Carola Pütz - Verlorene Seelen. Michael Wagner J.

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Название Carola Pütz - Verlorene Seelen
Автор произведения Michael Wagner J.
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847695493



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in ihr neues Leben hatte begonnen.

      *

       Bad Elster

      An der Rezeption der Kurklinik ‚Sachsenglück‘ war der Teufel los, viele der Kurgäste hatten mitbekommen, dass sich die Polizei im Hause aufhielt. Die arme Frau, die dort an diesem Morgen Dienst hatte, wurde mit Fragen regelrecht bombardiert. Die Klinikleitung hatte die Polizei gebeten, so diskret wie möglich zu ermitteln. Doch konnte man Menschen, die den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hatten als andere Menschen zu beobachten, die Anwesenheit der fremden Männer mit den Koffern nicht vorenthalten. Und vernünftig erklären schon mal gar nicht, die Gerüchteküche lief auf Hochtouren. Die Order von Frau Dr. Carla von Hohenstetten, der Klinikleiterin, war eindeutig. Die Kurgäste sollten nichts erfahren, bis die Polizei ein Ermittlungsergebnis vorzuweisen hatte.

      Dabei war eigentlich nichts Gravierendes passiert. Es hatte in der Nacht einen Stromausfall gegeben, und noch vor dem Frühstück hatte einer der gut betuchten Gäste einen Diebstahl gemeldet. Der Gattin eines Industriellen aus Hannover war ein Brillantring entwendet worden. Man hatte die Frau erst um Stillschweigen gebeten und dann das Zimmer noch einmal gründlich auf den Kopf gestellt. Schließlich passierte es nicht zum ersten Mal, dass einer der Gäste etwas verlegte, manche der Gäste waren hochgradig dement, doch niemand hätte es sich auch nur im Ansatz getraut, das auszusprechen.

      Doch diesmal blieb der Brillantring hartnäckig verschwunden. Auch ein erneutes Suchen in den Räumlichkeiten, in denen die Frau am Vorabend noch ihre Anwendungen hatte, blieb erfolglos. Schließlich blieb Dr. Carla von Hohenstetten nichts anderes übrig, als die Polizei zu rufen. Jedoch nicht, ohne den diensthabenden Beamten auf der Wache mindestens viermal versichern zu lassen, dass sie mit äußerster Diskretion vorgehen würden.

      »Frollein, Se können mir doch reinen Wein einschenken. Dat sin doch alles Polizisten. Dat kann ich riechen, wissen Se«, sagte der Mann aus dem Ruhrgebiet mit seinem breiten Dialekt und legte seine massigen Unterarme auf den Tresen.

      »Ach ja, meinen Sie, Herr Krawuttke«, sagte die Frau an der Rezeption mit der ihr noch verbliebenen Contenance. Sie versuchte den Mann, der jetzt schon halb auf der Marmorplatte lag, als sei es seine Stammkneipe in Gelsenkirchen, zu ignorieren, indem sie sich mit einem Stapel Akten beschäftigte. Doch der Kurgast blieb hartnäckig.

      »Kindchen, mir können Se dat doch sagen. Ich kann schweigen wie ein Grab.«

      Sie schaute in Augen, die wasserblau und unterlaufen waren und zusammen mit einer grobporigen Nase verrieten, dass sie in ihrem Leben mehr als einen Schnaps gesehen hatten.

      Er war so nah an ihrem Gesicht, dass sie seinen Atem riechen konnte.

      »Herr Krawuttke, es gibt nichts, was ich Ihnen sagen könnte.«

      »Se sin aber heute streng mit einem alten Mann«, sagte er und schien aufgeben zu wollen.

      Doch dann startete er einen letzten Versuch und sagte: »Abba wehe, ich hör, dat doch wat war!« Er wuchtete seinen schweren Körper von der Theke und walzte in Richtung Ausgang davon.

      Sindy Partsche, die Frau an der Rezeption, verspürte ein inneres Aufatmen. Frau Doktor, so wurde Dr. Clara von Hohenstetten unter den Kollegen genannt, hatte klare Order gegeben, nichts zu erwähnen. Auch wenn es für jeden mittlerweile klar war, dass die Polizei sich an der Zimmertüre der Industriellengattin zu schaffen machte, gegen ihre Order zu verstoßen, traute sich niemand unter den Kollegen. Frau Doktor führte die Klinik mit eisernem Besen. So war es und so blieb es. Zumindest bis zu ihrer Pensionierung, aber bis dahin gingen noch drei Jahre ins Land.

      Dr. Clara von Hohenstetten trat als eine Frau mit Prinzipien auf. Nur mit Pünktlichkeit, Freundlichkeit, Sauberkeit und einem Lächeln auf den Lippen konnte man ein so erfolgreiches Klinikum führen, so lautete ihre Maxime. Das sagte sie jedem, der sich für einen Job vorstellte, betete es aber auch bei dem kleinsten Fehler eines Angestellten wie eine buddhistische Gebetsmühle immer wieder vor. Fehler gab es nicht, sofern man sich bemühte, es gleich angemessen zu machen.

