Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Anselm: Du warst im Zimmer?
Regine: Nein, ich bin von außen gekommen, aber du hast mich nicht gleich bemerkt.
Anselm: Ja, ja, ich suchte dich; ich habe sie stehengelassen, aber ich fand dich nirgends.
Regine: Das ist ja nicht wahr.
Anselm blickt sie überrascht an, dann sagt er ruhig: Maria? Aber was denkst du! Sie amüsiert mich.
Regine: Sie wartet auf dich?
Anselm: Ich sollte ihr etwas holen, ein Schultertuch; aber sie kann lange warten. Sie sieht in mir einen romantischen Helden und erwartet mittelalterliche Aufmerksamkeiten von mir; sie begreift etwas schwer wie fast alle stattlichen Frauen.
Regine verstellt: Hast du ihr essen zugesehn? Sie kaut langsam wie eine Kuh. Am liebsten möchte sie immer auch blumige Gespräche, große grüne Wortlandschaften zum Grasen; das machst du übrigens großartig.
Anselm sucht sie zu überbieten. Und da er sich nach den vorausgegangenen leidenschaftlichen Szenen mit Maria in der Gegenphase des geistigen Ekels befindet, spricht er anfangs überzeugungsvoller: Ja, sie braucht Lyrik, geradezu mit der Butterspritze. Das macht mich rasen. Thomas wirkt, nach ihr genossen, trocken herrlich wie Wüstenwind. Verstehst du, ich halte es gar nicht für ausgeschlossen, daß sie ihn plötzlich verläßt, wenn der Geist über sie kommt; diese über achtzig Kilo schweren Seelen fallen wie die Säcke um.
Regine: Würdest du sie gern so sehn? Sie fordert dazu heraus, ihr irgendwie Paprika in den Körper zu praktizieren und sie hüpfen zu machen, um ihr dann zu sagen: Meine liebe Maria, ein hygienischer Geruch von Tugend umgibt Sie wie die reine Karbolluft Spitäler, solche Sprünge sind nichts für Sie!
Anselm: Hopsen Sie nicht so, alte Tugend! Ich würde da gern ihr Gesicht sehn.
Regine: Erinnerst du dich noch, wie dünn ihre Beine waren, und die Höschen hingen dem Musterkind immer vor. Jetzt kann man das nicht sehn, aber seit wir hier sind, verfolgt mich die Frage, ob die Beine noch immer zu dünn sind?
Anselm kann nicht mehr mit: Von früh bis spät beisammen: Sprechen wir nicht mehr von ihr; es schüttelt mich, wenn ich an sie denke.
Regine: Siehst du, du lügst! Oh, wie du lügst!
Anselm: Würde ich so über sie sprechen können?!
Regine: Ach du! Du sprichst doch über einen Menschen nur gut, solange er dir gleichgültig ist. Wenn du etwas für ihn empfindest, so beschmierst du ihn mit Schmutz, damit du es versteckst! Sie bricht plötzlich ab. Komm fort!
Anselm unwillig: Warum?!
Regine: Komm fort, Anselm! Wir reisen! Wir fliehn! Wenn Josef da ist, sind wir schon weg. Du hast dich hier verstrickt, du kannst von Maria nicht los.
Anselm: Sei doch nicht gleich so gräßlich weibisch. Er überlegt. Du müßtest im Gegenteil Maria bitten, daß sie mit uns kommt.
Regine: Und?
Anselm: Wenn wir außerhalb dieses Hauses zusammenleben, kann dein Mann uns die größten Unannehmlichkeiten bereiten; wenn du mit deiner Schwester reist, kann er gar nichts tun.
Regine: Und–?! Das schlag dir aus dem Kopf. Ich mache euch nicht noch länger die Mauer.
Anselm: Du bildest dir also ein, mir ein Geheimnis entrissen zu haben. Also ja: Deine Schwester ist herrlich! Herrlich und ungewürzt wie Wasser. Riecht so gut wie eine Bügelstube; meinethalben, wenn du willst, auch so dumpf.
Regine: Und ich?
Anselm: Auch Josef ist eigentlich ein herrlicher Mensch. Wir haben uns erlaubt, auf ihn hinabzusehn. Gewiß, sie sind aufreizend schwerfällig in Gemüt und Geist, diese Menschen. Aber ich will dir etwas sagen: Auch das ungewöhnliche Erlebnis ist nichts als eine umgestülpte Gewöhnlichkeit. Und selbst in einem Rindergespann ist das Leben reicher als in einem Kopf wie Thomas, und ein Kutscher, der bei seinen Pferden schläft, weiß von der Welt mehr als er und du!
