Seifengold. Peter Höner

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Название Seifengold
Автор произведения Peter Höner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551140



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Auch Hemed S. Lali, der mittlerweile zum stellvertretenden Minister im Innenministerium aufgestiegen war, wollte seinen Einfluß geltend machen. Zu Mettler soll er allerdings gesagt haben, daß er Tetus Trotz nicht verstehe. Der Entscheid entspreche der gesetzlichen Praxis. Der Staat berufe seine Beamten und entscheide, wo sie gebraucht würden. Abgesehen davon sei Lamu doch nicht der Nabel der Welt.

      Aber was zum Teufel soll er als Kriminalbeamter in Lodwar? In der Wüste. Was hat ein Polizist in einem Nomadenkaff zu tun?

      Die Einheimischen haben ihr eigenes Recht. Von einem Polizisten aus der Hauptstadt halten sie nichts. Sie verstehen weder seine Sprache noch seine Gesetze. Wenn sie irgendwelche Händel haben, um Vieh oder Frauen, fragen sie ihre Chiefs.

      Auch die Goldgräber und Lastwagenfahrer, die sich um Lodwars Huren streiten, brauchen die Hilfe des Kriminalbeamten nicht. Schlägereien, Raub, Betrug, ja selbst einen Mord regeln die Banden unter sich.

      Alle sind froh, wenn er in seinem Büro am zerschlissenen Plastiküberzug seines Stuhles klebt, den Telefonapparat poliert und die Bleistifte spitzt.

      Eine erste Untersuchung des Toten noch in der Mordnacht erbrachte wenig. Selbstverständlich war von Tetus Kollegen niemand bereit, die Ermittlungen zu übernehmen. Obwohl die Leiche auf seinem Bett lag, im Haus seiner Wirtin, und er nicht nur als Zeuge, sondern auch als Täter hätte in Frage kommen können. Doch das kümmerte in Lodwar niemanden. Selbst der Arzt der Krankenstation begleitete ihn nur widerwillig.

      Auffällig war die Kleidung des Mannes. Mantel und Hose, obschon verdreckt und durchnäßt, waren von guter Qualität, die Schuhe kaum getragen. Tetu durchsuchte die Taschen des Mantels, der Hose. Alle Taschen waren leer. Er fand weder einen Ausweis noch sonst ein Papier, kein Geld, gar nichts. Dann fiel ihm der Ledergürtel des Mannes auf. Ein Uniformgürtel. Ein Gürtel, wie er seit Jahren an Polizisten und Soldaten abgegeben wird. Er öffnete die Schnalle des Gürtels und zog das Leder aus den Hosenschlaufen. Sollte der Gürtel einem Beamten gehören, so müßten auf seine Innenseite eine Nummer und die Initialen des Empfängers eingestanzt worden sein.

      005 89-B / S.L. Sein Verdacht bestätigte sich. 005. Die Abkürzung für ihren Geheimdienst.

      Tetu verfaßte ein Protokoll, das er sich vom begleitenden Arzt unterschreiben ließ. Danach wurde die Leiche weggebracht.

      Auch die anschließende Befragung seiner Freundin Fatuma verlief so gut wie ergebnislos. Die Frau saß verstört in der Küche und starrte auf das besudelte Bett, in dem sie und Tetu vor kurzem gelegen hatten. Der Polizist fragte seine Wirtin, ob sie den Ermordeten kenne? Fatuma schüttelte entsetzt den Kopf und sagte:

      «Ja, es heißt, daß er im ‹Eiffeltower› wohnt. Er kaufte Bananen bei mir.»

      «Wann war das?»

      «Vor … Vor drei Tagen. Er ging von Kiosk zu Kiosk und fragte nach den Goldgräbern. Den Lastwagenfahrern. Die Goldgräber würden die Einnehmer in Sigowa betrügen, weil sie ihr Gold an die Lastwagenfahrer verkaufen.»

      «Ein Kontrolleur aus Sigowa?»

      «Ja. Aus Sigowa. Er kommt aus Sigowa.»

      «Und Lomazzi? Kennst du einen Lomazzi?»

      Fatuma schwieg und wollte nichts mehr sagen.

      Später hat sie das Haus verlassen und ist zu einer Bekannten gegangen. Bei dem Polizisten konnte sie nicht länger bleiben.

      Es ist kurz nach zehn, und das Thermometer in der Polizeibaracke zeigt schon wieder über vierzig Grad. Mit zusammengekniffenen Augen, sich immer wieder den Schweiß aus dem Gesicht reibend, kämpft Tetu gegen die lähmende Glut, die ihm das Gehirn verstopft.

      Zornig stemmt er sich aus seinem Sessel und stapft zum Fensterbrett.

      Vor Wochen hat er im Kampf gegen die Langeweile eine Sammlung von Kakteen angelegt. Winzige Pflänzchen in sandige Erde gedrückt. Töpfchen, die er auf der Fensterbank hin und her und in die Sonne rückt. Eine Mühe, die ihm die stacheligen Dinger nicht lohnen. – Nie hätte er gedacht, daß Müßiggang ihn einmal derart drangsalieren könnte.

