Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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die schmutzige Gewohnheit, alles anzurühren. Das kann man nicht hindern. Manchmal möchte ich sie mir ausglühen, damit sie, von allen Berührungen gereinigt, nur noch Ihr Bild bewahren.

      Maria: Gott, Gott, Gott, Anselm!

      Anselm: Ja, das finden Sie lächerlich; weil Sie es für eine Übertreibung halten, die der gute geistige Geschmack meidet. Auch so ein anmaßender Wächter. Wie blaß würde dieser durchgeistigte Geschmack, wenn die Augen plötzlich wirklich am glühenden Stahl naß aufzischen würden? Und triefend austropfen?!

      Maria: Pfui! Wühlen Sie sich nicht wieder in diese ekelhaften Bilder hinein!

      Anselm heftig: Unerbittlich würde ich ein Messer auch Ihnen im Herz umdrehn! Wenn ich Sie von der Schwelle nur noch einmal zurückholen könnte. Wo die Frauen ihr Korsett ablegen müssen. Die erborgte «Haltung». Die Tragtierverständigkeit, auf die sie alles nehmen, Kinder und Kranke, Männer und den gedankenlosen Mord in der Küche.

      Maria: Nun fangen Sie aber endlich zu lesen an! Wir haben wahrhaftig Dringenderes zu sprechen.

      Anselm durch ihre Entschiedenheit besänftigt: Oh, es ist so herrlich, daß Sie mich nie überraschen können. Ich weiß alles voraus, was Sie tun werden. Als schmerzlich gespannte Knospe fühle ich es vorher in mir.

      Maria: Natürlich, die paar Einfälle eines Hausverstandes sind leicht zu erraten!

      Anselm: Ich will keine ungewöhnlichen Erlebnisse! Die täglichen Menschenerlebnisse sind die tiefsten, wenn man sie von der Gewohnheit befreit. Leise. Das ist es, was er nicht weiß. Und Sie kennen sich selbst nicht mehr. Sein Einfluß hat Sie verkleinert.

      Maria: Ich habe Ihnen schon darauf geantwortet: Ich liebe Thomas.

      Anselm: Ich frage nicht, ob Sie ihn lieben; darauf gibt es gar keine Antwort! … Sich zusammennehmend. Entscheiden Sie, ob es das ist, was ich Ihnen jetzt erzählen werde. Ich wurde einmal von einer Weide –: ergriffen. Auf einer weiten Wiese und außer mir stand nur dieser Baum. Und ich konnte mich kaum aufrecht erhalten, denn was sich in diesen Ästen so einsam verzerrt und verknotet hatte, diesen gleichen schrecklichen Strom Lebens, fühlte ich in mir noch warm und weich und er wand sich. Da warf ich mich auf die Knie! Er wartet vergeblich einen Augenblick auf die Wirkung. Das ist das ganze Erlebnis. Auch Ihnen gegenüber.

      Maria: Anselm … solche Übertreibungen haben wenig Wert. Sie haben das empfunden; aber nicht einmal hingeworfen haben Sie sich wirklich.

      Anselm: Nein? …! Thomas hat wahrhaftig alle Tiefe in Ihnen zerstört.

      Maria: Sie benehmen sich häßlich gegen mich und Regine.

      Anselm: Wer, wie Sie, nicht mehr hingeworfen wird, sollte nicht tadeln! Ich habe alles, was ich im Leben hätte erreichen können, immer wieder preisgeben müssen. Weil man stolpert, wenn man glaubt. Aber weil man nur so lange lebt, als man glaubt!!

      Maria ängstlich und unruhig: Lesen Sie; Thomas will doch mit Ihnen sprechen.

      Anselm: Ich werde Ihnen lieber noch ein Beispiel erzählen: Als ich Mönch war –

      Maria: Wie? Sie waren Mönch?

      Anselm: Still!! Das darf Thomas unter keinen Umständen wissen!

      Maria: Aber Anselm, jetzt erzählen Sie mir eine Unwahrheit.

      Anselm: Ihnen werde ich nie eine Unwahrheit erzählen. In Kleinasien war es, am Berg Akusios. Durch ein kleines, ohne Glas in die Mauer geschnittenes Fenster sah ich von meiner Zelle das Meer –

      Maria abwehrend: Lesen Sie! Lesen Sie!

      Anselm will nicht, aber man hört Thomas sich nähern und Anselm sieht in den Brief.

      Maria: Was Sie alles in der Zeit getan haben mögen, während wir hier gesessen sind.

