Die Seepriesterin. Dion Fortune

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Название Die Seepriesterin
Автор произведения Dion Fortune
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741881206



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Wir beide hatten eine stillschweigende Vereinbarung getroffen...

      Das war genau nach meinem Geschmack, aber die Anwälte waren heute hier und morgen dort, und obwohl ich viel Spaß mit ihnen hatte, wurden wir nie Freunde. Zu guter Letzt gab ich mich mehr oder weniger mit Sally, meinen Büchern und dem Radio zufrieden. Jeder sagte, ich wäre verdammt ungesellig, aber Gott weiß, ich war es nicht, sofern ich die Art von Gesellschaft haben konnte, die ich wollte. Also spielte ich mein Asthma weidlich aus.

      Ich las die unterschiedlichsten und erstaunlichsten Sachen, eine Menge über Theosophie, was im Haus früher nicht möglich gewesen wäre, jedenfalls nicht in Ruhe. Einiges sagte mir zu, anderes nicht. Die Lehre von der Wiedergeburt akzeptierte ich; sie war das Beste, was mir je begegnet war und half mir sehr. Mein jetziges Leben sah nach einem Reinfall aus, und so hoffte ich auf das nächste. Wenn ich nichts Besseres zu tun hatte, dachte ich über das letzte nach.

      Ein Asthmaanfall fesselte mich immer ein oder zwei Tage ans Bett. Nach einer Weile ist man seine Bücher leid, Besucher hatte ich nicht einmal in meinen guten Tagen ermutigt, und jetzt war ohnehin keine gute Zeit für mich. Außerdem hätte ich wahrscheinlich gar nicht reden können. So lag ich nur da, grübelte und amüsierte mich damit, meine vergangenen Leben zu rekonstruieren.

      Es ist schon eigenartig: Ich, der ich nicht einmal in der Lage bin, die Handlung für einen Roman zusammenzubringen, konnte ausgeklügelte und fantastische Inkarnationen der Vergangenheit erfinden. Und wenn ich mich den ganzen Tag mit ihnen beschäftigt hatte, so, wie ich es nach einem Asthmaanfall tat, begann ich, davon zu träumen. In dem Zustand nach einer Morphiumspritze tauchten diese Bilder in meinen Träumen mit außergewöhnlicher Lebhaftigkeit auf. Ich lag zwischen Schlafen und Wachen und hätte mich nicht bewegt, auch wenn das Haus unter mir abgebrannt wäre. In diesem Zustand schien mein Geist keine Mauern oder Grenzen zu kennen. Normalerweise schwebte ich über den Dingen und hatte ein Brett vor dem Kopf wie die meisten meiner Mitmenschen. Meine Gefühle waren für mich ein rätselhaftes Durcheinander aus dem, was ich sein sollte, und dem, was ich ernsthaft versuchte zu sein. Aber wenn ich betäubt im Bett lag, gab ich mich keinen Selbsttäuschungen hin.

      Das Eigenartige an diesem Zustand war sein seltsam verdrehter Sinn für Realität. Normale Dinge waren weit weg und nicht wichtig, aber in dem inneren Reich, wie ich es nannte, das mir der Einstich einer Spritze beschert hatte, waren meine Wünsche Gesetz; ich konnte alles schaffen, was ich wollte, allein durch meine Vorstellungskraft.

      Ich kann sehr gut verstehen, warum Leute Drogen nehmen: Sie setzen ihr Leben für eine Traumwelt aufs Spiel und entfliehen dem Alltag, ohne ihn je zu vermissen. Einen großen Teil meiner Entwicklung verdanke ich dem Betäubungsmittelgesetz. Am besten lässt sich mein Leben mit einer vitaminlosen Diät vergleichen – jede Menge nahrhaftes Zeug, aber das kleine bisschen, das für die Gesundheit entscheidend ist, fehlte. Ich glaube, meine Krankheit war geistiger Skorbut. Mit meinen Halluzinationen und theosophischen Büchern kam ich Peter Ibbetsons Vorstellung von Hellsichtigkeit sehr nahe. Allmählich lernte ich den Kniff mit dem Tagträumen, und obwohl ich nicht dieselbe Klarheit erreichte wie unter Rauschgift, so war das besser als nichts; ab und zu jedoch ging ein Tag-Traum in einen Nacht-Traum über, und es kam etwas wirklich Sinnvolles heraus.

      Was ich tat, war etwas Ähnliches wie einen Roman zu lesen, aber auf höherer Ebene, denn schließlich lesen wir Romane zur Bereicherung des täglichen Lebens. Denken Sie nur einmal an ein Zugabteil und schauen Sie dem Mann, der am harmlosesten aussieht, über die Schulter. Sie werden feststellen, dass er den blutrünstigsten Roman liest.

      Je harmloser der Mann, desto blutiger der Roman. Und erst die Damen...! Und was ist mit dem braungebrannten Typen, der aussieht wie ein harter Kerl und gerade aus der Südsee zu kommen scheint? Er liest wahrscheinlich ein Gartenbuch.

      Thriller sind für mich ein Versuch, unsere spirituelle Diät mit Vitaminen anzureichern, wobei das Problem ist, das richtige Rezept für einen Thriller zu finden. Man mag sich vielleicht noch mit dem Helden als Ersatz für ein Abenteuer identifizieren können, aber die Heldinnen..., meistens sind sie albern.