      Selbstverständlich hat er den Tod des Geheimagenten der zuständigen Amtsstelle in Nairobi gemeldet.

      Glücklicherweise hatte der Sturm weder die Telefon- noch die Telexleitung in die Hauptstadt unterbrochen. Die Bürodame, mit der er schließlich verbunden wurde, behauptete, ihr Vorgesetzter sei nicht da, und sonst gebe es niemanden, der für Todesfälle während des Dienstes zuständig sei. Überdies müsse ja auch erst einmal abgeklärt werden, ob der Mann wirklich ihr Mann sei.

      «Lomazzi? Und wo soll der gewesen sein?» Und bestimmt zum dritten Mal erkundigte sie sich nach dem Namen der Oase, den sie sich nicht merken konnte. «… Selbstverständlich sind mir die verschiedenen Aufgaben der einzelnen Detektive nicht bekannt, ich bin nur die Sekretärin des Chefs. Aber daß einer unserer Leute in den Norden geschickt worden ist, kann ich mir nicht vorstellen. Was soll er dort?» Und geradezu entwaffnend fügte sie hinzu: «Wir können Ihnen erst sagen, wer der Tote ist, wenn Sie uns sagen, was da oben los ist.»

      Tetu ärgerte sich. Die Sekretärin schien seine Meldung nicht ganz ernst zu nehmen. Ungehalten wiederholte er die Nummer des ermordeten Agenten und sagte:

      «Vielleicht gibt es ja bei euch einen S.L. 89-B. Auch wenn ich nicht annehme, daß unser S.L. Salvatore Lomazzi heißt. Warum sollte mir der Mann seinen Namen sagen? Aber wenigstens das könnten Sie ja einmal feststellen.»

      Die Frau, vorsichtiger geworden, vielleicht auch beleidigt, nahm, ohne weitere Ausflüchte zu machen, Tetus Personalien auf und versprach, die Angelegenheit ihrem Chef zu melden.

      Das war vor einer Woche.

      Gut, 24 Stunden nach seinem Gespräch wurde die Telefonleitung unterbrochen, kurz darauf brach auch die Telexverbindung zusammen. Trotzdem. Ein Wagen nach Lodwar braucht zwei Tage. Ein Einsatz, den er eigentlich erwartet hätte.

      Unmittelbar nach seinem Gespräch mit Nairobi stürzte sich Tetu in die Arbeit. Woher kam der Mann? Was wollte er? Wie lebte er? Wo hatte er sein letztes Bier getrunken? Routine. In Nairobi vielleicht, in Lamu. Aber nicht in Lodwar.

      Wo immer Tetu auftauchte, verschwanden alle Erwachsenen. Schlagartig. Frauen und Männer. Man machte sich aus dem Staub, verdrückte sich zwischen den Lattenzäunen der Hinterhöfe, versteckte sich in Rumpelkammern oder lief in die Wüste hinaus. Tetu fand immer wieder nur ein plärrendes Kind oder stand einem zahnlosen Greis gegenüber.

      Das Hotel ‹Eiffeltower›, in dem der Fremde abgestiegen war, besaß einen guten Ruf. Das erste Hotel am Ort. Es war kein Bordell wie die meisten Herbergen der Oase, deren Räume an Dirnen und ihre Kinder vermietet wurden, und in deren Kneipen sich die Lastwagenfahrer mit den Goldgräbern rauften. Die bevorzugten Gäste des Wirtes waren die Ingenieure und Besucher des Balesa-Staudammprojektes. Auch Ärzte, Entwicklungshelfer und Journalisten, die sich von den Eindrücken des Bürgerkriegs im nahen Südsudan erholen wollten, bezahlten für ihre Ruhe. Und so fiel es dem Wirt des ‹Eiffeltowers› leicht, auf den zweifelhaften Kundenkreis der Lastwagenfahrer und Goldgräber zu verzichten.

      Als Tetu das Lokal am Morgen nach der Ermordung des Geheimagenten besuchte, war niemand da. Er machte sich mehrmals mit ‹Hallo!› und ‹Ist hier jemand?› bemerkbar und entschloß sich dann, weil er keine Antwort bekam, das Hotel auch ohne Erlaubnis der Besitzer zu durchsuchen.

      Die Hotelzimmer waren um einen schmalen Innenhof hinter der Gaststube gebaut. Zehn einfache Zimmer, fünf auf jeder Seite, die hinten durch Toiletten und Duschräume begrenzt wurden. Die Dächer ragten in den Hof hinein und wurden von mehreren Säulen abgestützt, so daß eine Art Klostergarten mit Kreuzgang entstand. Die Zimmertüren standen offen. Vor einem Teil der Räume lagen zerknüllte Bettlaken und Handtücher. In der Nähe der Dusche stand ein Karren mit einem Abfalleimer und ein paar Putzutensilien. Die Zimmer waren kleine, unbehagliche Räume ohne Fenster. Den Wänden entlang waren mehrere Holzpritschen aufgestellt, dazwischen standen wacklige Holzschemel mit Aschenbecher und einem Kerzenstummel. In fast allen Zimmern war von den vielen Betten nur eines benutzt worden. In keinem der Zimmer ließen sich irgendwelche Spuren ihrer Mieter