Zug. Mit einem letzten Versuch. Professor Thomas ist bedroht! Ein dunkler Anschlag schwebt über seinem Haupte. Sie wissen ja nicht, was in dem Brief steht, den Sie gesehen haben: Anselm ist nicht Ihrethalben hier, er ist hier, um seinem Freund die Frau zu entführen!

      Regine: So? Sie müssen hier durchgehn. Da kommt eine Tür, die führt in ein Badezimmer, dann auf einen Gang und ein paar Stufen – ich werde Sie lieber selbst führen. Sie geht voran.

      Stader in der Schlafzimmertür: Ich gehe jetzt zu Seiner Exzellenz. Ich gebe es also Seiner Exzellenz. Aber bevor ich es Seiner Exzellenz gebe, wäre ich auf der Bahn noch zu treffen. Und vielleicht auch noch nachher … Solche Geschichten, das verstehe ich nicht;