Die Seepriesterin. Dion Fortune

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Название Die Seepriesterin
Автор произведения Dion Fortune
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741881206



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glitt sie in ihrem Boot an mir vorbei und verschwand im Nebel und in der Dämmerung. Da wurde mir klar, ihr Ziel war der Hügel, der sich einige Meilen landeinwärts aus dem Schlick erhob. Auf seiner Kuppe stand ein offener Tempel aus Steinen mit einem ewigen Feuer, der Sonne geweiht; unten lag eine Höhle, in der das Wasser hochstieg und die Opfer mit sich nahm, die lebend an die Felsen gebunden waren. Es ging das Gerücht, die Seepriesterin würde für ihre Göttin viele Opfer fordern, und als ich mich an ihre kalten, seltsamen Augen erinnerte, hatte ich keinen Zweifel daran, dass es stimmte.

      Leider musste ich mich von meinen Fantasien losreißen und Scottie bei der vierteljährlichen Abrechnung helfen und hatte keine Zeit mehr für Tagträume von Seepriesterinnen oder ähnliche Hirngespinste.

      Ich erinnerte mich, damals, zu Großvaters Zeiten, hatte es einen alten Herrn namens Morgan gegeben, dem eine Menge Land in dieser Gegend gehörte, und als er alt wurde, vertraute er es unserer Firma an. Dann starb er und hinterließ eine alte Schwester. Die hatte eine Gesellschafterin, eine Nichte, eine fremdländisch aussehende junge Frau, vermutlich französischer Abstammung. Nach ihrem Namen zu urteilen, müssen die Morgans Waliser gewesen sein. Wie dem auch sei, obwohl seit unzähligen Generationen hier ansässig, hatten sie nie richtig nach hier gehört. Die alte Dame hinterließ ihrerseits ihren gesamten Besitz ihrer Gesellschafterin, unter der Bedingung, den Namen Morgan anzunehmen. Diese ging darauf ein und nannte sich von nun an Le Fay Morgan, denn ursprünglich war sie eine Miss Le Fay gewesen. Natürlich kam die Nachbarschaft nie mit dem Namen Le Fay Morgan zurecht, und als die Generation, die sie unter dem Namen Miss Le Fay gekannt hatte, ausgestorben war, wurde sie von der nächsten Generation einfach Miss Morgan genannt.

      Mein Vater, der für die alte Miss Morgan gearbeitet hatte, verpfändete das gesamte Ackerland, auf das der alte Oberst Morgan sein Vertrauen gesetzt hatte, und kaufte dafür in Dickmouth Grundstücke in dem Glauben, es würde ein aufstrebendes Seebad werden, denn die Eisenbahnstrecke war schon bis zu uns gediehen und sollte bis zur Küste verlängert werden. Wie es das Schicksal so wollte, kam es zu einer Wirtschaftskrise, und die Eisenbahn blieb, wo sie war. Mein Vater hatte also alles, was gut und teuer war, verscherbelt und wertloses Zeug erstanden. Zu seinem Glück starb die alte Dame: Ich möchte nicht wissen, was er von ihr zu hören bekommen hätte.

      In Erwartung des Booms, den Dickmouth als Seebad erleben würde, hatte er in alle Richtungen reihen- und terrassenförmig prunkvolle Einfamilienhäuser gebaut. Es gab Geschäfte und ein scheußliches Gewölbe an dem Platz, der für den Bahnhof vorgesehen gewesen war. Selbst die Stelle für einen Pier war bereits ausgesucht, der Gott sei Dank jedoch niemals gebaut wurde. Mit dem Aufkommen der Kraftfahrzeuge war Dickmouth später aufgeblüht, und schließlich hatten wir praktisch alles vermietet, –aber zu welch einem Preis! Selbst nachdem wir das Ganze aufgemöbelt hatten, warf der Besitz fast nichts ab, und so blieb der Gesellschafterin der alten Dame, die eigentlich hätte fein heraus sein müssen, gerade genug, um Körper und Seele zusammenzuhalten und sie in schwarzen Seidenkleidern herumlaufen zu lassen.

      Nachdem wir alle Pachten, die auf 21 Jahre liefen, weit unter Preis abgewickelt hatten, taten die Herren von der Eisenbahn den letzten Schritt, und als unsere Fünfundsiebzig-Pfund-Pachten in andere Hände übergingen, brachten sie vier oder fünfhundert ein. Alles kam wieder ins Lot, selbst die Pachtverträge, und jetzt waren wir am Zug. In den vergangenen Quartalen hatte ich Morgan der Zweiten einige Schecks mit ganz hübschen Summen schicken können, und es sah so aus, als ob sie in ihren letzten Lebensjahren noch ein wenig Glück haben würde, als Ausgleich für die ungewöhnlich schlechten Zeiten.

