Название | Virus |
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Автор произведения | Kristian Isringhaus |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783738086386 |
15.
Es klopfte an der Tür und nach kurzem Warten auf eine Aufforderung betrat der Brandursachenermittler der Feuerwehr Wegmanns Büro. Wegmann begrüßte ihn in dem sicheren Glauben, dem Abschluss des Falls damit ein gutes Stück näher zu kommen, herzlich. Der Mann war klein und dick und trug einen Schnäuzer mit gezwirbelten Enden in seinem fröhlichen, runden Gesicht. Er stellte sich unter dem Namen Löscher vor und machte dazu den gleichen Witz mit Feuerwehr-Bezug, den er wahrscheinlich jedes Mal machte, wenn er sich vorstellte.
Eine echte Frohnatur, schoss es Wegmann durch den Kopf, doch im Prinzip war ihm das egal. Lediglich die Ergebnisse, die Löscher zu präsentieren hatte, waren von Interesse.
Wegmann goss dem Mann ein Glas Wasser ein und wurde alsdann ernst. Immerhin war die Stunde fortgeschritten und er wollte nach Hause zu seiner Familie.
„Was haben Sie herausgefunden?” beendete er den small talk und ging zum Dienstlichen über.
„Leider nichts”, antwortete Löscher. „Ich weiß, ich hätte Ihnen das auch telefonisch mitteilen können, aber ich dachte, ich schaue mal persönlich rein. Ist irgendwie netter.” Er lachte.
Wegmann hingegen stand der Sinn überhaupt nicht nach Lachen. Nichts? Was hatten diese Stümper denn den ganzen Tag gemacht?
„Was meinen Sie mit ‚nichts’?” fragte er ernst.
„Es stimmt nicht ganz. Lediglich mit dem eigentlichen Brand sind wir nicht weiter”, antwortete Löscher schnell und mit in Wegmanns Augen unangemessener Fröhlichkeit. „Wir konnten bisher keinen Brandbeschleuniger nachweisen und wissen deshalb nicht, warum sich das Feuer so schnell ausgebreitet hat. Wir bleiben aber am Ball. Die Ursache ist natürlich der Blitz, das ist klar wie Kloßbrühe. Aber mit eben dem haben wir so unsere Probleme.”
Probleme waren nicht gut, das Wort ‚Problem’ hatte Wegmann eigentlich in diesem Gespräch überhaupt nicht hören wollen.
„Was für Probleme gibt es denn mit dem Blitz?” fragte er scharf. Er hoffte, durch einen energischen Tonfall die Fröhlichkeit in Löschers Stimme in Sachlichkeit umwandeln zu können.
„Nun ja, wie soll ich das sagen? … Es gab einfach keinen.” Löscher lachte laut auf.
Wegmann schnitt mit zorniger Stimme in das Lachen. Dieser mondgesichtige Blödmann kostete ihn den letzten Nerv. „Was soll das heißen, es gab keinen?”
Löschers Lachen brach ab. Offenbar zeigte Wegmanns Tonfall Wirkung, denn die Stimme des Brandursachenermittlers nahm ein sachlicheres Timbre an, als er antwortete. „Jeder Blitz, der irgendwo in Deutschland einschlägt, wird nach Zeitpunkt und Stärke mit einer örtlichen Genauigkeit von einhundert Metern erfasst. Und zum Todeszeitpunkt des Professors wurde am Kongresszentrum kein Blitz erfasst.”
Wegmann traute seinen Ohren nicht. Unzählige Zeugen hatten von dem Blitz berichtet, unter ihnen Beamte des BKA und Agenten des BND. Es hatte einen Blitz gegeben. Und nun wollte ihm dieser inkompetente Möchtegernclown das Leben schwer machen.
„Vielleicht waren Ihre tollen Blitzerfassungsgeräte defekt oder falsch kalibriert?” schlug er vor.
„Das ist leider ausgeschlossen”, antwortete Löscher. „Blitze werden durch Störungen von Radiowellen auf nicht genutzten Frequenzen erfasst. Aber die Radiowellen wurden registriert. Nur eben nicht gestört. Zudem wurde nur achtzig Sekunden nach dem Tod des Professors ein Blitz in einer Entfernung von hundertsiebzig Metern erfasst. Ist auf dem Golfplatz eingeschlagen. Wenn die Geräte kaputt gewesen wären, hätte…”
Wegmann ließ ihn nicht weiterreden.
„Was sagen Sie da?” fiel er ihm ins Wort. „Sie haben einen Blitz erfasst, der fast zur gleichen Zeit fast am gleichen Ort eingeschlagen ist, und behaupten, es habe keinen Blitz gegeben?”
„Nun ja, es hat eben keinen gegeben, der mit dem Todeszeitpunkt und -ort des Professors übereinstimmt”, erwiderte Löscher defensiv.
