Название | Im Norden der Dämmerung |
---|---|
Автор произведения | Nuruddin Farah |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956143724 |
»Da musst du aber gut verdienen, wenn du dir so ein Auto leisten willst.«
»Von dem Reisegeld, das Großmama Gacalo uns geschickt hat, habe ich fünf Dollar gespart. Davon kaufe ich mir ein Lotterielos und gewinne den Jackpot.«
»Im Islam ist Glücksspiel ein Verbrechen«, sagt Waliya, die seit der Begegnung im Lift geschwiegen hat. »Das werde ich nicht erlauben.«
Naciim verzieht spöttisch den Mund. Mugdi ist versucht, den Jungen wegen seines unmöglichen Benehmens zurechtzuweisen und ihm außerdem zu sagen, dass ihm in Oslo niemand ein Lotterielos verkaufen wird, bevor er nicht achtzehn ist. Er lässt es bleiben und beschließt, eine bessere Gelegenheit abzuwarten.
Mugdis Handy klingelt, und er berichtet Gacalo kurz, dass sie auf dem Weg sind. Er spricht italienisch mit ihr, weil er annimmt, dass Waliya und die Kinder das nicht verstehen.
Er sagt Naciim, dass er sich anschnallen soll und das auch seiner Mutter und seiner Schwester sagen soll. Er findet es lästig, dass die neuen Umgangsformen unter Islamisten in Somalia heutzutage verlangen, dass Frauen von Männern – Mahrams ausgenommen – nicht direkt angesprochen werden sollen.
Unterwegs schaut Mugdi in den Rückspiegel und sieht, dass die Lippen der beiden Frauen sich bewegen. Anscheinend rezitieren sie Koranverse. Er schaut wieder auf die Straße. Sie sind keinen halben Kilometer gefahren, da fragt Naciim, ob er eben Italienisch gesprochen habe.
»Verstehst du Italienisch?«, fragt er.
»Noch nicht, aber ich will viele Sprachen lernen«, sagt der Junge. »Norwegisch, Französisch, Italienisch. Und ich will mein Englisch verbessern.«
Zum ersten Mal sagt Saafi etwas. »Und was ist mit Arabisch?«, fragt sie mit leiser Stimme.
»Was soll mit Arabisch sein?«, fragt Naciim.
»Es ist die Sprache des Propheten, Allah möge ihn segnen. Es ist die Sprache, die jeder Muslim lernen muss.«
Naciim schneidet eine Grimasse, und Saafis Gesichtsausdruck verdüstert sich.
Inzwischen ist Mugdi aufgefallen, dass Saafi und Waliya ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt haben. Er hält an, lässt den Motor aber laufen. Er sagt Naciim, dass er seine Mutter und Schwester noch einmal darauf hinweisen soll, den Gurt anzulegen, das sei in Norwegen Pflicht.
»Wir werden an dem Tag sterben, den Allah für uns bestimmt hat«, erwidert Waliya. »Egal, ob wir diese Dinger anschnallen oder nicht.«
»Wenn wir erwischt werden, muss ich eine hohe Strafe zahlen«, sagt Mugdi. »Wollt ihr das?«
Widerwillig geben sie nach, und auf dem Rest des Weges herrscht Stille. Als sie das Mietshaus erreichen, ruft Mugdi Gacalo noch einmal an. Sie sagt, dass sie schon in der Wohnung ist.
Als sie die Wohnung betreten, umarmt Gacalo ihren Mann und sagt: »Danke, Liebling.« Sie trägt den somalischen Rock mit Blumenmuster, ist aber nicht verschleiert, sondern trägt einen Schal und ein Kopftuch. Waliya und Saafi begrüßen Gacalo flüchtig und verlassen bei erster Gelegenheit das Zimmer. Naciim jedoch steht dicht neben Mugdi und tut so, als gehöre er mehr zur Welt des alten Mannes als zu der, in der die Frauen Zuflucht gefunden haben.