      Mit diesen Grundstücken musste damals, als die Pachten fielen, etwas geschehen. Ich glaubte nicht, dass es noch Sinn hatte, die weißen Elefanten meines Vaters weiter zu pflegen. Einige waren ohnehin den Pachten zuvorgekommen, indem sie freiwillig zusammengebrochen waren. Die anderen kamen nach Hause, um zu schnarchen oder was immer weiße Elefanten tun, wenn ihre Zeit vorüber ist. Ich hatte Miss Le Fay Morgan eine nette Summe für den Platz an der Anlegestelle geboten und ein Vermögen für dieses schreckliche Gewölbe, das in den letzten Jahren wegen seiner gefährlichen Konstruktion mit Brettern vernagelt gewesen war. In meinen Augen war es schade, noch weitere Grundstücke zu verkaufen, zumal ich gehört hatte, dass die Eisenbahn elektrifiziert werden sollte. So hatte ich insgeheim die Hoffnung, mich durch Miss Morgan sanieren zu können: Wir würden den Umbau finanziert bekommen, den Gewinn wollte ich mit ihr teilen. Es wäre ein verdammt gutes Geschäft für sie gewesen und hätte ihr geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. So ist das mit uns Häusermaklern: Wir nagen und knabbern und stochern – und das immer ganz unten.

      Mein Vater hatte die verwundeten weißen Elefanten mit Instandsetzungsklauseln vermietet. Eine solche Klausel ist ein eigenartiges Geschäft, bei dem der eine sein Geld für den Besitz eines anderen verschwendet. Gegen Ende des Pachtvertrages bekommt er nichts.

      Die Häuser und Pachtverträge brachen alle zusammen, und so musste etwas geschehen. Scottie war nach London gefahren, um in einem Rechtsstreit eines Kunden auszusagen. Ich hatte ihm vorgeschlagen, Miss Le Fay Morgan aufzusuchen und ihr meine Idee schmackhaft zu machen: nämlich umzubauen statt zu verkaufen.

      Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen auf Neues viel schneller eingehen, wenn man es ihnen mündlich beibringt. Wenn es um ihr Haus geht, geraten sie schnell aus der Fassung und urteilen eher nach dem Mann, mit dem sie reden, als nach der Sache. Ich wusste, Scottie mit seinem überaus vorsichtigen und redlichen Auftreten würde einen guten Eindruck auf sie machen.

      Er kam wie Noahs Taube zurück, allerdings ohne Olivenzweig zwischen den Lippen, im Gegenteil: Er hatte Anstoß erregt. Offenbar war er bei der Adresse, die in unseren Akten stand, gewesen und in einem alten Stall gelandet, den man zu einem Studio umgebaut hatte. Der alte Scottie war eine Hühnerleiter zu dem, was wohl der Heuboden gewesen war, hinaufgeklettert und hatte Stühle mit abgesägten Beinen vorgefunden, sodass man praktisch auf dem Boden saß. An den Wänden standen ‚Diwane‘, die aus Kisten mit Matratzen und persischen Brücken gebaut waren. Scottie wusste, dass es Boxermatten waren, denn er hatte die Decken umgedreht und druntergeguckt. Für Scottie waren Matratzen unabdingbar mit Betten verbunden, und so war er schockiert. Ich versicherte ihm: „Je mehr Leute, desto weniger kann passieren!“ Es half alles nichts, auch nicht, dass ich argwöhnte: „Vielleicht bis du nur deshalb so schockiert, weil du Pettycoats hochgehoben und druntergeguckt hast.“

      „Du spinnst. In dem Moment, als ich beim Hereinkommen die abgesägten Stühle gesehen habe, schwante mir schon etwas. Aber als die Dame hereinkam, da wusste ich, dass etwas faul ist.“

      „Seit wann machen wir mit der Dame Geschäfte?“, fuhr er fort.

      „Gott weiß es“, entgegnete ich.

      Scottie rümpfte die Nase; es passt ihm nicht, wenn ich den Namen des Herrn missbrauche.

      „Ihr Name stand in den Unterlagen, als ich Teilhaber in der Firma wurde“, fuhr er fort.

      „Ihr Name stand schon in den Büchern, als ich geboren wurde“, sagte ich.

      „Wie alt ist sie dann?“ fragte Scottie.

      „Nun geh schon“, sagte ich, „ich bin 36, und meine Eltern kannten sie so lange, wie ich mich erinnern kann.“

      „Nun gut“, sagte Scottie, „eine Dame kam ins Zimmer, wenn man überhaupt von einem Zimmer sprechen kann – ich würde es eine Scheune nennen –, und ich sagte zu ihr: ‚Ich möchte Miss Le Fay Morgan sprechen‘, und sie antwortete: ‚Ich bin Miss Le Fay Morgan.‘

      Da fuhr ich fort: ‚Sie haben sich gut gehalten, Madam, wenn Sie gestatten, dass ich so etwas sage.‘ Sie wurde rot und entgegnete: ‚Sie hätten Ihr Geschäft besser schriftlich vorgetragen‘, und ich gab ihr recht.

      Aus all dem schloss ich: Wer auch immer die Dame sein mochte, mit der wir seit Jahren als Miss Le Fay Morgan Geschäfte getätigt hatten, Miss Le Fay Morgan war es nicht.“

      Das brachte uns in eine unangenehme Lage. War es unsere Sache, die ursprüngliche Miss Le Fay Morgan ausfindig zu machen? Wir sahen uns die Korrespondenz an, die so dick war wie die Familienbibel. Die Unterschrift war unverändert, die ganzen Jahre hindurch. Ich nahm den ersten Brief, den letzten und einige dazwischen und ging mit ihnen zum