Gesammelte Werke. Robert Musil

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Robert Musil
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788026800347



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stehenbleibend. Und Frau Maria?

      Regine: Meine Schwester ist eine dicke dumme Katze, die einen Buckel macht, wenn man sie kraut.

      Ab. In der Tür lassen sie ein Hausmädchen an sich vorbei, das ein Frühstücksbrett abstellt, an der Schlafzimmertür pocht und wieder das Zimmer verläßt, während Thomas und Maria eintreten.

      Thomas am Fenster tief Atem schöpfend: Ich wachte auf, wollte mit dir sprechen, machte Licht: da lagst du mit offenem Mund, weggesunken …

      Maria: Du bist abscheulich; warum hast du mich nicht geweckt?

      Beide beginnen ihre Toilette zu vollenden.

      Thomas: Ja, warum? Weil ich mich beinahe aufgekniet hätte wie ein Einsiedler! So häßlich und stumm lag dein großer Körper da. Er rührte mich so.

      Maria: Ich darf nicht einmal mehr ruhig schlafen.

      Thomas: Wenn man nie allein ist –

      Maria: Und jahrelang verheiratet ist: ja, ja ja! Ich halte das wirklich nicht mehr aus!

      Thomas: Wenn man solang verheiratet ist und immer auf vier Füßen geht und immer Doppelatemzüge macht und jede Gedankenstrecke zweimal geht und die Zeit zwischen den Hauptsachen doppelt voll mit Nebensachen geräumt ist: Da sehnt man sich natürlich manchmal wie ein Pfeil nach einem ganz luftdünnen Raum. Und fährt auf in der Nacht, erschreckt von den eignen Atemzügen, die eben noch so gleichmäßig dahingegangen waren ohne einen selbst. Aber hebt sich nicht los. Kniet sich nicht einmal wirklich auf. Sondern reibt ein Zündholz an. Und da liegt noch so einer in Fleisch gewickelt. Das erst ist Liebe.

      Maria hält sich die Ohren zu: Ich kann das nicht mehr hören.

      Thomas: Empfindest du denn niemals Haß gegen mich?

      Maria läßt sofort die Hände wieder sinken: Ich? Haß?

      Thomas: Ja, geradezu Haß. Ich würde glauben, heute morgen. Du gingst bloßfüßig mit deinem ganzen Gewicht und ich stand da, klein und schmerzend in der Öffnung des Raums und meine Bartstoppeln ragten scharf brüchig in die Passage. Hast du mich da nicht gehaßt wie ein Messer, das dir immerzu im Weg liegt?

      Maria schmerzlich ruhig und überzeugt: Das ist das Ende der Liebe.

      Thomas jubelnd: Nein! Der wahre Anfang! So versteh doch: Liebe ist das einzige, was es zwischen Mann und Frau überhaupt nicht gibt! Als einen eigenen Zustand. Das wirkliche Erlebnis ist einfach: ein Erwachen. Lebhaft. Ich habe dich neben mir aufwachsen gesehn: brüderlich, aber natürlich nicht ganz mit der Teilnahme wie für mich selbst. Dann habe ich dich, verzeih den Ausdruck, – er deutet mit einer spöttischen Gebärde ihre Hoheit an – immer weiter wachsen gesehn. Über mich hinaus. Und einmal passiertest du den Augenblick, da erschienst du mir so übergroß und unermeßlich wie die Welt. Das war der Blitzschlag, der Rausch. Alles, was mich umspannte, Wolken, Menschen, Pläne, war noch einmal von dir umspannt, so wie man den Herzschlag des Kindes unter dem der Mutter hört. Das Wunder der Öffnung und Vereinigung hatte sich vollzogen. Abschwächend. Oder wie immer diese Terminologie es ausdrückt.

      Maria: Und heute ist es, wie wenn wir im Rinnstein geträumt hätten.

      Thomas: Wenn du willst, ja. Wir erwachen noch einmal und liegen im Rinnstein. Fettmassen, Skelette; eingenäht in einen gefühlsundurchlässigen Ledersack von Haut. Die Ekstase verraucht. Aber es wird das sein, was wir daraus machen. Die wahre menschliche Herbheit liegt erst darin, alles andre ist ja doch eine verkleinernde Übertreibung.

      Maria: Ich wollte nichts als deinen Erfolg. Wenn du, müde von zuviel Arbeit, erst um zwei Uhr, drei Uhr morgens ins Schlafzimmer kamst, mürrisch wie ein Kind, verstand ich dich. Was du getan hast, wußte ich nicht, aber es war mein Glück, mein Wert als Mensch; ich konnte sicher sein, dieses Unbekannte war ich. Aber jetzt ist es anders. Du hast dich losgemacht von mir.

