Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt

Читать онлайн.
Название Brand und Mord. Die Britannien-Saga
Автор произведения Sven R. Kantelhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862827725



Скачать книгу

seine Faust. Der Mann hatte nach Ordulfs gezieltem Fall sein Gleichgewicht noch nicht wieder gefunden und stürzte nun vollends. Das ganze Manöver hatte nur einen Augenblick gedauert und Ordulf war frei.

      Da bohrte sich eine scharfe Spitze zwischen seine Schulterblätter. „Bleib verdammt nochmal stehen!“, schrie eine unbekannte Stimme.

      „Lauf!“, hörte er im gleichen Augenblick seinen Bruder rufen und die Lanzenspitze verschwand aus seinem Rücken.

      Ordulf sprang vor. Nach drei, vier Schritten drehte er sich um und sah Swæn, der den Mann mit der Lanze von hinten umklammert hielt. Doch hinter ihm war Hoger aufgetaucht und erhob seinen Sax zum tödlichen Hieb. Ordulf reagierte instinktiv, wendete, stürzte sich auf Hoger und seine noch unverletzte Linke traf auf die Nase des Ebbingemannen. Aber da warfen sich schon mehrere Männer auf ihn. Der Fluchtversuch war misslungen. Schwer atmend ließ sich Ordulf wieder auf die Beine zerren.

      „Verdammt zäher Bursche“, schimpfte Horsa, der den Zug anführte. Aber es schwang mehr als eine Spur Anerkennung in seiner Stimme mit. „Lasst uns die kleine Rauferei gerade vergessen“, sagte er mit einem Stirnrunzeln in Richtung des inzwischen ebenfalls überwältigten Swæn und seines Knechtes, der sich das Kinn rieb, welches vor wenigen Augenblicken mit Ordulfs Schädelknochen Bekanntschaft geschlossen hatte. „Komm mit, Junge. Du siehst, es hat keinen Zweck. Uuoden fordert Gerechtigkeit. Vielleicht schenkt er dir in der Unterwelt ein besseres Leben, immerhin hast du bis zum Ende gekämpft!“

      Aber Ordulf wollte nicht in die Unterwelt, er wollte nach Britannien oder auch heim auf die Wurt. Er war noch niemals aus Dithmarschen fortgekommen, hatte noch nie bei einem Mädchen gelegen und schon sollte sein junges Leben enden? Er spürte, wie ihm die Tränen kamen, als er nun auf der anderen Seite des Waldes wieder ins blasse Mondlicht gezerrt wurde. Zwei grob behauene Holzfiguren flankierten einen Bohlenweg, der in ein besonders sumpfiges Stück Morast hinausführte. In der Runde am Waldrand hingen die Häute geopferter Tiere auf Holzgestellen. Ordulf blickte in die leeren Augenhöhlen eines fahlen Rosses. Da ergriff von hinten ein Mann die geflochtene Hanfschnur, die ihm um den Hals hing. Ordulf würgte, obwohl die Schlinge noch nicht zugezogen war. Der Gedanke, dass sein lebloser Körper für immer in dem kalten, zähen Morast verschwinden sollte, ließ ihn erschauern.

      Plötzlich erklang Hufgetrappel auf dem Weg hinter ihnen.

      „Horsa, halte ein“, gellte eine Stimme. Dann trabte ein Krieger aus dem Waldweg auf die Lichtung. „Haltet ein“, wiederholte er außer Atem.

      „Was gibt es nun schon wieder?“, fragte Horsa streng. Die andauernden Unterbrechungen schienen seine Geduld zu strapazieren.

      „Der Britannier ist gerade wieder ins Lager gestolpert. Du solltest dir anhören, was er zu berichten hat!“

      „Das hat doch sicher Zeit, bis dieser verdammte Mörder hängt“, drängte Hoger sich mit etwas näselnder Stimme dazwischen.

      Horsa sah ihn finster an und wandte sich dann wieder an den Boten. „Eins nach dem anderen. Lasst uns diese unerfreuliche Geschichte hier zuerst zu Ende bringen“, knurrte er.

      „Nein, Herr, bei Uuodens Zorn, es muss sein!“, drängte der Bote.

      Horsa sah ihn erstaunt an. Der Mann gehörte zu seinen eigenen Knechten und das gab wohl den Ausschlag. „Na gut, wenn du es sagst, Witiko. Warum reitest du überhaupt den Braunen des Britanniers? Und wo ist Ceretic selbst?“

      Nun grinste Witiko breit. „Der Britannier wollte gerade zurück zum Hof reiten, da hat er am Fleet etwas beobachtet und ist vor Aufregung vom Gaul gefallen. Du wirst seine verbeulte Visage gleich selbst zu Gesicht bekommen, er folgt mir zu Fuß, damit er nicht noch einmal vom Pferd fällt. Da Eile geboten war, habe ich den Gaul genommen und bin ihm vorausgeritten.“

      Und tatsächlich erschien bald darauf ein schmutziger Ceretic mit verschwollenem Gesicht.

      „Du siehst ja bedauernswert aus, man könnte meinen, du hättest den ganzen Tag über mit einem Mückenschwarm gekämpft“, empfing ihn Horsa und grinste dünn.

