Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Regine: Anselm, du leugnest. Du hast nicht mich, du hast uns Josef preisgegeben! Weil du damals Mut hattest. Es war der Ausbruch aus dem Kerker der Vernunft! Oh, gleich als du kamst! Dein erstes Wort war, als ich dich fragte, wie dein Leben ausgefallen ist: Es ist eine einzige Demütigung gewesen. Und aus dem brünstigen Gewölk der Erinnerungen, aus dieser Bocksherde, deren stinkendes Gewimmel mir den Himmel verhüllt hatte, fuhr der Blitz: Demütigungen erleiden – das sind wir!
Anselm: Sag nicht: wir! Du sollst dich nicht an mich pressen, als wäre ich du! Ich hasse deine Demütigungen! – Ja, ja, ich weiß, du hast mir diese Geschichte von Johannes erzählt und ich habe dich darin bestärkt.
Regine: Und du hast ebensowenig daran geglaubt wie ich.
Anselm: Und es ergriff mich unsagbar! Dieses Gespenst, das immer zusehn muß, wenn du dich andren hingibst, war unser Gespenst. Die Angst vor dem Alleinbleiben.
Regine: Und die Angst vor dem Nichtalleinbleiben. Vor dem Beglotztwerden. Dem Beschleimtwerden! Bist du nicht lebenslang zitternd auf der Lauer gelegen und zugestoßen auf sie wie ein Hecht, um ihnen ein Stück des ihren aus dem Fleisch zu reißen, bevor sie dich fassen können? Schüchterner, du, Gescheuchter. Jeder Mensch kommt grausig zu seinem Bruder wie ein Fisch zur Leiche. Und jeder trägt ein Meer um sich!
Anselm: Du hattest mich angesteckt mit diesen Einbildungen! Ich sah nur noch so. Als ob alle Sympathie, alle ursprüngliche Natur nur Angst und Verderben wäre!
Regine: Dir drückt doch nur die Angst vor Thomas und Maria jetzt das Herz ab. Und die Scham über alles, was du getan hast. Bestie, du! Anselm! Wir sind nichts Wirkliches! Ob wir lügen oder nicht, gut sind oder uns wegwerfen: es ist etwas mit uns gemeint, das wir niemals richtig auslegen können. Das hast du gewußt und hast all unser Wirkliches dahingegeben. In dem einzigen Augenblick, wo du Mut hattest!
Anselm: Ich kann es nicht mehr hören. Man kann etwas, das der Vernunft dermaßen widerstrebt, nicht ewig aufrechterhalten. Das ist heute so unerträglich verlogen und unnatürlich. Wo ist der Mann?!
Regine sieht auf die Uhr: Ich weiß nicht, wo er ist.
Anselm: Ah, du bist nichts als eine eiternde Wunde, die sich nicht schließen will!
Regine: Einmal hattest du den Mut. Sollen wir wieder zurücksinken? Laß uns lieber jede Erniedrigung auf uns nehmen. Wenn man nicht mehr die Kraft hat, etwas andres zu sein, als man tut, ist man kein Mensch mehr!
Anselm: Wo der Mann ist, will ich wissen?!!
Regine: Das Tuch, Anselm! Du hast dich ja für das Tuch zu interessieren. Du mußt Maria das Schultertuch bringen!
Anselm: Wo der Mann ist, will ich wissen!!!
Regine sieht nochmals zur Uhr: So, jetzt ist es zu spät. Josefs Zug fährt ein, und der Mann steht am Bahnhof und übergibt ihm die Mappe. Sie wird schwach und beginnt zu weinen.
vorhang
Zweiter Aufzug
Die Szene stellt Thomas’ Studierzimmer dar. Die Wände vom seltsamen Muster der Buchrücken bedeckt. Im Hintergrund schräg ein großes geöffnetes Fenster. Park. Sich vertiefendes Dunkel. Anfangs brennt nur eine kleine Lampe.
Von der Darstellung dieser Szene gilt das gleiche wie im ersten Akt. Nur sind die Möbel spärlich und wuchtend; seelisch übergewichtig. Über und an manchen Stellen sogar zwischen den Büchern Sternennacht.
Anselm kommt vom offenen Fenster: Wie die Bäume rauschen. Man weiß nicht, ist es das Meer?
Maria: Wir warten vergeblich, Thomas muß aufgehalten worden sein.
