Seifengold. Peter Höner

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Название Seifengold
Автор произведения Peter Höner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551140



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stolperte am Haus vorbei. Irgendwo in der Nachbarschaft knallte eine Türe zu.

      Tetu und sein Adjutant hetzten um die Baracke, sie zwängten sich zwischen den Höfen und Hütten hindurch und kletterten auf Felsbrocken. Doch wie sehr sie sich auch anstrengten: Das Hüttenmeer zu ihren Füßen verriet seine Bewohner nicht. Nicht an Tetu und seinen Begleiter, die beiden Männer in Uniform.

      Der Jeep und ihr Führer waren inzwischen bestimmt von zehn oder mehr Leuten umringt. Es waren Einheimische, wahrscheinlich Hirten, die ihre Kamele im Abfall der Siedlung weideten. Als die Männer Tetu und seinen Adjutanten kommen sahen, trabten sie davon. Nur einer blieb stehen.

      Der Mann, barfuß, aber in Hose und Hemd, stellte sich Tetu als Besitzer der Eisenwarenhandlung vor. Er grinste, als ob er Lob erwarte. Dann behauptete er, Tetu könne jede nur gewünschte Auskunft haben. Und er machte die entsprechende Geste.

      Tetu befahl seinem Fahrer, den Motor zu starten und kletterte in den Wagen.

      «Ich weiß, was ich weiß. – Hättet ihr ihn nicht umgebracht …»

      «Was haben wir? Niemand von uns, niemand», höhnte der Eisenwarenhändler und kreischte: «Arschloch, verdammtes! – Die Polizei! Ihr! Ihr wißt gar nichts wißt ihr!»

      «Ach. Und das Messer in seinem Rücken? – Wenn ich erst einmal weiß, wem du das Messer verkauft hast, werde ich den Mörder schnell gefunden haben.»

      «Ich verkaufe keine Messer. Wir, wir haben ihn nicht umgebracht. – Der Mann wollte mit uns zusammenarbeiten, er kam aus Nairobi, er wollte uns helfen.»

      «Lomazzi! Euch helfen?»

      «Lomazzi? Nie gehört», maulte der Mann. «Hinter der Kajarta-Schlucht im Ngoi River wurde Gold gefunden. Nuggets so groß wie Kieselsteine.»

      «Und nun wollt ihr das Gold an der staatlichen Einkaufsstelle in Sigowa vorbeischmuggeln? – Was versprach er euch dafür, daß ihr den Staat bescheißt?»

      «Von dem, was sie uns in Sigowa bezahlen, können wir nicht leben …»

      «Wem gehört denn das Gold? Euch vielleicht?»

      «Wer steht in den Bächen? Wer kraxelt die Felswände hoch? Wer …»

      «Der Eisenwarenhändler, der den Goldgräbern ein paar rostige Bleche verkauft», spottete Tetu und befahl seinem Fahrer, loszufahren. Der Mann sprang entsetzt zur Seite, und Tetu bog sich wütend aus dem Fenster und schrie:

      «Melde dich bei mir in Lodwar. Hol dir eine Lizenz für deinen Laden. Sonst laß ich deine Bude schleifen!»

      Es war bereits nach vier Uhr. Tetu trieb seinen Fahrer zur Eile an, und geradezu waghalsig jagten sie die Bergstraße hinunter. Trotzdem erreichten sie den Rand der Wüste erst knapp vor Sonnenuntergang, und weil es unmöglich war, den Weg durch die Wüste im Dunkeln zu finden, mußten sie sich nach einer Übernachtungsmöglichkeit umsehen.

      Tetu erinnerte sich an seine Campingnacht mit Mettler vor zwei Jahren und wollte schon ähnliche Vorkehrungen treffen, als ihr Turkana-Führer sie auf die Silhouette eines Gehöfts aufmerksam machte und ihnen vorschlug, die Nacht bei seinen Verwandten zu verbringen. Tetu und sein Adjutant nickten begeistert. Dank ihres Führers konnten sie sogar darauf hoffen, daß man ihnen einen Schlafplatz in einer der Nebenhütten anbieten würde. Ein kleines Trostpflaster für ihren erfolglosen Ausflug.