      Ceretic schnaufte verärgert. „Ich bin von dem wackligen Biest dort gefallen. Aber nur weil er nicht so schnell wollte wie ich.“

      Dann trug Ceretic vor, was ihm Gutha berichtet hatte, so als habe er alles mit eigenen Augen gesehen. „Ich wollte sofort dazwischengehen und drückte dem Gaul dort“, er schaute den unschuldigen Wallach finster an, „die Schenkel in die Flanken. Und da hat er mich einfach abgeworfen, dieses Mistvieh. Ich muss wohl kurz bewusstlos gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam, war der Fleet verlassen und ich habe auf der anderen Seite nur einige Männer getroffen, die mir berichteten, ihr wäret hierher unterwegs. Der Mann dort“, dabei zeigte er grimmig auf Witiko, „wollte mich auf keinen Fall selbst hierher reiten lassen, sondern hat mein Pferd genommen und ist vorausgaloppiert.“

      Hoger hatte mehrfach angesetzt, um den Vortrag zu unterbrechen, aber ein Blick Horsas brachte ihn jeweils wieder zum Schweigen. Nun schaute der Häuptling mit finsterer Miene zwischen Ordulf und Hoger hin und her.

      „Du wirst diesem dahergelaufenen Fremden doch wohl nicht glauben?“, prustete Hoger los. „Ich bin ein freier Sachse und zwei weitere können mein Wort bezeugen. Du weißt doch wohl, was das Wort eines Fremden in Sachsen gilt! Jedenfalls nicht so viel wie das dreier freier Männer.“

      „Du musst mich nicht über unser Recht belehren!“, fauchte Horsa gereizt. „Der freie Sachse da“, dabei zeigte er auf Ordulf, „ist sicher anderer Meinung. Und der dahergelaufene Fremde ist der geachtete Botschafter König Vortigerns und ebenfalls ein freier Mann. Sag, ist alles so geschehen, wie der Britannier berichtet?“, wandte er sich nun an Ordulf.

      Dieser wurde nur noch locker von seinen Wachen gehalten. Noch benommen hatte er die Geschichte des Britanniers mit angehört und nach und nach erstaunt festgestellt, dass der offenbar jedes Detail kannte. „Ja, Herr, genau so war es“, antwortete er verblüfft. Dann kam ihm ein Einfall. „Wenn ich nicht zu Unrecht angegriffen worden wäre, hätte mir Thunær dann den ihm geweihten Dolch zur Wehr gegeben?“

      Horsa sah ihn nachdenklich an, während Hoger erbleichte. „Aber der Britannier ist und bleibt ein Fremder“, beharrte er. „Und außerdem habe ich einen Eideshelfer mehr. Recht muss Recht bleiben.“

      „Ich schwöre für Ordulf“, rief Swæn düster dazwischen.

      „Drei gegen drei“, stellte Horsa säuerlich fest. „Der Dolch spricht tatsächlich für den Jungen. Aber darin stimme ich mit Hoger überein, unserem alten Recht muss genüge getan werden und Ceretic ist kein Sachse.“ Sein Blick richtete sich finster auf Ceretic. „Wenn du bei deiner Aussage bleibst, steht dein Wort gegen Hogers. Dann musst du beweisen, dass du die Wahrheit sprichst. Ihr müsst einen Holmgang wagen! Übermorgen, wenn die Dämmerung anbricht, wirst du mit Halvor auf eine Insel gebracht, jeder nur mit Schwert und Schild bewaffnet. Wer den Sonnenaufgang erlebt, dem bestätigen die Götter sein Recht.“

      Beufleet, Juni 441

      Ceretic

      Ceretic schalt sich einen Narren. Zu seinen übrigen Sorgen kam nun also auch noch ein Zweikampf auf Leben und Tod. Auch Malo und Tavish fielen eine große Zahl an Vorhaltungen ein, die sie ihrem Anführer sogleich zu Gehör brachten. Wo hatten die überhaupt die letzten Tage gesteckt? Egal. Ceretic überlegte hin und her, wie er wohl wieder aus der Sache herauskäme. Sein Tod würde den Erfolg seines Auftrages in Frage stellen und Vortigern hatte ihm doch das Schicksal Britanniens anvertraut. Nun mischte er sich in sächsische Händel, die ihn nicht betrafen! Aber es war ihm alles so klar erschienen, eine Eingebung Gottes, wie er Rowena schützen und gleichzeitig den unschuldigen Jungen retten könnte.

      Das sächsische Recht sollte einer verstehen. Es kam offenbar gar nicht darauf an, was in Wahrheit vorgefallen war, wenn man nur genügend Eideshelfer stellen konnte. Männliche, einheimische und freie Eideshelfer ergänzte er in Gedanken. Kein Wunder, dass Rowena ihn gewarnt hatte.

      Und da begann das nächste Problem: Rowena. Zunächst hatte sie getobt, wie wohl nur eine Hengisttochter toben konnte. Nun würdigte sie ihn bereits den ganzen Abend keines Blickes. Lediglich