Название | Natürlich waschen! |
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Автор произведения | James Hamblin |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956144783 |
Auch in China vermerkte Marco Polo fasziniert: »Jeder nimmt mindestens dreimal in der Woche ein heißes Bad, und wenn er kann, im Winter sogar täglich. Wer etwas gilt oder wohlhabend ist, hat ein eigenes Bad im Haus.« Nicht so er selbst in Venedig. Als das alte Rom von den Völkern, die man später Barbaren taufte, unterworfen worden war, waren viele Aquädukte und Thermen zerstört worden. Die fehlende Infrastruktur und die Skepsis des Christentums gegenüber der Körperpflege machten das Mittelalter, wie man später sagte, zu »eintausend Jahren ohne Bad«.
Mitte des 14. Jahrhunderts spitzte sich die Lage zu. Die Europäer*innen litten plötzlich an schwarzen, eiternden Beulen, die, wie Giovanni Boccaccio im Dekameron schreibt, groß waren wie Eier oder Äpfel. Drei Tage nach den ersten Beulen starb der oder die Betroffene. Als »der schwarze Tod« in Boccaccios Heimatstadt Florenz wütete, sah er, wie Mütter die eigenen Kinder aussetzten, dem Leichengeruch sei nicht zu entkommen. Trotz der Gebete und Prozessionen breitete sich die Krankheit unkontrolliert aus. Innerhalb von drei Jahren war ein Drittel der europäischen Bevölkerung tot.
Die Beulen waren geschwollene, von Immunzellen überschwemmte Lymphknoten. Durch die Pestbakterien lief die Immunabwehr aus dem Ruder. Doch das wusste man erst fünfhundert Jahre später. Die Christ*innen beschuldigten also die Juden und Jüdinnen, Gift in den Städten zu versprühen. Vor die Wahl gestellt, lebendig verbrannt oder christlich getauft zu werden, gestanden manche jüdischen Gefangenen ihre Schuld und wurden von ihren angeblichen Sünden freigesprochen. Manchen half selbst das nicht.
Eine etwas gelehrtere Erklärung sah den Stand der Gestirne als Ursache des Problems. Laut einem Bericht der medizinischen Fakultät der Pariser Universität von 1348 starben die Menschen, weil Saturn und Jupiter unglückseligerweise mit Mars, »einem bösen Planeten, der Zorn und Kriege begünstigt«, in einer Reihe standen. Da der Mars rückläufig gewesen sei, hätte »er viele Dämpfe von der Erde und den Meeren angezogen, die sich mit Luft vermischten und deren Substanz beschädigten«.
Die angeblich krank machenden Dämpfe nannte man Miasma, im Fall der Pest Pesthauch. Auch wenn das ähnlich klingt wie unsere moderne Vorstellung von einer Ansteckung über die Luft, ging es beim Pesthauch um eine spirituelle Ansteckung. Die Pariser Ärzte warnten, dass »heiße, feuchte Körper für die Pestilenz am anfälligsten« seien, ebenso wie Körper »voll schlechter Stimmungen, weil unverbrauchte Abfallprodukte nicht richtig ausgestoßen« würden, oder Menschen »mit einem schlechten Lebensstil, zu viel körperlicher Ertüchtigung, Sex und Baden«. Die Vermeidung der furchtbaren Sünden garantierte zwar keine Gesundheit, versetzte aber die Bevölkerung garantiert in Panik: »Wer einen trockenen Körper hat, von Abfallprodukten geläutert ist, umsichtig Maß hält, wird der Seuche langsamer erliegen.«
Die Furcht vor heißem Wasser verbesserte die ohnehin entsetzliche hygienische Situation nicht gerade. Als man in Avignon keinen Platz mehr fand, um die Toten zu begraben, erklärte der Priester den Fluss kurzum zur geheiligten Erde. Reinen Gewissens hievten die Familien ihre Toten in die Rhône, doch die Gewässer waren weniger rein. Alle Menschen hatten Flöhe, die die Pestbakterien übertrugen, und bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts trat die Krankheit fast jedes Jahr irgendwo in Europa wieder auf. Die Badeanstalten schloss man von offizieller Seite aus Sorge vor Krankheitsübertragung. Panik und das mangelnde Wissen über das Pestbakterium, so die Journalistin Katherine Ashenburg, machten das 16. und 17. Jahrhundert zu den wohl schmutzigsten in der europäischen Geschichte.
Die vielen Todesfälle in den Städten ließen das Leben dort wenig verlockend erscheinen. Auf dem Land war es sicherer, dort gab es auch mehr Arbeit. Das änderte sich erst mit der industriellen Revolution. Bis ins 19. Jahrhundert lebten in den Städten jeweils nur wenige Hunderttausend Menschen. Es gab keine Hochhäuser oder Fabriken und folglich auch keine beständige Dunstglocke wie heute über Los Angeles, Hongkong oder Delhi.