      Sie nimmt ihre Beschäftigung wieder auf. Thomas tritt ein.

      Thomas: Du bist noch nicht zu Ende?

      Maria: Lesen Sie nur nochmals. Anselm sucht ihren Blick festzuhalten, um das in dieser kleinen Hilfe liegende Einverständnis zu vertiefen, sie weicht aber seinem Auge aus. Anselm zuckt mißmutig die Achseln, dann überfliegt er den Brief. Thomas will Josef mit einem Fest empfangen, um ihn noch mehr zu reizen. Aber ich will nicht, daß wir uns so betragen. Josef ist unser Nahverwandter, das muß sich finden!

      Thomas in seinem scheinbar spielenden Ton: Ich möchte Anselm hören!

      Er setzt sich und sieht Anselm zu. Es tritt eine gespannte Pause ein. Anselm, steigend dadurch beunruhigt, sieht endlich langsam auf; in der Tiefe der Augen fest sich an einen Vorsatz haltend.

      Anselm: Dein Brief hat alles verdorben.

      Thomas: Also mein Brief. – Aber du warst doch einverstanden mit ihm?

      Maria: So muß Thomas eben versuchen, es wieder gutzumachen!

      Anselm: Nein, Thomas darf nicht mit Josef sprechen; das lasse ich nicht zu!

      Thomas lauernd: So sprichst – eben du selbst mit ihm?

      Anselm den Brief hinwerfend: Ich kann nicht.

      Thomas: In der Tat. Du kannst nicht? Er sieht prüfend Maria an.

      Maria: Ja, wollen Sie im Ernst auf sich sitzen lassen, was Josef Ihnen vorwirft?!

      Anselm: Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll. Ist nicht der Sinn, ich sei ein Betrüger?

      Thomas: Ja.

      Anselm: Und – – bin ich es denn nicht wirklich? Ist denn nicht jeder Mensch, der einen andren ergreifen – – verstehen Sie, um wieviel gewaltsamer als mit Armen! – – und überzeugen möchte, – stark – trotzdem niemand seiner Sache bis in den Mittelpunkt sicher sein kann! … ein Betrüger?

      Maria unwillig, während Thomas unwillkürlich ihren Eindruck prüft: Das ist überempfindlich!

      Anselm unruhig werdend: Ich weiß selbst nicht, hatte ich den Wunsch, Regine zu retten oder Josef etwas anzutun. Man ist manchmal so groß und übermütig wie in einem Traum. Heute bereue ich es.

      Maria gefesselt: Was bereuen Sie, Anselm? Sprechen Sie doch, solange es Zeit ist!

      Anselm: Ich weiß nicht, was ich Josef erwidern soll; jedes Recht, das einer im Herzen fühlt, ist ungeheuer ansteckend. Lassen Sie mich.

      Maria: So sprechen Sie doch.

      Anselm: Man hat etwas getan; es ist unwiderruflich. Man hat einen andren wie ein Ungeziefer zerdrückt. Unter der Stiefelsohle. Aber mit einemmal steigt der Andere an. Wie in einem zweischenkligen Glas steht er nach einer Weile in uns ebenso hoch, wie er in sich steht, der andere Mensch! Er strömt in uns herüber und nagelt uns fest! Man muß nur nicht gering denken wollen, – wie bedroht – dann erschließt er sich, der andere Mensch!

      Thomas der gespannt die Wirkung auf Maria beobachtet hat: Dann gibt es nur eins: Ohne allen Aufwand tun, was alle Welt täte, einen kleinen praktischen Druck auf Josef ausüben. Man nimmt einen Detektiv und einen guten Advokaten; ein schmerzempfindlicher Punkt wird sich auch bei Josef irgendwo finden lassen.

      Maria entsetzt: Auf solche Mittel würdest du dich einlassen?!

      Thomas: Josef hat mir einmal etwas anvertraut. Vor langem. Wir hätten einen Detektiv nur auf nähere Umstände loszulassen, und wenn Josefs Seele auch unschuldig war, – anzüglich – die Tatsachen lassen sich verknüpfen! Die Tatsachen geben gern den Seelen unrecht. Oder nicht, Anselm?

      Maria: Aber das wäre ja eine Niederträchtigkeit! Josef hat dir zeitlebens nur Gutes erwiesen!

      Thomas: Und ich ihm ja auch, wo ich nur konnte! Auch jetzt bin ich ihm ehrlich erkenntlich und könnte ihm ebensogern etwas Gutes antun, wenn die Gelegenheit anders wäre.

      Maria: Du bist nicht wiederzuerkennen.