Regine: Ich soll also zu Josef zurück?
Anselm: Gott, ich meine, vorerst einmal in frische Luft hinaus. Hier wird man diese gestockten Erlebnisse mit Johannes nie los. Wie ein Zimmer am Morgen nach einer Zecherei ist es hier.
Regine: Also: mit dem Kopf in »herrliches« frisches Wasser! Ich will aber nicht. Ich werde mich eher töten. Hörst du? Aber nicht deinetwegen.
Anselm: Sagt das nicht jede, wenn sie sich verlassen glaubt?
Regine: Ich habe andere Demütigungen ertragen. Hast du dir diese lang überlegt?
Anselm: Was heißt das?
Regine: Hast du vielleicht unser kleines gelbes Buch wieder aus dem Koffer genommen und für Josef liegen lassen?
Anselm: Du weißt es also? Woher? Ich könnte es abstreiten, denn du läßt ja alles liegen. Aber: ja! Ich hab’ es getan: Weil ich schon wußte, was mir mit dir bevorsteht. Du bist mir zu nahe gekommen. Du willst mir nicht mehr aus dem Weg gehn! Ich bin nicht so stark, daß ich dich auch retten könnte; gerade dich nicht. Deine verfluchten Schwächen haben alle Kerker in mir aufgewiegelt!!
Regine: Und Josef gibst du dich preis? Diese herrlichen Menschen scheinen jetzt starken Einfluß auf dich zu haben. Dir war es doch sonst unerträglich, wenn jemand auch nur das geringste über dich wußte, als wärst du dann schon in seiner Macht. Du hast doch lieber etwas Böses über dich erlogen als etwas Gutes zugegeben, wenn es wirklich wahr war.
Anselm: Bis Josef es versteht, wollte ich weiß Gott wo sein. Ich wechsle den Namen und fange noch einmal an. Ich will noch einmal anfangen, verstehst du! Ich muß noch einmal anfangen! Du wirst mich nicht festhalten!
Regine: Also du wolltest wieder ein neues Leben beginnen. Und das war an dem Tag, als du dich mit der Faust ins Gesicht geschlagen und fast geweint hast. Sie äfft ihn mystisch nach. «Es ist ein Wunder, daß ich dich gefunden habe! Es hat mich niedergeschlagen wie ein Wunder. – Ich möchte mich töten, um es nicht überleben zu müssen.»
Anselm: Ja, das war der Tag! Ich fühlte, ich muß mich retten. Wir waren so unbegreiflich eins. Mein Leben war so wiederholt in dir. Noch einmal ich, bist du an meinem Weg gestanden, und es war eine flatternde Stille um uns und ein so plötzliches Hinausgleiten in diesen Ozean in uns und um uns, daß ich fühlte: Wenn das Schiffbruch wird, kommt nur einer von uns beiden wieder ans Ufer … Wie schal klingt das heute schon. Wie schmählich sind diese vergeblichen Versuche.
Regine: Oh, es hat sich mir jedes Wort eingeprägt und ich konnte es dem Detektiv wiederholen, so daß es heute noch Thomas und Josef genau wissen werden.
Anselm: Was heißt das? Du fieberst?
Regine: Es war ein Mann da; gerade bevor du kamst. Ein Detektiv, ein ehemaliger Diener. Der war einmal mein Geliebter; er hat mich verlassen, wohl auch weil ein Mann höhere Interessen hat! Der weiß alles über mich; viel mehr, als nötig ist, um Josef zu bewaffnen; er hat es in einer dicken Mappe gesammelt, und den Rest habe ich ihm gesagt. Aber er weiß auch von dir viel mehr als du Josef preisgeben wolltest, um mich ihm auszuliefern. Er hat Briefe an deine Frau, in denen du beichtest. Er kennt dein ganzes Leben. Und was er noch nicht wußte, habe ich ihm auch gesagt.
Anselm: Du warst nicht bei Verstand. Da muß doch sofort etwas geschehn, um den Mann zum Schweigen zu bringen. Wo ist er hin?!
Regine: Nein! Josef soll es nur erfahren!
Anselm: Was heißt, nein?! Willst du, daß wir hier vor Thomas und Maria daliegen wie