Название | Natürlich waschen! |
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Автор произведения | James Hamblin |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783956144783 |
Dass auf unserer Haut überhaupt Mikroben leben, ist schon länger bekannt. Seit die Biologie Bakterienkulturen anlegt, weiß sie, dass sich aus menschlichen Hautpartikeln ein wunderbarer mikrobieller Garten züchten lässt. Doch erst im vergangenen Jahrzehnt hat man dank der DNA-Sequenzierungstechnologie erkannt, wie umfassend und vielfältig das mikrobielle Leben auf unserer Haut ist. Unsere Haut- und Darmmikroben zusammengenommen machen einige Kilo unseres Körpergewichts aus. In und auf unserem Körper gibt es mehr mikrobielle als menschliche Zellen.
Lange Zeit hat man die Haut als Barriere betrachtet, die uns von unserer Umgebung trennt, doch wie neuere Erkenntnisse zum Mikrobiom zeigen, ist sie wohl eher eine dynamische Schnittstelle. Im Grunde sind unsere Hautmikroben eine Erweiterung unserer selbst. Nur selten lösen sie, ebenso wenig wie unsere Darmmikroben, Krankheiten aus. Wenn überhaupt, dann beschützen sie uns vor ihnen. Aber alles, was wir mit unserer Haut anstellen, oder auch nicht, wirkt sich auf die Mikrobenpopulationen aus.
Mit jedem Waschen greifen wir zumindest vorübergehend in die Populationen ein. Wir entfernen sie oder nehmen Einfluss auf ihre Ressourcen. Auch wenn wir keine ausdrücklich »antimikrobiellen« Körperpflegeprodukte verwenden, verändern die aufgetragenen chemischen Stoffe die Umgebung, in der die Mikroben gedeihen. Die Seifen und Gesichtswasser, die unsere Haut trockener und weniger fettig machen sollen, entfernen auch den Talg, von dem sich die Mikroben ernähren.
Da Wissenschaft und Medizin den Umfang und die Bedeutung der Mikroben erst seit Kurzem durch neue Technologien sichtbar machen konnten, wissen wir bislang nur wenig darüber, was sie wirklich auf unserer Haut tun. Doch je mehr der neue Forschungsbereich das Zusammenspiel von Mikroben und Haut erhellen kann, desto fraglicher werden lang gehegte Annahmen über das, was für die Haut gut oder schlecht ist.
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Die Milben in unserem Gesicht verdeutlichen vielleicht am eindrucksvollsten, wie das Wissen um die Hautmikroben unser Selbstverständnis verändert.
Als eine Forschungsgruppe 2014 einen Abstrich von der Gesichtshaut vierhundert Freiwilliger aus North Carolina nahm, entdeckte sie unter den Hautpartikeln Mikroben namens Demodex. Diese farblosen, einen halben Millimeter kleinen Milben, die normalerweise versteckt in den Hautporen leben, besitzen am vorderen Körperdrittel vier Beinpaare, mit denen sie den Rest ihres Körpers hinter sich herziehen. »Ein Anus fehlt«, vermerkte eine schweizerische dermatologische Zeitschrift bei der anatomischen Beschreibung, wohl um etwaigen Sorgen entgegenzuwirken, was die Milben in unserem Gesicht alles anstellen könnten. Anus hin oder her, meine erste Reaktion und die vieler anderer war: »Um Himmels willen, wie werde ich die bloß wieder los?« Seriösere Wissenschaftsjournalist*innen entschieden sich für Schlagzeilen wie die auf der Website vom amerikanischen Sender NPR: »Hey, in deinem Gesicht leben Milben. In meinem auch.«
Unter all unseren Mikroben sind, soweit wir das wissen, nur die Milben so groß, dass man sie mit der Lupe sehen kann. Dann folgen in puncto Größe die Pilze, die uns dank unserer Körpertemperatur allerdings nur selten besiedeln, die Bakterien, Archaeen, Protozoen und schließlich die viel kleineren Viren. Eigentlich ist es also schleierhaft, wieso wir nicht mehr über die Milben wissen. Entdeckt wurden sie schon vor Längerem: Ein deutscher Anatom fand sie 1841 auf einigen Leichnamen und später gelegentlich an Lebenden. Obwohl er seine Entdeckung dokumentierte und betonte, wie bedeutsam sie wohl sei, gerieten die winzigen Milben weitgehend in Vergessenheit.
Warum fanden die Milbenjäger aus North Carolina also gerade jetzt heraus, dass wir vor Demodex nur so wimmeln?
Erst die neue DNA-Sequenzierungstechnologie, mit der auch das restliche Mikrobiom entdeckt wurde, machte es möglich. Die Milben leben nämlich gut versteckt in den Hautporen und sind meist nur schwer zu finden. Wenn man aber auf der Haut nach Spuren ihrer DNA sucht, finden sich die Milben bei uns allen. Und das ist der Grund, warum wir über diese winzigen Gefährten, wie über so viele andere auch, noch so wenig wissen.
