Название | Gesammelte Werke |
---|---|
Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Aber was war diese Güte? Kein Tun. Kein Sein. Ein Schimmer, wenn sich der Reisemantel öffnet. Und die Zeit ging zu schnell. Er hielt sich noch an der Erde fest und hatte den Gedanken: ich glaube an dich! noch nicht mit Überzeugung ausgesprochen, er sagte noch: und wenn alles auch so wäre, wer könnte es denn wissen – da war Tonka tot.
Er hatte der Wärterin Geld geschenkt und sie hatte ihm alles erzählt. Tonka hatte ihn grüßen lassen.
Da fiel ihm nebenbei ein wie ein Gedicht, zu dem man den Kopf wiegt, das war gar nicht Tonka, mit der er gelebt hatte, sondern es hatte ihn etwas gerufen.
Er wiederholte sich diesen Satz, er stand mit dem Satz auf der Straße. Die Welt lag um ihn. Wohl war ihm bewußt, daß er geändert worden war und noch ein anderer werden würde, aber das war er doch selbst und es war nicht eigentlich Tonkas Verdienst. Die Spannung der letzten Wochen, die Spannung seiner Erfindung, versteht es sich recht, hatte sich gelöst, er war fertig. Er stand im Licht und sie lag unter der Erde, aber alles in allem fühlte er das Behagen des Lichts. Bloß wie er da um sich sah, blickte er plötzlich einem der vielen Kinder ringsum in das zufällig weinende Gesicht; es war prall von der Sonne beschienen und krümmte sich wie ein gräßlicher Wurm nach allen Seiten: da schrie die Erinnerung in ihm auf: Tonka! Tonka! Er fühlte sie von der Erde bis zum Kopf und ihr ganzes Leben. Alles, was er niemals gewußt hatte, stand in diesem Augenblick vor ihm, die Binde der Blindheit schien von seinen Augen gesunken zu sein; einen Augenblick lang, denn im nächsten schien ihm bloß schnell etwas eingefallen zu sein. Und vieles fiel ihm seither ein, das ihn etwas besser machte als andere, weil auf seinem glänzenden Leben ein kleiner warmer Schatten lag.
Das half Tonka nichts mehr. Aber ihm half es. Wenn auch das menschliche Leben zu schnell fließt, als daß man jede seiner Stimmen recht hören und die Antwort auf sie finden könnte.
Stücke
Die Schwärmer
Personen
Thomas
Maria, seine Frau
Regine, ihre Schwester
Anselm
Josef, Reginens Mann; Universitätsprofessor und hoher Beamter der Unterrichtsverwaltung
Stader, Inhaber des Detektivbureaus Newton, Galilei & Stader
Fräulein Mertens, cand. phil.
Ein Dienstmädchen
Das Stück spielt in einem Landhaus, das Thomas und Maria geerbt haben, in der Nähe einer Großstadt.
Alle Personen des Stücks sind im Alter zwischen achtundzwanzig und fünfunddreißig Jahren; nur Fräulein Mertens ist vielleicht etwas älter, und Josef ist über fünfzig.
Bis auf diese beiden sind auch alle Personen des Stücks schön, wie immer man sich das vorstellen möge.
Die Schönste von allen ist Maria, groß, dunkel, schwer; die Bewegungen ihres Körpers sind wie eine sehr langsam gespielte Melodie. Thomas dagegen ist fast klein, schlank und nur raubtierhaft sehnig; dem ähnlich, entgeht sein Gesicht unter einer herrlich starken Stirn fast der Aufmerksamkeit. Anselms Stirn ist hart, niedrig, breit wie ein fanatisch gespanntes Band; der sinnliche Teil seines Gesichts ist faszinierend. Er ist größer als Thomas. Regine ist dunkel, unbestimmbar; Knabe, Frau, Traumgaukelding, tückischer Zaubervogel. Fräulein Mertens hat ein gutmütiges Gesicht, das an einen Schulranzen erinnert, und ein vom Horchen in den Sälen der Weisheit breit gewordenes Gesäß.
Josef ist lang, hager und besitzt einen großen kantigen Adamsapfel, der über einem zu niedrigen Kragen auf und ab steigt, außerdem einen flossenartigen, fahlbraunen Schnurrbart.
Stader war einmal ein hübscher Junge und ist jetzt ein tüchtiger Mensch.