Anselm: Weshalb in Wahrheit ist er in die Stadt gefahren?
Maria: Er hat es nicht gesagt. Kurz nach dem Gespräch mit Josef ist er weggefahren.
Anselm: Der Empfang war kläglich, das Fest! Josef hätte vom Eingang des Parks bis zu seinem Zimmer durch eine Allee der Desillusionierung wandern sollen! Allee des vergleichenden Jahrhunderts! Warum hat Thomas dann nicht Grammophone aufgestellt, die aus den Büschen Liebesschwüre in ausgestorbenen Sprachen hauchten?! Attrappen schöner Frauen, die zu Knochenstaub zerfallen, sobald man sie ansieht?! Seine Frösche und Mäuse ausgelassen?! Ins Beratungszimmer ein Röntgenbild der schönen Regine gehängt?! Gedärme um die Äste gerankt!!
Maria: Abscheulich! Sie wühlen immer wieder in solchen Vorstellungen!
Anselm: Weil ich voll Zorn bin! Wenn ich so denken wollte wie Thomas, nicht an den unsterblichen Teil glauben: ich könnte es viel besser. Ich könnte endlos Schmutz ausbrechen! Er geht wieder zum Fenster.
Maria: Es sah auch so unsinnig genug aus. Und war doch nichts, das fühlte er selbst; er war nicht bei der Sache. Sie sind schuld, Anselm! Sie hatten versprochen, vorher zu ihm zu gehen.
Anselm kehrt unterwegs um: Und Josef hat überhaupt nicht davon Kenntnis genommen, hat es gar nicht bemerkt, sagen Sie?
Maria: Er sagte sofort: Ich habe dir Mitteilungen zu machen, die deine Haltung ändern werden. Man hatte den Eindruck, er sah und hörte nichts zuvor.
Anselm: »Wichtige« Mitteilungen, sagte er?
Maria: Nun ja, wahrscheinlich doch?
Anselm: Er hätte ja auch gesagt haben können: schreckliche. Oder: abscheuliche …?
Maria: Quälen Sie doch nicht wieder! Was soll es heißen, daß Sie selbst mir einreden, in dieser Mappe stehn unwürdige Dinge. Ich habe fast das Gefühl – Sie wollen mich vorbereiten.
Anselm: Und dann schaltete Sie Thomas aus? Das hätten Sie nicht zulassen dürfen!
Maria: Hetzen Sie nicht; Josef wollte mit ihm sprechen.
Anselm: Von einem Detektiv stammt die Mappe? Thomas hätte Ihnen den Inhalt mitteilen müssen, bevor er in die Stadt fuhr, um Stichproben auf die Richtigkeit zu machen!
Maria: Aber wer sagt, daß er das tut?! Ich finde diese Voraussetzung unvernünftig und unwürdig!
Anselm geringschätzig: Er ist eifersüchtig!
Maria: Er fürchtet mehr als Grund ist.
Anselm: Er ist auf meine Ideen eifersüchtig. Und möchte mich von der Moral her vernichten wie ein Spießbürger!
Maria: Bloß weil Sie heimlich tun.
Anselm: Geben Sie mir die Mappe!
Maria: Ich habe doch kein Recht dazu.
Anselm: Ist sie hier im Schreibtisch?
Maria: Ja. Aber den Schlüssel der Lade hat Thomas.
Anselm: Öffnen Sie die Lade!
Maria: Unaufrichtig, ohne mit ihm gesprochen zu haben, tue ich nichts. Sie steht unwillig auf und geht zum offenen Fenster.
Anselm beim Schreibtisch: Tue ich nichts, tue ich nichts! Wir sind im Dunkel, in einer namenlosen Katastrophe: Folgen Sie mir!
Maria: Ich will nicht mitschuldig werden!
Anselm: Man muß den Mut zu Abkürzungen haben. Gerade so werden Sie sich schuldig machen.
Maria: Das wäre Diebstahl!
Anselm: Sie glauben, es müsse immer alles, was man tut, aussprechbar und benennbar sein; das ist das Verhängnis Thomas’! Aber man muß so handeln, daß man es nicht sagen, nicht denken, nicht einmal begreifen kann, sondern nur tun! Kein Mensch versteht ja heute zu handeln.
Maria wendet sich ab, dann rasch wieder zurück: