Название | Natürlich waschen! |
---|---|
Автор произведения | James Hamblin |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956144783 |
II. REINIGEN
Val Curtis hat Fremden gern Bilder von verfaulten Nahrungsmitteln, von Würmern, Körperflüssigkeiten und Ähnlichem gezeigt und ihre Reaktionen dann aufgezeichnet.
Das war ihr Job. Curtis war eine weltweit führende »Ekelogin«, ehe sie im Herbst 2020 starb. In ihrer langen Laufbahn als Professorin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine ging sie zu Beginn der Frage nach, warum Menschen sich – häufig aus einem innersten Bedürfnis heraus und mit großer Leidenschaft – um Sauberkeit bemühen.
Die Reaktionen auf die gezeigten Bilder waren, so Curtis, fast identisch, quasi universell, also unabhängig von Wohnort, Alter, Geschlecht und anderen erfassten Variablen. Die allgemein verbreitete Reaktion auf »dreckige, klebrige, tropfende, wimmelnde Gegenstände« bezeichnete sie in ihren Studien als »starkes Ekelgefühl«.
Aber was verbarg sich dahinter? Um das herauszufinden, arbeitete Curtis mit dem sogenannten Laddering-Verfahren aus der Marktforschung. Mithilfe der »kognitiven Leiter« kommt man tieferliegenden Motiven auf die Spur. Eigentlich eine einfache Fragetechnik, wie sie Dreijährige in aller Welt beherrschen: Warum, warum, warum? Wenn man einen Restaurantgast beispielsweise fragt: »Warum haben Sie diesen Salat bestellt?«, wird er vielleicht antworten: »Er hat sich gut angehört.« Fragt man aber weiter nach dem Warum, stößt man möglicherweise auf das komplexe Verhältnis, das wir zu Nahrungsmitteln haben, zur Sterblichkeit und unserem Wunsch der Kontrolle darüber. Das Laddering-Verfahren eignet sich für erste Dates genauso wie für die Forschung. Die Antworten auf Curtis’ Fragen liefen irgendwann immer auf dasselbe hinaus: »Ekel«.
»Dreck ist einfach ekelhaft. Schmodder ist einfach ekelhaft. Verdorbene Nahrung ist ekelhaft«, sagte sie in unserem Gespräch. »Weiter kam ich nie.«
Also machte sie sich daran herauszufinden, was diese Dinge gemeinsam hatten.
Ihr Büro verwandelte sich in eine Bibliothek zu ihrem Forschungsgegenstand, eine »riesige, kunterbunte Sammlung von allem, was die Menschen auf der Welt ekelhaft finden«, wie sie sagte. Und auf der Suche nach dem gemeinsamen Muster »stieß ich jedes Mal auf Krankheit«.
Ein ausgefallenes Haar etwa könne Kopfhautflechte übertragen. Und darum reiche schon ein einziges verirrtes Haar auf dem Teller, um ein Restaurant in Grund und Boden zu verdammen, nie wieder einen Fuß dort hineinzusetzen und den Küchenchef samt Familie auf ewig zu verfluchen.
Genauso könne Erbrochenes, das überall als ekelhaft gelte, ungefähr dreißig verschiedene Krankheiten übertragen.
Dabei ekeln wir uns offenbar nicht vor dem Leid an sich. Wenn jemand an Krebs stirbt oder einen Herzinfarkt hat, eilen wir ohne Zögern an seine oder ihre Seite. Doch der Anblick von Blut, Erbrochenem oder Fäkalien, so Curtis, löst bei uns eine instinktive Abwehr aus, die uns vor ansteckenden Krankheiten schützt.
»In unserem Alltag ist der Kontakt mit anderen vermutlich das Gefährlichste«, erläuterte sie, »der andere trägt den Bazillus in sich, der uns krank machen kann.«
So gesehen ist Ekel sehr nützlich. Wenn wir bei einem bestimmten Verhalten oder Aussehen Ekel empfinden, schützt uns das vor den Krankheiten der anderen. Darum ekeln wir uns auch manchmal vor uns selbst, schämen uns für unser Aussehen oder sind peinlich davon berührt. Wir wollen keinen Ekel erregen, weil wir sonst Gefahr laufen, sozial ausgegrenzt oder aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden. Wert auf unser Äußeres zu legen, gehört also zu unserer Evolutionsgeschichte.
»Wenn Sie mein Freund sein wollen, müssen Sie mir in die Augen blicken, mich anhören, mir die Hand geben und in gewissem Maße Körperflüssigkeiten mit mir austauschen können. Weil wir uns anatmen«, sagte Curtis. »Wäre ich verdreckt und ungepflegt, hätte überall Parasiten und Verletzungen und würde schlecht riechen, würden Sie sich schnell vor mir ekeln und meine Gesellschaft meiden.«
Und sie fügte hinzu: »Weil wir eine kollaborative Spezies sind und den anderen zum Überleben brauchen, fühlen wir uns bedroht.« Als Mensch leben wir in der ständigen Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und der Notwendigkeit, uns vor anderen zu schützen.
Aber auch das Tierreich kennt »Hygieneverhalten«, wie die Evolutionswissenschaft die Körperpflege nennt. Die Karibik-Languste meidet Artgenossen mit Virusinfektionen, die Ameise säubert sich von krankheitserregenden Pilzen und räumt tote Kameraden beiseite, die Bienen entfernen erkrankte Freunde aus dem Stock und lassen sie sterben. Das alles scheint grausam, aber ihre Kranken können ohne ausgefeilte, moderne Gesundheitssysteme wie die unsrigen nicht behandelt werden.
Sämtliche Wirbeltiere befolgen offenbar Hygieneregeln: Ochsenfroschkaulquappen gehen, so Curtis, Artgenossen mit Candida-Pilzbefall aus dem Weg. Renken können den Parasit Pseudomonas fluorescens erkennen und meiden. So wie fast alle Säugetiere und Vögel, putzen sich Fledermäuse, um sich von Parasiten zu befreien. Das Schimpfwort Nestbeschmutzer ist nicht nur eine Metapher. Kein Vogel beschmutzt sein Nest. Selbst an verführerisch kalten Tagen kackt er draußen, etwa im Überflug auf einen Menschenkopf. Auch Waschbären, Dachse oder Lemuren wissen, wie die Sache läuft, und haben bestimmte »Latrinenplätze«. Bei Schimpansen lässt sich nach dem Kopulieren manchmal sogar so etwas wie Penispflege beobachten. Als Idee zumindest nett, wenn sich auch nicht alle sexuell übertragbaren Krankheiten so vermeiden lassen.
Krankheitsvorbeugende Verhaltensweisen sind in der Natur genauso universell verbreitet wie Sex. Eigentlich sogar noch mehr. Selbst hirnlose Fadenwürmer, die Sex in jeder Form scheuen, können nachweislich krankheitserregende Bakterien erkennen und vermeiden. Das hat ihnen die leidenschaftslose Evolution gelehrt. Die Gene von Exemplaren, die sich nicht vor Krankheiten schützen konnten, sind ausgestorben. Wer dagegen eine gute Hygiene betrieb, überlebte, vermehrte sich und fraß seine toten Brüder. Nein, die wurden begraben.
In der Fachsprache meint Hygiene ein krankheitsverhütendes Verhalten. Beim Menschen bedeutet dies Händewaschen, die Hand oder die Ellenbeuge beim Husten und Niesen vor den Mund zu halten, offene Wunden abzudecken und den Stuhlgang vorschriftsmäßig zu erledigen. Solche gesundheitsfördernden Urinstinkte können aber zugleich zu Diskriminierung beitragen. Selbst heute noch, so Curtis, können etwa Humpeln, leichte Asymmetrien oder ungewöhnliche Größenmaße Abscheu hervorrufen, weil sie unseren evolutionsgeschichtlichen Selbstschutz vor Ansteckung aktivieren.
So konnten in früheren Zeiten Schwellungen bei Menschen etwa auf Filariose hinweisen, eine durch Mücken übertragbare Wurmerkrankung, die Körperteile anschwellen und die Haut verdicken ließ. Sie waren also ein Gefahrenhinweis. Bis heute können solche Instinkte in Abscheugefühlen zum Ausdruck kommen und so definieren, was als normal gilt. Während die evolutionsgeschichtlichen Hinweise meist bedeutungslos geworden sind, bekommen Menschen, die zu stark von der normalen Bandbreite abweichen, anders aussehen, riechen oder klingen, die gesellschaftlichen Folgen weiterhin zu spüren.
Obwohl bei den Todesursachen die Infektionskrankheiten längst von den chronischen Erkrankungen überholt wurden, fürchtet sich unser Gehirn noch immer unverhältnismäßig stark vor einer Ansteckung. Und wenn zu dem Ekel vor uns selbst und anderen noch Weiteres hinzukommt, das mit Krankheit nichts zu tun hat, können wir die echten Gefahren leicht aus dem Blick verlieren. Hinter manchen heutigen Hautpflegemethoden verbirgt sich wohl auch der Antrieb, keinen Ekel erregen zu wollen, selbst wenn sie auf weit mehr abzielen, als dass wir nicht blut- oder kotbeschmiert herumlaufen.
In den wohlhabenden Ländern, so Curtis, orientiert sich die große Mehrheit bei der Körperpflege an einer abstrakten Vorstellung von Reinheit. Doch »rein« habe, anders als Hygiene, nicht nur mit Krankheitsvorbeugung zu tun.
»Die meisten Leute kaufen Körperpflegeprodukte nicht aus vernünftigen Gesundheitsgründen«, sagte sie. »Sie wollen gut aussehen, Akne, Ekzeme und Falten loswerden und angenehm duften.«
Dass der Mensch nach Schönheit und Wohlgeruch strebt, hat natürlich sehr komplexe Gründe. Manche werden durch kulturelle Normen und Erwartungen zu Verhaltensweisen