      Von daher schien es nicht verwunderlich, dass es bei den Angestellten im Klinikum ‚Sachsenglück‘ einen ständigen Wechsel gab. Sindy Partsche war jetzt im dritten Jahr, sie gehörte somit zum altgedienten Inventar.

      Es gab noch drei Personen, die bereits länger dort arbeiteten. Zum einen war das Franziska Eichhorn, die Stellvertreterin von Frau Doktor. Sie schaffte es, sich mit ihrem schlangengleichen Naturell bei von Hohenstetten so unentbehrlich zu machen, dass sie einen besonderen Status in der Klinik innehatte. Sie war groß, dünn, schmallippig und hatte den Charme eines aufgeklappten Taschenmessers. Sie spekulierte sicher darauf, dass man ihr nach der Pensionierung von Frau Doktor die Leitung der Klinik übertragen würde. Mit keinem Wort äußerte sie das, doch war man sich allgemein darüber einig, dass sie das so plante.

      Der einzige Ansprechpartner der Angestellten war der medizinische Klinikchef, Prof. Dr. Ralf Wielpütz. Es zählte nicht zu seinen Aufgaben als Mediziner, Streitigkeiten unter den Angestellten der Verwaltung zu schlichten. Doch manchmal blieb ihm nichts anderes übrig, wenn er die Qualität der medizinischen Versorgung nicht durch Reibereien gefährdet sehen wollte.

      Der Professor war ein Gemütsmensch und er war Arzt durch und durch. Ihm war keine menschliche Verfehlung fremd. Von daher ging er mit seinen Patienten so um, als wäre er ihr Pfarrer. Er konnte einen noch so sturen Geist vor sich haben, der mit einer üblen Prognose in die Klinik kam, binnen kurzer Zeit hatte er zumindest einen Zweifel in ihm gesät. Fast niemand verließ die Klinik, ohne sicher zu sein, dass die Behandlungen, die er hier erhalten hatte, sinnvoll waren und ihm einen Vorteil im weiteren Leben verschafft hatten.

      Der dritte Mensch, den es länger in der Klinik gehalten hatte, hieß Dimitrij Koljakow. Der Mann war ein Bär von einem Russen und hätte im Dunkeln auch leicht mit einem solchen Tier verwechselt werden können.

      Zwei Meter groß, mit Händen wie Bratpfannen, verkörperte er den Prototypen eines Masseurs. Jeder, der sich zitternd unter seine Pranken gelegt hatte, verkündete danach jedoch überrascht, mit welcher Feinfühligkeit er imstande war, die kleinsten Verspannungen zu erfühlen und zu beseitigen.

      An den wunderschön verzierten Service- und Empfangstresen trat soeben der Beamte, den Doktor von Hohenstetten am frühen Morgen bereits so genervt hatte, dass er beileibe keine Lust verspürte, selbst in die Klinik zu fahren. Aber es ließ sich nicht umgehen, es fand sich kein anderer Kollege.

      »Können Sie mir bitte Ihre Chefin holen? Wir wären soweit fertig, die Fingerabdrücke sind genommen. Jetzt müssen wir sie auf der Dienststelle vergleichen«, sagte er beinahe tonlos zu Sindy Partsche.

      Die Polizei vor Ort verfügte nicht über moderne Lesegeräte, wie man sie aus den amerikanischen Filmen kannte. Diese Geräte waren eine enorme Hilfe, man war in der Lage, einen eben genommenen Fingerabdruck direkt online mit einer Datenbank abzugleichen. Hier draußen wurde Polizeiarbeit noch oft zu Fuß erledigt, es gab nur wenig fortschrittliche, technische Unterstützung.

      Sindy Partsche nahm das Telefon in die Hand und drückte die Kurzwahl von Frau Doktor. Keine halbe Minute später stand diese bereits leibhaftig vor dem Beamten.

      »Herr Kirchow, was können Sie mir Positives berichten?«, fragte sie.

      »Noch nicht wirklich viel. Die Abdrücke sind genommen. Ebenso auch die von den Angestellten, die Zugang zu den Zimmern haben, um sie als Verdächtige auszuschließen.«

      »Ach ja«, sagte sie kurz und konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. Es wäre ihr lieb gewesen, wenn schon ein Ergebnis vorliegen würde.

      Da er diese knappe Antwort jedoch als Frage verstanden hatte, fasste er den bisherigen Ermittlungsstand erneut zusammen.

      »Wir haben Frau Güstrow befragt, sie konnte uns auch nur berichten, dass sie den Ring seit heute Morgen vermisst. Wie genau solche Angaben sind, kann ich nicht überprüfen. Gattinnen von betuchten Männern gehen etwas nachlässig mit ihren Preziosen um. Das ist leider eine Tatsache. Sie versichern uns, dass sie das Objekt eben noch gesehen haben, aber bei weiterer Nachfrage ergibt sich oft, dass