      Seither hockt er wieder in seinem Büro in Lodwar und wartet auf Anweisungen aus Nairobi. Er beschäftigt sich mit dem Aufräumen seines Schreibtisches oder harkt mit einer alten Gabel den Sand seiner Kakteensammlung. Er zwingt sich, alte Aktenstücke zu lesen, oder stapft in seinem Büro herum. Er wirbelt die wenigen Fakten über die Ermordung des Geheimagenten durcheinander, zählt alle Erlebnisse der letzten Tage auf und versucht, aus dem wenigen, das er erfahren hat, irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Aber alle seine Anstrengungen enden immer wieder damit, daß er, das Gesicht in den Händen vergraben, kopfüber auf seine Pultplatte sinkt. Mit verdrehtem Kopf und halb geöffnetem Mund verschnarcht er seine Niederlage. Das Wüstenkaff lähmt alle seine Kräfte, und die Sonne, die auf das Blechdach niederbrennt, frißt den letzten Rest seiner Würde auf.

      Um halb fünf, eine gute Stunde vor Feierabend, tickert der Telex. Tetu ist mit einem Schlag hellwach. Andächtig und voller Furcht, das altehrwürdige Gerät könnte plötzlich erneut versagen, stellt er sich neben den rasselnden Apparat. Wenn nur der Lochstreifen nicht aus der Rolle springt oder ein Leistungsabfall ihres internen Stromhaushalts das Rattern der Maschine erlahmen läßt. Doch die Botschaft ist kurz, und schon nach wenigen Sekunden wird Tetu akustisch aufgefordert, den Empfang der Mitteilung zu bestätigen. Anschließend spannt er den Lochstreifen in das Hauptgerät, das das gelochte Band entschlüsselt und in Buchstaben, Worte und Sätze verwandelt, die den Sinn der Meldung enthüllen. Eine Antwort der Zentrale.

      «17. Juli / R.N.Tetu unverzüglich nach Nairobi kommen / betrifft Akte 005 89-B / sich im Hotel ‹Impala›, Westlands, unter dem Namen Kariuki Gichira melden. / Sekretariat 3, Buffalo House, SSK.»

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      Unterschrift: Serge Meili

      2

      Die Brandung klatscht an die Mauer der Terrasse. Seit Tagen fegt der Wind Gewitter und Regengüsse über die Insel, brüllt das Meer, und der Lärm rund um das ‹Rafiki Beach Hotel› verwandelt seine Räume in stille Oasen wohliger Ruhe.

      Jürg Mettler liegt ausgestreckt in seinem Himmelbett und schaut in den dunklen Baldachin. Trotz der geschlossenen Fenster bläht sich das Moskitonetz in den Böen des Sturms. Die gedrechselten Stützen erinnern an die Masten eines Bootes, schemenhafte Striche, die nach oben in der Finsternis des Zimmers verschwinden.

      Neben Mettler schläft Alice. Ihr Wuschelkopf ruht auf seiner Brust. Ein Bein, quer über seinen Bauch geschoben, drückt ihm auf die Magengrube.

      Die Regenzeit in Lamu ist Mettlers liebste Zeit. Ihr Beginn ein Freudenfest. Schon Tage vorher wird über nichts anderes geredet. Man beurteilt den Himmel, die Wolken und die Farbe des Meeres. Einer weiß: In Malindi hat es letzte Nacht geregnet. Dann, innerhalb weniger Stunden, ist es soweit. Ein scharfer Wind fegt Staub und Hitze aus der Stadt, Wolkenbrüche spülen jeden Winkel aus. Der Dreck eines Jahres wird ins Meer geschwemmt. In der Stadt und auf der Insel herrscht der Sturm.

      Nach einem ersten Freudentaumel verkriechen sich die Menschen in ihren Häusern und beginnen zu warten. Sie warten sechs Wochen lang, bis die neue Saison beginnt.

      Für Mettler und Alice besitzt die Regenzeit einen zusätzlichen Reiz.

      Als brummiger Griesgram ist er nach Lamu gekommen. Ein freudloser, schwitzender Privatdetektiv aus der Schweiz, der verlernt hatte, über sich selbst zu lachen. Er glaubte, zu seinem Alter gehöre eine Lebenskrise, und er war unfähig zu irgendeiner Entscheidung. Dann, im allerletzten Augenblick, entschied der Himmel für ihn. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Regenzeit begann. Völlig durchnäßt flüchtete er durch die Gassen Lamus und rettete sich zu Alice, die ihn liebte, wie er war. Sechs lange Wochen schlossen sie sich im ‹Magharibi Guesthouse› ein und vergaßen die Welt. Nach fast zwanzig Jahren hatten sie sich ein zweites Mal gefunden, der lange Regen kam ihnen gerade recht.