„Natürlich hat es den gegeben”, rief Wegmann. Wut klang in seinen Worten mit und er hatte größte Mühe, seine Lautstärke zu kontrollieren. „Haben Sie schon mal was von Messungenauigkeiten gehört?”
„Die gibt es natürlich”, gestand Löscher ein. Er war sichtlich darauf bedacht, Wegmann nicht weiter zu reizen. „Deshalb sind die Messungen ja auch nur auf einhundert Meter genau. Das ist allerdings eine fast nicht nötige Absicherung, denn normalerweise sind sie recht präzise. Hier aber haben wir eine Abweichung von einhundertsiebzig Metern. Siebzig Prozent über der Toleranzgrenze. Ganz zu schweigen von der zeitlichen Abweichung. Wir können so gut wie ausschließen, dass unser Blitz auch Ihrer ist.”
„So gut wie!” lachte Wegmann auf. „Hören Sie, wir haben einen Blitz, den Zeugen gesehen haben, und wir haben einen, der zeit- und ortsnah gemessen wurde. Jetzt zählen Sie gefälligst eins und eins zusammen.” Er machte eine kurze Pause und fuhr dann in einem leisen und bedrohlichen Tonfall fort: „Ich will in Ihrem Bericht lesen, dass der gemessene Blitz es war, der den Professor getötet hat. Wir haben ziemlich viele Drogen und nicht registrierte Schusswaffen in unserer Asservatenkammer. Wollen Sie, dass meine Kollegen davon etwas in Ihrem Auto finden?”
16.
Inzwischen war es kurz vor neun und Holger war noch immer der einzige Gast im ‚Dorfkrug’. Außer Bierbestellungen in regelmäßigen Intervallen hatte er kein weiteres Wort mehr zu Hagen gesprochen und dieser hatte es ebenfalls recht schnell aufgegeben, Holger weitere Fragen zu stellen.
Stattdessen hatte Holger erneut begonnen, über die Blitzsache zu grübeln. Es hatte sich also offensichtlich nicht um ein natürliches Phänomen gehandelt. Schon die Tatsache, dass ein Mann in einem geschlossenen Gebäude von einem Lichtbogen erschlagen wurde, war ungewöhnlich genug. Aber hier hatte es sich auch noch um eine Entladung gehandelt, die grob geschätzt zehntausendmal länger gedauert hatte als gewöhnlich.
Hatte die U.S. Importfurie etwa Recht gehabt? War es am Ende sogar Mord gewesen? War wirklich eine Flammenschrift erschienen? Was konnte A87 bedeuten? Und interessierte es ihn überhaupt? Was war mit seiner schützenden Festung aus Gleichgültigkeit passiert?
Holger beschloss, dass es ihn mitnichten interessierte, dass es ihm sogar völlig egal war, und dass er nur darüber grübelte, um sich die Zeit zu vertreiben.
–––––
Debbie betrat den ‚Dorfkrug’, guckte sich kurz um und setzte sich an die Theke. Sie trug nun eine Sweatshirt-Jacke der Minnesota Twins, Jeans und Turnschuhe. Um sich nicht mehr als unbedingt notwendig ihren Haaren zuwenden zu müssen, hatte sie eine Baseball-Kappe aufgesetzt. In Röcken, Blazern oder Pumps fühlte sie sich nie ganz wohl. Leider waren sie gelegentlich unvermeidlich, aber selbst in den hippen Kneipen von Uptown Minneapolis bildeten Sweatshirt und Jeans mit höherer Wahrscheinlichkeit den Aufzug, in dem man sie antraf.
Sie war der einzige Gast. Ablenkung würde sie also nicht allzu viel bekommen, aber was sie viel dringender benötigte, war sowieso ein Pils und etwas zu essen. Sie bestellte ein Bier und die Speisekarte und versank in den gleichen Gedanken, die sie schon den ganzen Tag gequält hatten. In einer Ecke des Raums lief zwar ein Fernseher, doch die Bilder, die dort ausgestrahlt wurden, eigneten sich denkbar schlecht, sie von den Ereignissen des Nachmittags abzulenken.
Wer könnte ein Motiv haben, den Professor umzubringen? Oder war der Professor nur Teil einer Inszenierung geworden, in der er zufällig die Bestbesetzung dargestellt hatte? Wie hatte der Mörder den Blitzableiter manipuliert? Wie konnte er überhaupt gewusst haben, dass der Blitz in das Gebäude einschlagen würde? Was hatte der Ton zu bedeuten? Und was bitteschön hatte das Ganze mit einer Virusmeningitis zu tun?
„Null Komma null null null vier Sekunden”, sagte plötzlich jemand zu ihrer Rechten.
Völlig verwirrt und willkürlich aus ihren Gedanken gerissen blickte Debbie