      Thomas: Weil ich nicht sehen kann, wie du in die Honigfalle kriechst!

      Maria: Wie du sprichst!

      Thomas: Er umschmeichelt dich. Weil er eitel ist und sich nicht versagen kann, von dir dankbar bewundert zu werden.

      Maria: Seine Übertreibungen sind mir oft geradezu unheimlich.

      Thomas: Aber du läßt dich von diesem widrig süßen Zeug beeinflussen.

      Maria: Ich bin keine solche Gans, die immer nur «Liebe», «Liebe» schnattert! Aber glaubst du nicht, daß auch ich manchmal das Gefühl habe, man sollte Besseres mit sich anfangen als dieses eingelebte Leben?!

      Thomas: Seit Anselm hier ist. Er hindert dich, mich zu verstehn.

      Maria sich zusammennehmend, geht zu ihm: Aber du, du selbst hast von ihm geschwärmt, bevor er kam; und noch, als er da war! Du hast gesagt, er hat, was uns fehlt!

      Thomas: Und was ist das?

      Maria: Frag doch nicht; mir hat nichts gefehlt. Aber jetzt, nur weil dir etwas durch den Kopf gefahren ist, willst du ihn durchaus wieder schlecht machen; rein als Kraftprobe, so bist du eben.

      Thomas: Sag’ es nur, wie ich bin.

      Maria: Ohne lebendige Anteilnahme an einem andren bist du. All das kommt dir gar nicht aus dem Herzen – das ist das Entmutigende!

      Thomas: Sondern aus dem Kopf?

      Maria aufgeregt: Aber ich kann dieses ewige «tätig sein» und Spielen mit der ganzen Existenz wirklich nicht mehr aushalten! Ist denn nichts wert, anerkannt und in Ruhe gelassen zu werden?!

      Thomas: Da wiederholst du eben nur – Aber ich kann dir jetzt nicht antworten, Seine Heiligkeit ist da! Anselm, bis zur Brust sichtbar, ist in der Fensteröffnung aufgetaucht.

      Anselm: Wie haben Sie heute geschlafen?

      Maria unfreundlich: Wie zeremoniös Sie fragen!

      Anselm: Sie müssen wie die Erde selbst schlafen.

      Maria: So fest oder immer nur auf einem Auge, meinen Sie?

      Anselm: Ich denke mir, daß ein Kranz grüner Berge um Sie wächst, wenn Sie ruhig liegen.

      Es entsteht eine kleine Verlegenheitspause.

      Maria: Thomas hat mich gestört, er war schrecklich unruhig heute. Sie wird verlegen. Nein – daß heißt – – nun warum soll man so etwas denn schließlich nicht sagen?!

      Anselm ironisch: Aber natürlich, warum nicht …? Was ist, soll man sagen!

      Thomas: Und was denkst du wegen Josef?

      Maria: Regine wird ihm doch noch gar nicht den Brief gezeigt haben.

      Anselm: Nein. Ich habe Regine noch nicht gesprochen.

      Thomas: Sie kann nicht weit sein. Es hat sie sehr aufgeregt.

      Maria da Anselm zögernd Miene macht, sich zurückzuziehen: Nein, da. Ich habe ja den Brief. Erst müssen Sie natürlich lesen. Sie gibt Anselm den Brief. Thomas bleibt bei offener Tür eine Weile im Schlafzimmer. Anselm hört sofort auf zu lesen und starrt Maria an.

      Maria: So lesen Sie doch.

      Anselm klettert durchs Fenster ins Zimmer.

      Anselm: Haben Sie nie geträumt, daß ein Mensch, den Sie zärtlich bis ins Letzte kannten, Ihnen im Traum als fremder andrer entgegentrat, bis in die kleinste Gebärde marternd vermengt aus Verlangen und Besitz?

      Maria: Was dann geschieht, ist unruhig wie ein Haufen Laub, unter dem etwas versteckt ist, das in jedem Augenblick aufspringen kann?

      Anselm: Nun gut, Maria; ich war früher Ihr Freund, als Sie das Mädchen Maria waren, und nun leben Sie unter dem Namen Thomas’ und ich kann nicht aufspringen.

      Maria: Aber Sie betrachten sich ja fortwährend im Spiegel dabei!

      Anselm ertappt: