Brand und Mord. Die Britannien-Saga. Sven R. Kantelhardt

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Название Brand und Mord. Die Britannien-Saga
Автор произведения Sven R. Kantelhardt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862827725



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tastete nach dem Gesicht, aber offenbar erkannten seine Gegner die Absicht und ohne dass der Mann auf ihm locker gelassen hätte, riss ein anderer seinen Arm weg und drehte ihn schmerzhaft nach außen. Ordulf trat und schlug mit der freien Linken und den Beinen wild um sich, traf aber niemanden. Unten im Schlamm hörte er nur leises Gemurmel und spürte weitere Tritte, doch dann verblassten alle anderen Gefühle gegenüber dem zunehmenden Drang, Luft zu holen.

      Regulbium, Mai 441

      Álainn

      Álainn stöhnte. Wild pochte das Blut in ihren Schläfen. Sie hatte stechende Kopfschmerzen und ihr war zum Speien übel. Vorsichtig blinzelte sie; sie ahnte, dass das Tageslicht schmerzen würde. Als sie endlich die Augen offen hatte, brauchte sie einen Augenblick, um sich zurechtzufinden. Direkt vor sich erkannte sie ihre Mutter, doch etwas stimmte nicht. Dann plötzlich verstand sie das Bild, das sich ihr bot. Dort lag nur der abgeschlagene Kopf, zusammen mit den Häuptern weiterer Dorfbewohner auf einem blutigen Haufen. Sie wollte schreien, erbrach sich aber gleichzeitig und rang röchelnd nach Luft. Sie konnte die Augen nicht von den schaurigen Trophäen abwenden. Es waren insgesamt zehn oder zwölf Köpfe und sie kannte jeden einzelnen. Pádruig, der alte Schmied, der blonde Boyd … Ihr wurde schon wieder übel und sie würgte gelbe Galle hervor. Von hinten legte jemand die Hand um sie und drehte ihren Kopf sanft aber bestimmt von dem Anblick fort. Es war Akira, die Frau des Comarchus. Langsam kehrte Álainns Erinnerung zurück.

      Die Pikten am Strand, das schreckliche Grinsen der blau bemalten Fratze und die erhobene Axt, der Schmerz in ihrer Hand. Ängstlich blickte sie hinunter auf ihre rechte Hand. Zeige- und Mittelfinger waren im Grundgelenk überdehnt worden. Um das Gelenk herum war die Haut bläulich verfärbt und stark angeschwollen und jetzt bemerkte sie auch die Schmerzen.

      „Was wird mit uns geschehen?“, fragte sie nach einer Weile mit zitternder Stimme. Von weiter hinter ihnen drang gedämpftes Weinen an ihr Ohr.

      „Sie werden uns fortschaffen auf ihren Schiffen, schätze ich“, antwortete Akira und wandte sich ab.

      Álainn versuchte, nach den Schiffen zu schauen, was von ihrer Position aus nicht einfach war, da sie sich ängstlich bemühte, keinen weiteren Blick auf den Haufen der abgeschlagenen Köpfe zu erhaschen.

      Wieso nur Regulbium?, dachte sie voll Schmerz. Herr, wie konntest du nur so etwas zulassen!, richtete sie ihre Klage gegen den Himmel, da ihr sonst niemand Antwort geben konnte. Die aufkeimende Bitterkeit wurde von einer neuen Welle der Übelkeit weggeschwemmt. Álainn übergab sich krampfartig.

      Sie hatte erwartet, die Pikten würden ihren leichten Sieg bis in die Nacht hinein feiern, wie man es von solchen Barbaren erwartete, doch weit gefehlt.

      Nur etwa eine Stunde später begannen die blauen Dämonen Tiere – teils blutig vom Schlachten, teils lebendig –, Säcke mit den wenigen Habseligkeiten der britannischen Bauern und die letzten Nahrungsmittelvorräte Regulbiums zu ihren Booten zu schleppen. Alles ging erstaunlich schnell und geordnet vonstatten.

      Bald schritt ein nicht allzu großer, aber kräftiger Mann in Richtung des armseligen Grüppchens der Gefangenen. Die breite Brust war mit dem inzwischen zerlaufenen blauen Abbild eines Wolfes beschmiert. Zu Álainns Entsetzen steuerte er geradewegs auf sie zu. Sie versuchte, sich hinter Akira zu verstecken, aber schon hatte der Pikte sie an der Schulter gepackt. Er sagte etwas in seinem dunklen Dialekt, das sie nicht verstand. Aus vor Entsetzen geweiteten Augen starrte sie ihn an, unfähig zu antworten.

      „Du kommen mit!“, schrie er sie an, offensichtlich im Unklaren darüber, ob sie seines Dialektes nicht mächtig war oder etwas an den Ohren hatte. „Ich bin Eòghann, dein neuer Herr.“

      Das war alles, was er sagte und Álainn ließ sich zitternd zum Strand hinunterziehen. Eine irrsinnige Wut auf Akira stieg in ihr auf. Wieso unternahm sie nichts? Dann sackte sie hoffnungslos in sich zusammen. Akira konnte ja auch nichts tun.

      Wenn Álainn schon gedacht hatte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, so wurde sie ein weiteres Mal enttäuscht: Das Boot war eine Nussschale. Die Bordwände waren nicht einmal aus Holz, sondern nur eine dünne Lederhaut, die sich über ein Leistengerippe spannte. Eine Curach, wie sie allerhöchstens die Fischer auf den vorgelagerten Inseln noch benutzten. Wenigstens konnten die Pikten sie in so einem unsicheren Fahrzeug nicht allzu weit von ihrer Heimat entführen, tröstete sie sich.

      Beufleet, Juni 441

      Rowena

      Endlich war ihr Vater wieder aus dem Hause. Warum konnte er nicht viel länger fort bleiben oder am besten allein nach Britannien fahren und Ceretic einfach bei ihr zurücklassen?

      Gutha hatte dem Britannier morgens ausgerichtet, dass sie am Abend versuchen würde, zu dem Gebüsch am Waschplatz zu kommen. Ob er sie richtig verstanden hatte? Sie wagte viel mit diesem Gang. Wenn sie erwischt wurden, könnte man sie am Ende wie eine Ehebrecherin bestrafen. Sie hatte gehört, dass ein entfernter Nachbar auf der Geest seine eigene Tochter mit einem Strick um den Hals im Opfermoor versenkte, weil sie sich mit einem jungen Mann eingelassen hatte. So weit würde Hengist doch wohl nicht gehen, oder? Doch wer konnte schon sagen, zu was ihr verschlossener Vater fähig war, wenn er wirklich wütend wurde?

      Horsa hatte ihr einstmals eine Geschichte erzählt, die sie noch immer schaudern ließ. Irgendwie hatte der damals wohl an die zwölf Winter zählende Hengist seinen Vater Witgis, der in seiner Jugend zu Wutausbrüchen neigte, stark verärgert. Eine Entschuldigung verweigerte der Junge stur. Witigis hatte seinen eigenen Sohn bei Ebbe im Schlick der Ælf eingraben lassen.

      „Bis zur nächsten Flut gebe ich dir Zeit, nach mir zu rufen, sonst stopft dir das Wasser dein freches Mundwerk.“

      Am Ende schlugen die Wellen bereits über Hengists Haupt zusammen, als Witgis ihn doch noch ausgraben ließ. Ein Wort der Entschuldigung war dem Jungen nicht über seine Lippen gekommen. Auch später niemals.

      Und Ceretic? Wie würde es ihm ergehen? Er war doch ein Sänger und kein Kriegsmann! Die rauen Sitten ihrer Heimat waren ihm völlig fremd. Doch sehen musste sie ihn, wenigstens noch ein einziges Mal, bevor er über des Meeres Tiefen wieder nach Britannien entschwand. Am Hofe des Hochkönigs gab es bestimmt musikalischere Mädchen, die über sie lachen würden. Die unbeholfene Barbarin …

      Sie gab sich einen Ruck und schritt von der Wurt hinab ins Lager. Ihre treue Magd Gutha folgte ihr tapfer. Horsa war mit seinen Thanen drüben am Feuer und die Lautstärke ließ vermuten, dass das Methorn schon mehrfach die Runde gemacht hatte. Gut so, dann würde er ihr Fehlen nicht bemerken.

      Mit hoch aufgerichtetem Haupt schritt Rowena auf das Fleet zu. Lass dir nur nichts anmerken, du bist Hengists Tochter und hier die Herrin, sagte sie sich, doch ihr Herz strafte sie Lügen und schlug bis zum Halse. Plötzlich tauchte ein torkelnder Mann vor ihr auf, aber Rowena erwiderte seinen schon leicht unfokussierten Blick kalt.

      „Hast du ein Anliegen an meinen Vater Hengist? Wenn nicht, dann verzieh dich“, fuhr sie ihn schroff an und reckte energisch ihr zartes Kinn.

      Die Erwähnung ihres Vaters ließ den Kerl schlagartig nüchtern werden. Das süffisante Lächeln verschwand aus seinen Zügen. „Ich hab jawohl gar nichts gesagt“, grummelte er und verschwand rasch hinter einem der Zelte.

      Nun waren Gutha und Rowena am Rand des Lagers. Alles blieb ruhig. Außer dem angetrunkenen Krieger schien sich niemand für den abendlichen Spaziergang der beiden Mädchen zu interessieren.

      Sie erreichten das Fleet. Das Wasser stand so flach, dass sie lediglich den Rock schürzen mussten, um mit trockener Kleidung ans andere Ufer zu gelangen. Glühwürmchen spielten über dem Wasser und Gutha blieb kurz stehen und sah fasziniert zu, wie die Tierchen in der Dämmerung aufleuchteten.

      „Komm schon weiter“, trieb Rowena sie an, die Aufregung schnürte ihr die Kehle zu.

      Bald erreichten sie den Durchgang im Ufergebüsch. Hier blieb Gutha wie besprochen als Wache zurück. Rowena schlich vorsichtig weiter.

      „Ceretic“, rief sie leise.

      „Rowena! Hier bin ich, Liebste.“

      Vor ihr