Название | Gesammelte Werke |
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Автор произведения | Robert Musil |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788026800347 |
Thomas: Ein liebeunfähiger Schwindler. Ein Vampir. Abenteurer. Was bringt ihn auf diese Ideen?
Regine zuckt koboldig die Achseln: … Nichts …
Maria: Man darf es ihm vielleicht nicht so übelnehmen. Gewiß erniedrigt ihn Eifersucht und er verleumdet, weil er fühlt, wie sehr ihm Anselm überlegen ist.
Thomas: Ja, aber das ist fast visionär …! Schließlich ist Anselm bald Mitte Dreißig, und was hat er geleistet?
Maria: Ich denke, er war doch Privatdozent wie du.
Thomas: Ein Jahr lang und vor acht Jahren! Dann hat er die Dozentur niedergelegt und war verschollen. Und merkwürdigerweise hat eine gewisse scheinbare Wahrscheinlichkeit, was Josef schreibt. Er sucht boshaft noch einmal die Stellen in dem Brief. Er hat sich unter der Maske einer Durchschnittsgesinnung bei Josef eingeführt; als teilnehmender Freund; mit Sympathiegefühlen für alle Welt; als bescheidener Idealist … Wir wissen aber doch, wie er früher war: Was ist Anselm nun in Wahrheit geworden?
Maria: Du bist taktlos!
Thomas: Aber Fräulein Mertens verehrt Anselm doch so, daß sie das gar nicht hört.
Maria: Er ist ein bedeutender Mensch!
Thomas anzüglich: O gewiß. Wahrscheinlich. Er hat Ideen! Natürlich. Aber – hat er Ideen? Wirkliche? Nicht nur so wie heute jeder Zweite? Das läßt sich gar nicht so leicht entscheiden. Nachdenken parodierend. Hat er große Gefühle? Aber eine Leidenschaft, mag sie sein, wie sie will, wird so groß, wie es der Mensch ist, dessen sie sich bemächtigt.
Fräulein Mertens: Er hätte sich beinahe getötet, als das Gelingen der Abreise bedroht zu sein schien!
Thomas: In der Tat? Hätte sich? Und beinahe? Es kommt eben auf die Verwandlungsfähigkeit des Gefühls an; ein abgerissener Strick war die Nabelschnur vieler großen Werke und nur ein dummer Mensch hängt sich einfach wirklich auf.
Regine: Aber ein Schwindler?
Thomas: Gerade darin ist es ja visionär; auch ein Schwindler hängt sich nur beinahe auf; den ersten Schritt haben großer Mensch und Schwindler eben gemeinsam.
Fräulein Mertens: Oh, ich fürchte sehr, daß Sie mit solchen Reflexionen nur Ihrer Eingenommenheit gegen Doktor Anselm Ausdruck geben.
Thomas: Sie irren, Fräulein Mertens; schlecht wie ich bin, habe ich nie im Leben einen Freund zu haben verdient – und das war Anselm.
Maria abschließend: Anselm ist gewiß auch ein bedeutender Mensch; man muß wirklich nicht gleich so unnötige Vergleiche wählen. Du hast damit schon in deinem Brief alles heraufbeschworen.
Fräulein Mertens: Exzellenz Josef beruft sich nun auf Ihre eigenen Worte!
Maria: Und hast ihm eingegeben, daß sie vor ihm geflohen sind.
Thomas: Unbestimmte Menschen vor dem bestimmten!
Maria: Gut, Thomas, ich will nicht rechten; aber längstens in drei Stunden ist Josef da und verlangt eine Entscheidung. Was soll geschehn?
Thomas: Nichts.
Maria: Nichts?
Fräulein Mertens gleichzeitig: Nichts!
Thomas: Es wird sich schon zeigen. Anselm und Regine bleiben natürlich.
Maria: Also wirst du mit Josef sprechen? Denn Anselm weigert sich, es zu tun.
Thomas betroffen: Anselm weigert sich …? – fast schreiend – Er weigert sich! Er sieht Regine an, die sich mit Fräulein Mertens zu gehen anschickt.
Regine spöttisch: Er hat Widerstände!
Maria im Begriff, sich wieder ins Schlafzimmer zurückzuziehn: Weil du diesen Brief geschrieben hast.
Thomas: So werde ich Josef mit einem Fest empfangen!
Maria, Fräulein Mertens, Regine noch einmal festgehalten: Mit einem Fest?..?!..?
