Seifengold. Peter Höner

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Название Seifengold
Автор произведения Peter Höner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783038551140



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      «Hat der Ermordete hier gegessen?»

      «Vielleicht.»

      «Gehörte der Tote zu einer Hilfsorganisation?»

      «Vielleicht.»

      «Vielleicht! Manchmal, vielleicht! – Jetzt hören Sie mir einmal gut zu, Sie Schlaumeier: Der Ermordete war von der Geheimpolizei. Er war hinter einer Bande von Betrügern her, die zusammen mit den Goldgräbern krumme Geschäfte machten. Er suchte einen gewissen Salvatore Lomazzi. – In seinen Unterlagen, die ich in seiner Manteltasche fand, entdeckte ich einen Zettel. ‹Eiffeltower! Im Auge behalten.› – Können Sie sich vorstellen, warum?»

      Der Wirt ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er schmunzelte und goß Tetu einen Tee nach.

      «Die Frauen kommen jeden Augenblick.»

      Nach ungefähr einer Stunde kamen drei Frauen. Eine hatte einen kleinen dunkelbraunen Koffer bei sich. Sie legte den Koffer vor Tetu auf den Tisch. Der Wirt übersetzte. Das sei der Koffer eines Mannes, der gestern Abend noch einmal weggegangen und nicht mehr wiedergekommen sei. Seine Frau habe den Koffer heute morgen zur Polizeistation gebracht.

      Tetu nahm den Koffer und stand auf. Er hätte die Frau gerne noch gefragt, warum sie den Koffer zur Polizei gebracht und ob sie gewußt habe, daß ihr Gast tot sei, und wenn ja, woher? Aber weil er weder vom Wirt noch von seinen Frauen eine vernünftige Antwort erwartete, fragte er nichts mehr. Er bedankte sich für den Tee und ging.

      Der Koffer enthielt ein zweites Paar Hosen, drei Hemden, von denen zwei bereits schmutzig waren, Wäsche, einen Schlafanzug und einen Toilettenbeutel mit Seife, Rasierpinsel und Zahnbürste. Irgend etwas Schriftliches fand Tetu nicht.

      Auch seine weiteren Versuche, in Lodwar etwas über den Toten zu erfahren, scheiterten. Auf dem Markt, in den Kneipen, nirgendwo fand er einen Menschen, der ihm etwas erzählen konnte oder wollte. Die meisten taten, als würden sie seine Fragen nicht verstehen. Andere, wie zum Beispiel die Lastwagenfahrer, die in der Oase ihre Löhne versoffen und verhurten, wurden wütend und beschimpften ihn.

      Selbst von Fatuma erfuhr Tetu nichts mehr. Sie wollte nichts wissen, nichts sagen. Und Nairobi ließ ihn ebenfalls im Stich.

      Am Morgen des vierten Tages entschloß er sich, zusammen mit seinem Adjutanten die Goldgräbersiedlung in den Bergen zu besuchen. Sein Fahrer war entsetzt.

      Der Besuch einer Goldgräbersiedlung sei für einen Uniformierten lebensgefährlich. Die Dörfer gälten als Schlupflöcher für Wilderer, Deserteure, enttäuschte Lehrer, Arbeitslose und gescheiterte Politiker.

      «Räuber, Mörder, ganze Banden verstecken sich in den Bergen. Sie kennen kein Recht und keinen Gott. – Ein Polizist mit unbequemen Fragen ist dort oben etwa so sicher wie eine Maus unter Füchsen.»

      Doch Tetu bestand auf der Fahrt. Sie verpflichteten einen Einheimischen als Führer – einen jungen Turkana, der in Lodwar als Tankwart arbeitete – und beluden ihren Jeep mit einem zusätzlichen Maschinengewehr.

      Der Weg in die Berge führte durch die Wüste. Sie rasten über harte Sandpisten quer durch die Ebene. Doch ohne ihren Führer hätten sie sich in den spiegelnden Flächen der Einöde schnell verfahren. Von einer Straße konnte keine Rede sein. Nur ab und zu stießen sie auf Fahrspuren, eine weichere Stelle im Sand oder eine kaum wahrnehmbare Senke, die sich als Furt durch eine ausgetrocknete Wasserader erwies.

      Der Turkana hockte neben Tetus Fahrer und zeigte mit seiner Hand die Richtung an. Mit knappen Rechts-Links-Ausschlägen seiner Finger korrigierte er den Polizisten so lange, bis dieser den Wagen in die gewünschte Richtung gelenkt hatte, dann drehte er die Hand in die Waagrechte und deutete mit einem lässigen Schwung der gesamten Hand dem Fahrer an, daß er nun – immer geradeaus! – sein Tempo erhöhen könne. Manchmal streckte der junge Mann seinen Kopf durch das geöffnete Verdeck des Jeeps, stand auf und musterte die Landschaft. Ein junger Krieger unterwegs mit zwei dicken Polizisten in unbequemen Uniformen. Sie waren dem Turkana vollkommen ausgeliefert.