Auch wenn der Gedanke an Milben den meisten wohl kaum behagt, wäre es vermutlich weitaus schlimmer, gar keine zu haben. Und welches Merkmal könnte im Übrigen näher an die Definition von »normal« herankommen als eines, das auf 100 Prozent der Menschen zutrifft? Da muss es einen guten Grund für die Milben geben. Oder etwa nicht?
Michelle Trautwein, Professorin für Dipterologie (Fliegenkunde) an der California Academy of Sciences und Co-Autorin der genannten Studie, erkennt in den Milben die Schönheit des Lebens: »Sie sind ein universaler Bestandteil unseres Menschseins.« Insektenkundler*innen wie Trautwein gehen gemeinsam mit Dermatolog*innen und Ökolog*innen der Frage nach, warum wir Milben besitzen, und entdecken dabei neue Wahrheiten über uns. Zum einen: Der Mensch ist kein autarkes Lebewesen, er ist auf andere Organismen, die auf ihm und um ihn leben, angewiesen.
Die Milben, so Trautwein, ernähren sich vermutlich von unseren toten Hautzellen und wären damit die »natürlichste« Peelingmethode. Außerdem verringern sie wohl auch den Staub in unseren Wohnungen, der zum Teil aus Hautzellen besteht. Dennoch würde uns jedes Produkt im Drogeriemarkt oder auf Instagram verlockend erscheinen, das uns verspricht, uns von den Gesichtsmilben zu befreien.
Auch wenn wir alle Milben im Gesicht haben, kann ihre anormale Vermehrung oder eine anormale Reaktion auf ihre Vermehrung nachweislich zu Hautkrankheiten führen. So besteht etwa, wie eine kürzliche Auswertung von achtundvierzig Studien ergab, ein Zusammenhang zwischen Milbendichte und Rosazea. Wie bei anderen Erkrankungen mit Mikrobenbezug geht es dabei jedoch vor allem um Zahlenverhältnisse und den Kontext, nicht einfach um eine Invasion »böser« Lebewesen. Normalerweise ist die Milbe Demodex gutartig und offenbar sogar der Gesundheit förderlich. Doch wenn sich ihr Umfeld ändert, kann sie pathogen (krankheitsauslösend) werden. Ähnlich wie der Mensch selten mit der Neigung geboren wird, andere zu verletzen, aber im Krieg und mit einem Schießbefehl ohne Weiteres tötet.
Die Entdeckung der Milben und Billiarden anderer winziger Geschöpfe unseres Hautmikrobioms bedeutet das Ende der sogenannten »Keimtheorie«, der simplen Vorstellung also, wir müssten die Mikroben bekämpfen, um Krankheiten vorzubeugen. Das Bild ist bunter geworden. Die meisten Mikroben gelten inzwischen nicht nur als harmlos, sondern sogar als nützlich, wenn nicht gar überlebenswichtig. Das Ich und das Andere sind weniger eine Dichotomie als vielmehr ein Kontinuum.
Obwohl sich das menschliche Baby in einer sterilen Umgebung, der mikrobenfreien Gebärmutter, entwickelt, ist es nach Verlassen des Geburtskanals ein brüllender Bakterienschwamm, der sofort Mikroben aufliest, die seine Gesundheit und Überlebensfähigkeit fördern. Seine Haut wird von mütterlichen Bakterien besiedelt, von denen einige lebenslang in den Hautporen verbleiben und die Interaktion mit allen späteren Mikroben überwachen.
Ab diesem Zeitpunkt wird die Hautgesundheit vor allem zu einer Frage des Umfelds. Außenwelt und Haut beeinflussen die Mikroben, Mikroben und Körperfunktionen ihrerseits die Haut.
Die Forschungen zum Mikrobiom sind gerade im Begriff, unsere Grundannahmen der Hautpflege auf den Kopf zu stellen. Die Folgen sind alles andere als nebensächlich. Da ist etwa die kürzliche Studie des Dermatologen Richard Gallo von der University of California in San Diego. Sein Team bestrich eine Mäusegruppe mit dem Bakterium Staphylococcus epidermidis, das auch auf der menschlichen Haut vorkommt. Eine andere Gruppe säuberte man so gründlich, dass sie bakterienfrei war.
Dann verpasste man beiden eine schöne Bräune. Die Mäuse mit den Bakterien entwickelten seltener Hautkrebs. Laut Gallo erzeugt Staphylococcus epidermidis einen Stoff namens 6-N-Hydroxyaminopurin, der Krebszellen angreift und ihre Vermehrung verhindert.
Natürlich handelt es sich hier um eine erste Studie, und sie hat die Mikroben auch nur an Mäusen und nicht an Menschen erforscht. (Menschen UV-Licht auszusetzen, um zu sehen, ob sie Krebs entwickeln, wäre unethisch.) Doch ähnliche Studien werden derzeit offenbar im Wochentakt veröffentlicht. Zusammengenommen werfen