Der Junge kann nicht still stehen. Er schaut aus den Fenstern, berührt die Wände und bewundert die luftige Sauberkeit der Wohnung. Er geht auf und ab, als wolle er ausmessen, wie groß die Wohnung im Vergleich zu den Hütten im Flüchtlingslager ist. »Komm, zeig mir bitte die Zimmer«, sagt er dann zu Mugdi. »Ich will mir eins aussuchen.«
Naciim nimmt Mugdis Hand, und zusammen gehen sie in einen spärlich eingerichteten Raum. Naciim schaut sich um und sagt: »Das könnte Saafi nehmen.«
Er geht aus dem Zimmer, dann nach links, und Mugdi folgt ihm. Sie kommen zur nächsten Tür. Sie ist verschlossen. Naciim klopft leise an. Als niemand antwortet, sagt er: »Vielleicht sind Mama und Saafi da drin.«
Schließlich kommen sie in ein Zimmer mit eigenem Bad und Blick auf den Garten. Naciim setzt sich auf das Doppelbett. Er ist begeistert. »Das hier wird mein Zimmer«, sagt er im dreisten Tonfall eines Menschen, der entschlossen ist, sich durchzusetzen.
»Wie wär’s, wenn du vorher deine Mutter fragst?«
»Aber das ist das Zimmer mit der besten Aussicht.«
Mugdi versteht, was der Junge meint: Das Beste von allem geht an den Mann im Haushalt, und da er der Mann ist, steht das größte Zimmer mit der besten Aussicht von Rechts wegen ihm zu. Mugdi ist wütend. Nicht so sehr auf den Jungen wie auf die Tradition, die die männliche Spezies verhätschelt.
»Woher hast du dieses Machogehabe?«, sagt Mugdi. »Es macht mich traurig, wenn du schlecht über deine Mutter und deine Schwester redest. Sie behandeln dich, als wärst du ihr Mahram, ihr männlicher Beschützer. In unserer Familie heißen wir so ein Verhalten nicht gut.«
Naciim schaut ihn mit gespieltem Zorn an und sagt nichts.
»Was würde dein Stiefvater sagen, wenn er dich so reden hörte? Würde er dich zur Rede stellen oder würde es ihn gar nicht kümmern?«
»Er würde nichts Unrechtes daran finden. Tatsächlich würde Stiefvater Dhaqaneh mich darin bestärken, als Herr des Hauses aufzutreten, als Oberhaupt der Frauen, als Mahram.«
Der Mann als Beschützer der Frauen, dessen oberste Aufgabe ist, die Familienehre auf jede nur mögliche Art zu bewahren. Mugdi kennt solche Männer, und ihm drängt sich der Gedanke auf, dass Naciim ihm und Gacalo noch viel Ärger machen könnte.
»Stiefvater Dhaqaneh würde wollen, dass ich als sein Stellvertreter einspringe«, fährt Naciim fort.
»Und das heißt was?«
»Dass meine Mutter und meine Schwester nichts tun können ohne meine ausdrückliche Zustimmung«, sagt Naciim. »Und dass ich sie bestrafen kann, wenn sie aus der Reihe tanzen.«
»Glaubst du, für einen Jungen deines Alters ist das das richtige Verhalten?«
»Einmal, als mein Stiefvater nicht da war, sind meine Mutter und Saafi zu einer Hochzeitsfeier gegangen, ohne mir vorher Bescheid zu geben«, sagt Naciim. »Als er zurückkam und ich ihm berichtet habe, was passiert war, hat er sie zurechtgewiesen. Er hat gesagt, in seiner Abwesenheit müssten sie meinen Anweisungen folgen.«
»Hat er deine Mutter jemals geschlagen oder misshandelt?«
»Er hat sie oft gemaßregelt«, sagt Naciim.
»Gehörte zu maßregeln auch schlagen?«
»Ja, aber nicht so oft, wie er mich geschlagen hat.«
»Warum das denn?«
»Weil ich sein ›auserwählter‹ Mann war.«
»Was hat er damit gemeint?«
»Dass ich mehr wert bin als die Frauen.«
Vom Flur hörte man Gacalo fragen. »Wo sind die Männer?«
»Wir sind hier, Liebling«, ruft Mugdi.
Gacalo kommt ins Zimmer. »Was macht ihr hier?«, fragt sie.
»Der junge Mann und ich lernen uns gerade kennen. Kommt mir vor, als müsste sich der Junge so einiges abgewöhnen.«
Nach ein paar Minuten Smalltalk geht Gacalo Richtung Küche. Mugdi und Naciim folgen ihr. In der Küche schaut Gacalo ihren Mann liebevoll an, bedankt sich bei ihm und sagt ihm auf Italienisch, dass sie sich jetzt um alles kümmern werde, er könne nach Hause fahren.
Als Naciim merkt, dass Mugdi gehen will, fragt er ihn, ob er mitkommen dürfe. »Heute nicht«, sagt Mugdi.
»Habt ihr zu Hause einen Fernseher?«
»Ja«, sagt Mugdi.
»Kann ich manchmal vorbeikommen und schauen?«
»Wenn