In London wohnten erstmals 1801 über eine Million Menschen. Im Jahr 1850 waren es schon zwei Millionen, und weil die Menschen überall in die Städte strömten, bald ebenso in Paris und New York. Die Infrastruktur hielt mit dem Bevölkerungszuwachs allerdings nicht Schritt. Plötzlich war die Umwelt sichtbar dreckig. Die noch unasphaltierten Straßen waren im Sommer staubig, das restliche Jahr über matschig, immer voller Pferdeäpfel, und die Kohleöfen verpesteten die Luft. Die Gassen glichen Jauchegruben, die Brunnen waren vermüllt. Die ansteckenden Krankheiten, die sich unter diesen Bedingungen ausbreiteten, veränderten die Welt und ließen das öffentliche Gesundheitssystem entstehen.
Als in den europäischen Arbeiterbehausungen der 1840er-Jahre die Typhusepidemien grassierten, fiel dem deutschen Arzt Rudolf Virchow der Zusammenhang zwischen Lebensbedingungen und Krankheit auf. Seine Arbeit, die noch immer von der Miasma-Theorie geprägt war, brachte den amerikanischen Ärzteverband dazu, die Bedingungen in den USA zu untersuchen und schließlich 1847 Toilettenbelüftungen zu fordern, damit sich krankheitserregende Dämpfe verflüchtigen könnten.
Die These von der schlechten Luft wurde erstmals infrage gestellt, als der Arzt John Snow 1854 einen Cholera-Ausbruch in London zu einem Brunnen zurückverfolgen konnte. Mithilfe detaillierter Karten und der Befragung von Erkrankten versuchte er, gemeinsamen Gewohnheiten oder Aufenthaltsorten auf die Spur zu kommen. Die Methode, die Sherlock Holmes vorwegnahm, erwies sich als so bedeutsam, dass daraus schließlich die moderne Epidemiologie entstand. Doch Snow erkannte nicht den genauen Zusammenhang zwischen dem Wasser und der Krankheit. Ernst genommen wurde er auch nicht.
Dass das Wasser durch Organismen aus der menschlichen Fäkaliengrube direkt neben dem Brunnen verseucht war, lief damals nicht nur den gängigen Überzeugungen zuwider, sondern hätte auch erhebliche politische Folgen gehabt. In der gesamten Stadt hätte man menschliche Abfallprodukte und Trinkwasser trennen müssen. Die Londoner Regierung hielt Snows Entdeckung für reinen Zufall, für einen Zusammenhang gebe es keine Beweise. Erst als der deutsche Arzt Robert Koch 1883 Cholerabakterien unter dem Mikroskop sah, wurde Snow rehabilitiert, zwei Jahrzehnte nach seinem Tod. Diese Entdeckung, die epidemiologischen Hinweise aus dem Londoner Brunnen und spätere Beobachtungen erhärteten für Koch die Vermutung, dass das verseuchte Wasser die Ursache war. Und wenn die »Keime« unbemerkt in unser Trinkwasser kriechen und uns töten konnten, konnten sie wohl genauso gut für viele andere Krankheiten, Leiden und Temperamente verantwortlich sein.
Während die Gefahr von Infektionskrankheiten durch Verstädterung und rasches Bevölkerungswachstum zunahm, drang die neue »Keimtheorie« langsam ins öffentliche Bewusstsein. Um die Jahrhundertwende gehörten die Bekämpfung und Vorbeugung von Infektionskrankheiten schließlich zur Städteplanung. Diese »Hygiene-Revolution« war im Grunde das Resultat ihres industriellen Vorläufers. Um die erforderlichen Sanitär- und Hygienemaßnahmen durchzusetzen, baute man in Europa und den USA ein öffentliches Gesundheitswesen auf. Statt wie bisher die Keimtheorie zu leugnen, ging die Politik nun schleunigst dazu über, in präventive Infrastrukturmaßnahmen zu investieren. Im Fokus standen keimfreies Trinkwasser, Abwasserkanäle und die Volkserziehung zum Händewaschen nach dem Toilettengang, so wie es die Menschen in der übrigen Welt seit Jahrtausenden taten. Man hatte es bislang einfach hingenommen, dass die Bevölkerung ganzer Stadtviertel oder Städte plötzlich dahinschwand. Die Erkenntnis, dass sich das verhindern ließ, war revolutionär.
Damit rückte auch die Körperpflege ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins. Wie sauber jemand war, sagte nun etwas über sein Gefahrenpotenzial. Wer ungepflegt war, konnte sich das Waschen offenbar nicht leisten und nutzte den Graben in der Gasse vor dem Mietshaus als Toilette. Womöglich übertrug er oder sie auch Krankheiten. Wer gepflegt war, sauber gekleidet, sorgfältig gekämmt und mit frisch gewaschenem Gesicht, signalisierte Sicherheit. Obwohl ein gepflegtes Äußeres kein Garant dafür war, dass jemand sich die Hände wusch und keine Flöhe hatte – die gefürchtetsten Krankheitsüberträger –, gingen äußeres Erscheinungsbild und Hygiene nun Hand in Hand.
Sauberkeit und Schmutz wurden nun konkret mit Gesundheit beziehungsweise Tod assoziiert, und die dazu passenden polarisierenden Konnotationen verbreiteten sich zusehends. Doch ein saubereres Erscheinungsbild erforderte Zeit und Geld. Sichtbare Körperpflege wurde zum Statussymbol, und mehr galt oft als besser. Es reichte nun nicht mehr, nicht ekelerregend auszusehen oder zu riechen, man musste duften. Ein sauberes Äußeres wurde zur Voraussetzung für bestimmte