Thomas grimmig: Mit einem Fest, zum Teufel, das ihn erst recht in die Laune bringen soll. Was es an leer gewordenen Kokons gibt, aus denen je der Schmetterling der menschlichen Verzückung emporgetaumelt ist, hänge ich rings um ihn auf! Negertanztrommeln, Gefäße für den göttlichen Urinrausch, Federtalare, in denen das Männchen vor dem Weibchen tanzt!
Maria in der Tür: Aber der Mann ist ja wütend. Er ist sicher entschlossen, dich fallen zu lassen, wenn du dich weiter unklug aufführst!
Ab. Thomas sieht hinter Regine drein, macht einige Schritte ihr nach; da sie aber langsam, ohne es zu bemerken, mit Fräulein Mertens dem Ausgang zuschreitet, kehrt er um und folgt unwillig Maria.
Fräulein Mertens an der Tür stehen bleibend: Sie sind im Recht, Sie dürfen sich durch nichts ins Unrecht setzen lassen. Verhindern Sie dieses Fest!
Regine: Thomas ist nicht zu hindern, wenn er sich etwas in den Kopf setzt.
Fräulein Mertens: Dann lassen Sie uns weiter fliehn!
Regine: Thomas hat seine ganze Existenz für Anselm eingesetzt.
Fräulein Mertens: Und ist dieser wunderbare Mensch nicht viel mehr wert?! Aber Doktor Thomas wird Ihre Sache verderben. Ich beschwöre Sie, entziehen Sie sich seinem Einfluß; reisen wir mit Anselm weiter!
Regine: Anselm will nicht abreisen.
Fräulein Mertens: Ich verstehe; ein Ehrenmann; will nicht fliehn. So wird er selbst mit Exzellenz Josef sprechen; er hat ja in so bezauberndem Maße die Gabe der Rede.
Regine: Wozu? Es ist ja ausgeschlossen, daß ich Anselm heirate.
Fräulein Mertens: Aber wie mutlos! Merken Sie denn nicht, daß Doktor Anselm sich bloß deshalb geweigert hat, mit Exzellenz Josef zu sprechen, weil er durch Ihren Vetter Thomas verletzt ist? Doktor Thomas durchkältet alles mit seinen theoretischen Überlegungen.
Regine geheimnisvoll: Aber Liebe, merken Sie denn nichts? Merken Sie denn gar nichts?
Fräulein Mertens: Was sollte ich merken?
Regine: St! Leise! Sie beugt sich vorsichtig aus dem Fenster, um nachzusehn, ob Anselm nicht horcht. Oh, man ist nie sicher vor ihm ..: Merken Sie denn nicht, daß Anselm Maria liebt?
Fräulein Mertens: Aber das ist ja Verbrechen, was Sie sagen! Ihre Frau Schwester! Die Frau seines einzigen Freundes! Nein, nein, – faßt sie am Arm – Regine! Ach, diese dummen, dummen Einbildungen, so klug Sie sonst sind!
Regine: Aber warum nicht? Was wäre dabei?
Fräulein Mertens: Was wäre dabei?! Sprechen Sie nicht so abscheulich!
Regine: Sie überschätzen das rasend: Vor ihm steht ein neuer Mensch: er ist neugierig; vielleicht … ergriffen. Aber was sage ich ein neuer Mensch? Zufällig hat nicht er, sondern Thomas Maria geheiratet.
Fräulein Mertens die Entrüstung fallen lassend: Ich dachte, fast zufällig hätten Sie damals Johannes und nicht ihn geheiratet?
Regine: Oder nicht Thomas, das war bei uns fast alles eins. Nun sieht er in seinem eigenen Anzug, den er weggegeben hat, einen andren Menschen gehn: das ist geheimnisvoll. Das ist doch überhaupt nicht so eine dumme Geschichte, die mit einem Weib anfängt, sondern das fängt bei ihm irgendwo an und tobt sich nur bei einer Frau aus! – Ja! Doch! – Liebe ist gar nie Liebe! Ein körperlich Antreffen von Phantasien ist es! Ein Phantastischwerden von – wie ihre Augen, nach einem Vergleich suchend, wandern – Stühlen … Vorhängen … Bäumen … Mit einem Menschen als Mittelpunkt!
Fräulein Mertens: Oh, kommen Sie, kommen Sie! Um Doktor Thomas herrscht eine Atmosphäre, die Ihnen schlecht tut. Wir wollen vor dem Frühstück noch ein wenig ins Freie. Sie zieht die