      Ich wurde mehr und mehr zum Experten, meine eigenen romantischen Rezepte auszutüfteln, während die vorgeschriebenen für mich immer langweiliger wurden. Beinahe freute ich mich auf meine Asthmaanfälle, denn sie verhießen eine Dosis Rauschgift. Dann würden die Fantasien Wirklichkeit werden und die Überhand gewinnen, und ich würde ‚Leben sehen’ in außergewöhnlicher Form.

      Allmählich entwickelte ich auch die Fähigkeit, mit der Natur zu ‚fühlen’. Meine erste Erfahrung machte ich, als ich während meiner ersten Attacke zufällig mit dem Mond in Verbindung kam. Später las ich einige Bücher von Algernon Blackwood; außerdem von Muldoon und Carrington: ‚Die Aussendung des Astralkörpers‘. Das brachte mich auf eine Idee: Muldoon ging es gesundheitlich schlecht. Wenn er durch die Krankheit geschwächt war, konnte er aus seinem Körper heraustreten. Asthma bedeutet auch eine Schwächung des Körpers. Mystiker, die Visionen haben wollen, fasten; jeder Asthmatiker, der nachts schlafen möchte, schläft mit leerem Magen. Nehmen Sie alle drei Dinge zusammen – das Asthma, die Drogen und den Hunger –, und Sie haben alle Voraussetzungen, aus Ihrem Körper herauszugehen, zumindest scheint es so zu funktionieren. Das einzige Problem war das Zurückkommen. Wenn ich ganz ehrlich bin, es hätte mir nicht sehr viel ausgemacht, nicht zurückzukommen – zumindest theoretisch, obwohl ich die ein oder zwei Male, als es riskant wurde, wie ein Besessener um mein Leben kämpfte.

      Hoffentlich langweile ich Sie nicht; ich fand es damals jedenfalls sehr interessant. Aber es ist ohnehin nicht möglich, es allen Recht zu machen. Warum soll ich mir dann nicht wenigstens selbst diesen Spaß gönnen?

      ***

      3

      Nun möchte ich aber weitererzählen. Ich hatte Ihnen erklärt, ich würde immer besser mit meinen Reinkarnations-Fantasien. Das ist richtig und wiederum auch nicht. Diese Fähigkeit entwickelte sich schubweise. Eine Weile passierte gar nichts, und plötzlich kam ich einen Schritt vorwärts, dann wieder eine Weile Stillstand, und dann erneut ein Schritt nach vorn.

      Bei den Theosophen habe ich gelesen, die beste Möglichkeit, sich an vergangene Inkarnationen zu erinnern sei, abends im Bett zu liegen und den Tag zurückzuverfolgen. Ich habe es versucht, glaube aber nicht, dass es so funktioniert. Man denkt nicht wirklich zurück, sondern erinnert sich an eine Reihe zusammenhangloser Bilder rückwärts, was nicht dasselbe ist. Zumindest versuchte ich es. Wenn jemand eine bessere Idee hat, würde ich sie gerne erfahren. Ehrlich gesagt glaube ich, dass vieles Augenwischerei ist.

      Ich war immer schon vom alten Ägypten fasziniert, und da es im Reich der Fantasie ja nichts kostet, amüsierte es mich, mir nun einzubilden, in einer vergangenen Inkarnation ein Ägypter gewesen zu sein; also eine ganz schöne Zeitspanne zwischen jetzt und damals, während ich bei den Würmern schlief – eine langweilige Beschäftigung! Und so entschied ich mich, auch ein Alchimist gewesen zu sein, der, ich brauche es eigentlich nicht zu erwähnen, den Stein der Weisen entdeckte.

      Eines Sonntagabends ging ich mit der Familie zur Kirche, wie ich es gelegentlich um des lieben Friedens willen und aus geschäftlichen Gründen tue, man muss sich schließlich anpassen, wenn man in einer kleinen Stadt lebt. Ein Gastpfarrer hielt die Predigt, und das nicht schlecht. Bisher war mir nicht aufgefallen, wie wundervoll die Bibelversion von 1611 ist. Es ging um die Flucht nach Ägypten, um Gold, Weihrauch und Myrrhe, und um die Drei Heiligen Könige, die von einem Stern geleitet wurden. Ich war beeindruckt. Als ich nach Hause kam, suchte ich die Bibel, die ich bei der Taufe geschenkt bekommen und nie mehr angeschaut hatte, außer unter Zwang, und las alles nach, über Moses und die Weisheit der Ägypter, und über Daniel und die Weisheit der Babylonier.

      Wir hören eine Menge über Daniel in der Löwengrube, aber wir erfahren nichts über seine offizielle Tätigkeit als Belsazar, Hauptmagier beim König von Babylon und Statthalter von Chaldäa. Auch die eigenartige Geschichte von der Schlacht im Tal der Könige, vier gegen fünf, interessierte mich – Amraphel, König von Shinar; Arioch, König von Ellasar; Chedorlaomer, König von Elam, und Tidal, König der Nationen. Ich wusste nichts über sie, aber ihre Namen waren wundervoll und spukten in meinem Kopf herum. Dann die noch eigenartigere Geschichte von Melchisedek, König von Salem, Priester des allerhöchsten Gottes, der sich