Erster Aufzug
Die Szene stellt ein Ankleidezimmer dar, das durch eine große geschlossene Schiebetür mit dem anstoßenden Schlafzimmer verbunden ist. Eingangstür auf der entgegengesetzten Seite. Großes Fenster. Ebenerdig. Aussicht auf einen Park.
Diese Szene muß in der Wiedergabe ebensosehr Einbildung wie Wirklichkeit sein. Die Wände sind aus Leinen, Türen und Fenster sind darin ausgeschnitten, ihre Umrahmung gemalt; sie sind nicht starr, sondern unruhig und in engen Grenzen beweglich. Der Fußboden ist phantastisch gefärbt. Die Möbel gemahnen an Abstraktionen wie die Drahtmodelle von Kristallen; sie müssen zwar wirklich und benutzbar sein, aber wie durch jenen Kristallisationsvorgang entstanden, der zuweilen für einen Augenblick den Fluß der Eindrücke anhält und den einzelnen unvermittelt einsam ausscheidet. Oben übergeht der ganze Raum in den Sommerhimmel, in dem Wolken schwimmen. Es ist früh am Vormittag.
Regine sitzt, einen Brief in der Hand, auf einem ungeduldig herangezogenen Sessel an der Schlafzimmertür, leise mit den Fingerknöcheln daran trommelnd. Fräulein Mertens steht ratlos ihr zugewendet mehr in der Mitte des Zimmers.
Regine: Sie sind also wirklich nicht abergläubisch? Sie glauben nicht an geheime persönliche Kräfte?
Fräulein Mertens: Wie denken Sie sich das eigentlich?
Regine: Gar nicht. Als Kind und noch als Mädchen hatte ich eine häßliche Stimme, sobald ich nur laut sprach; aber ich wußte, daß ich eines Tags alle Leute durch einen wunderbaren Gesang überraschen würde.
Fräulein Mertens: Und haben Sie dieses Organ bekommen?
Regine: Nein.
Fräulein Mertens: Nun also.
Regine: Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll. Hatten Sie nie ein unerklärliches Gefühl von sich? So geheimnisvoll, daß man die Schuhe ausziehen muß und durch die Zimmer segeln wie eine Wolke? Früher kam ich oft hierher, als noch Mama nebenan schlief. Sie zeigt auf das Schlafzimmer von Thomas und Maria.
Fräulein Mertens: Ja aber um Himmelswillen, wozu?
Regine antwortet nur mit einer Schulterbewegung und klopft heftig an die Tür: Thomas! Thomas!! So komm doch schon! Der Brief von Josef ist da.
Thomas von innen: Gleich, Krählein; einen Augenblick. Man hört aufschließen, er steckt den Kopf durch die Tür und gewahrt Fräulein Mertens. Also dann noch einen Augenblick; ich dachte, du seist allein. Er schließt wieder die Türe.
Fräulein Mertens geht herzlich auf Regine zu: Sagen Sie mir, was wollen Sie eigentlich mit alldem beweisen?
Regine: Beweisen? Aber Liebe, wie könnte ich etwas beweisen? Das ist mir ganz gleichgültig.
Fräulein Mertens mit sanfter Hartnäckigkeit: Ich meine, wenn Sie sagen, daß Sie Ihren ersten Mann, der vor Jahren hier gestorben ist, zuweilen wiedersehen.
Regine: Dann sagen Sie mir, warum soll ich Johannes nicht sehn?
Fräulein Mertens mit hartnäckiger Schonung: Aber er ist doch gestorben?
Regine: Ja. So gewiß, als wir hier stehn. Amtlich bestätigt.
Fräulein Mertens: Also dann gibt es das nicht!
Regine: Ich will es Ihnen nicht erklären! Ich habe eben Kräfte, die Sie nicht haben. Warum nicht? Ich habe auch Fehler, die Sie nicht haben.
Fräulein Mertens: Ich habe das Gefühl: das alles sprechen Sie gegen Ihre Überzeugung.
Regine: Was meine Überzeugung ist, weiß ich nicht! Aber ich weiß, daß ich mein Leben lang alles gegen meine Überzeugung getan habe!
Fräulein Mertens: Sie meinen es nicht ernst. Man hört hier so viel von Kräften, die man nur hier hat! Das ist der Geist dieses Hauses: Auflehnung gegen das, was sonst aller Welt genügt.
Thomas