      Nach zwei Stunden erreichten sie einen Fluß, der zu ihrer Überraschung ziemlich viel Wasser führte. Hinter dem Fluß schlängelte sich eine Schotterstraße ins Gebirge, und der helle, feste Sandboden verlor sich rasch zwischen einzelnen Lavabrocken, verschwand schließlich unter einer dichten Decke rotbraunschwarzen Schotters. Lavaschutt türmte sich zu Hügeln, durch die sich das rostfarbene Sträßchen in die Höhe schraubte, und im Einerlei der Steinwüste versanken die letzten Grasinseln. Nirgends zwängte sich noch ein Strauchgestrüpp durch die scharfkantigen Gesteinsbrocken der Wüstenei.

      Die Straße war steil und schlecht befestigt. Schutt und Geröll rutschten unter den Rädern weg, und größere Blöcke mußten von Hand beiseite geräumt werden. Sie kamen nur sehr langsam voran. Immer wieder mußte der Turkana aussteigen und den Fahrer von Felsbuckel zu Felsbuckel lotsen, über eine ausgeschwemmte Rinne oder durch einen Engpaß. Sie verloren Zeit, schwitzten und fluchten viel.

      Bevor sie die Hütten der Goldgräber sahen, rochen sie sie; einen stechend süßlichen Gestank nach Pisse, Scheiße und faulendem Kehricht. Nach einer doppelten Kehrschleife verbreiterte sich das Tal, und unmittelbar vor ihnen standen schief die ersten Hütten des Goldgräberdorfes. Schmutzige Plastikbahnen, alte Bleche, Tierhäute, zerschlissene Matten verwoben sich zu einem Geflecht von Wänden und Dächern, einem wahren Meer allerarmseligster Behausungen. Dicht zusammengedrängt und ineinander geschoben, sich aneinanderlehnend und doch ohne Halt, verstopften sie das Tal.

      Sie fuhren vorsichtig tiefer in den Ort hinein. Rechts und links wucherte die Siedlung die Talwände empor. Hütten und Schutt vermischten sich miteinander, so daß sich die rostigen Dächer kaum von der rotbraunen Lava unterscheiden ließen.

      Der Wagen rutschte auf der glitschigen Straße von einem Schlagloch ins andere. Es wurde Zeit, daß sie sich nach einem Wendeplatz umschauten. Als dann mehrere Lavabrocken die Straße abriegelten – eine Barriere, die wahrscheinlich von den Goldgräbern gebaut worden war, um das Eindringen in ihre Schürfgebiete zu verhindern – hielt Tetus Fahrer an und schaltete den Motor aus.

      Grabesstille lagerte über dem Ort, gespenstisch und unheimlich nistete sie zwischen den Hütten der toten Stadt. Hielt sich denn tagsüber kein Goldgräber zwischen den Baracken auf? Wo waren die Händler, Bierverkäufer, die Frauen, die ihre Dienste anboten? Die Kirche, die sich um die ‹verirrten Schafe› kümmerte?

      Tetu befahl seinem Fahrer, den Jeep zu wenden, während er sich ein paar Schritte ins Gewirr der Hütten wagen wollte. Etwas weiter unten kollerte ein Stein den Abhang hinunter. Ein Kind oder eine Frau hüpfte um die Ecke. Das gelbgrün bedruckte Tuch flatterte fröhlich im trostlosen Rost. Hinter einem schmutzigen Plastikfetzen glaubte Tetu, ein Gesicht zu sehen.

      Es gab Leute im Dorf, und mit ein bißchen Glück würde er auch die Kneipe finden, in der sich die Männer versammelten. Irgendwo würde einer im Dunkeln sitzen, krank und besoffen, und ihnen erzählen, was für tolle Kerle sie seien, und wie sie irgendwann, demnächst, in die Stadt ziehen würden, die Taschen voller Geld.

      Sie fuhren zurück und fanden tatsächlich eine Abzweigung, die sie übersehen hatten. Die Straße führte die Talflanke entlang durch einen älteren und weniger baufälligen Teil der Siedlung, und sie endete vor einer Ladenzeile. Bestimmt an die zehn Dukas reihten sich um einen schmutzigen Platz. Lebensmittel und Gemüsebuden, eine schiefe Kneipe mit Hinterzimmern, ein Eisenwarengeschäft und ein Tuchladen, vor dem sich dünne Matratzen zu einem Berg auftürmten. Sogar ein Matatu stand hier, eines dieser Sammeltaxis, von denen man allerdings nie wußte, ob sie noch fahrtüchtig waren. Aber einen Menschen sahen sie nicht.

      Die Holzveranda des ‹Lucky Dog› war leer, auch in der Gaststube saß niemand. Tetu tastete sich durch den schummrigen Raum, der mit Tischen und Bänken verstellt war, zu einer Tür, die vermutlich in den Hof und seine Hinterzimmer führte. Er drückte die Tür auf und überraschte eine ältere, verwachsene Frau, die Wäsche gegen Steine schlug. Die Frau erschrak, ließ ihre Wäsche fallen und versuchte, über den Hof zu entkommen. Tetu erwischte die Alte am Arm und zwang sie, ihn anzuschauen. Er fragte, warum und vor wem sie sich fürchte,