TITANROT. S. C. Menzel

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Название TITANROT
Автор произведения S. C. Menzel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957658388



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Die Inderin hatte sie bereits als unpassend befunden. Eines der perfekten Tanzmädchen würde das neue Mitglied der Tanzgruppe werden.

      Karas Tänzerlächeln schmolz von ihren Wangen. Sie lauschte dem monotonen Trommelschlag, schloss die Augen und vergaß die Fremden, die ihr Urteil bereits gefällt hatten.

      Ihre Haltung verlor die Perfektion. Ihre Drehungen verloren an Unsicherheit. Ihre Hände die lange antrainierte Steife. Dafür brachte jeder Schlag ihre Mitte zum Vibrieren. Mit jeder Faser verschmolz sie mit dem Tanz und vergaß die Erwartungen der Beobachter. Noch immer folgte ihr Körper den einstudierten Mustern. Aber in ihren Sprüngen steckte eine Leichtigkeit, die ihre Lehrer nicht vorgesehen hatten, und ihre Arme verwandelten sich in Flügel, die sie der Schwerkraft enthoben. Sie fand sich selbst in ihren Bewegungen. In den letzten Jahren war das Tanzen zu einer Pflichtübung geworden, die sie gewissenhaft erledigte. Auf ihrer Suche nach Perfektion war die Leidenschaft verloren gegangen. Und sie hatte die Schönheit, die darin lag, und all die Geschichten, die sich in schiefen Figuren und unsauberen Landungen versteckten, einfach vergessen.

      Die Choreografie nahm in ihrem Geist eine eigene Gestalt an. Lichter verwirbelten zu Nebeln, Farben und Schatten. Sie tanzte nicht nach der Führung durch die Trommel, sie tanzte mit ihr. Der nächste Schlag, die nächste Bewegung, sie waren die Folge des Vorhergewesenen. Sollten die sie wegschicken, wie all die anderen. Dieser Moment gehörte ihr. Sie tanzte nicht länger für die Anerkennung durch die anderen oder die Bestätigung durch die Tanzmeister. Nicht einmal für den Beifall eines Publikums. Sie tanzte für sich. Weil es ihr gefiel.

      Bumm. Sprung. Bumm. Drehung. Bumm. Nach hinten fallen lassen. Bumm. Aufkommen. Bumm. Nicht verbeugen.

      Langsam öffnete sie die Augen. Im ersten Moment blendete die Welt sie. Doch dann nahmen die Beurteiler im Grau des Raums wieder Gestalt an. Der Trommler verzog keine Miene.

      Kara begegnete seinem Blick. Was hatte sie sich dabei gedacht? Die beiden würden jedem, den sie kannten, von ihrer seltsamen Vorstellung erzählen. Wieder würden Geschichten über einen Sturz und unmögliches Betragen erzählt werden und Leute würden über sie lachen.

      Ihr Trotz kehrte zurück. Warum störte sie, was Langweiler dachten? Sie hatte getanzt. Wirklich getanzt.

      »Finden Sie sich morgen um neun Uhr im Übungsraum ein.« Die Stimme des Trommlers war leise. Bloß ein Flüstern, doch es brachte ihr Innerstes zum Beben.

      »Sie nehmen mich?« Ein Schauder durchlief ihren Körper von den Haarwurzeln bis zu den Fußspitzen. Sie stand kurz davor, ein neues Kapitel ihres Lebens zu schreiben. Sie spürte den Sog der Zukunft.

      Die Frau antwortete mit frostiger Stimme. »Wir ziehen es in Erwägung. Sie werden sich zu einer Übungsstunde mit unserem Trommler einfinden. Danach sehen wir weiter.«

      Vorschuss

      Raumhafen der Nomaden im Orbit des Zwergplaneten Amarok

      Der Ort, an dem Glenn, laut Dans Aussage, Abhilfe für seine Geldsorgen finden würde, sah seriös aus. Und das beunruhigte ihn. Sehr.

      Über der Glastür hing ein Metallschild, das »Raumfahrerausstattung« anpries. Direkt darunter prangte ein Aufkleber: »VdR verbürgte Qualität in Zusammenarbeit mit der QdK und VPH«.

      VdR stand für den Verband der nomadischen Raumhäfen. Glenn kratzte sich am Kopf. Sollte diese Bürgschaft Leute etwa davon überzeugen, dieser Laden sei vertrauenswürdig? Bei den Nomaden galt es, Versprechungen mit Vorsicht zu genießen. Die meisten bezeichneten sich als Händler oder Piraten. Beide verkauften ihre eigenen Kinder, wenn sie sich dadurch Gewinn erhofften.

      Die QdK und VPH, die Qualitätssicherung der Konglomerate und Vereinigung von Planeten und Habitaten, verdienten noch weniger Vertrauen. Die schnitten ihre Kinder vor dem Verkauf in Scheibchen, wenn das den Gewinn maximierte. Vielleicht stellte das Schild eine Warnung dar. Vor allem für Leute, die vor Kurzem einem der Konglomerate einen Wissenschaftler geklaut hatten. Auf wie viel Vertrautheit mit den Konglos wies so ein Schild hin?

      »Hier willst du hin?« Nance musterte das Schild mit großen Augen. Überdimensionierte Goldohrringe schaukelten von ihren Ohrläppchen und verhedderten sich in den grünen Zöpfchen, die ihr bis auf die Schultern fielen.

      »Wir müssen neue Mineralkartuschen und Vorräte für den Drucker besorgen. Und du sagtest doch, du bräuchtest einen neuen Nukleuschip.«

      Glenn atmete durch den Mund, um dem süßlichen Gestank des Haaröls zu entgehen, das Nomaden so gerne benutzten. Der Geruch hing wie eine schwüle Wolke über den Köpfen der Vorbeiziehenden in der Hauptstraße der Raumstation und schien ihn gemeinsam mit der Stationsschwerkraft zu erdrücken.

      »Ich meine: Warum müssen wir das persönlich tun?« Nance rollte mit den Augen. »Wieso hast du das Zeug nicht wie ein normaler Mensch über Hafenfunk bestellt? Du weißt, dass die Drohnen im Hafeneinzugsgebiet ohne Aufpreis liefern?«

      »Vielleicht wollte ich mir ein wenig die Füße vertreten und den Duft der Zivilisation schnuppern.«

      Glenn bekam einen heftigen Hieb gegen die Schulter, als eine ganze Gruppe Nomaden in abgerissenen Raumanzügen an ihm vorbeirempelte. Nance verkniff sich ein Lachen und grunzte stattdessen.

      »Klar, Käpt’n. Gedränge und Trubel ziehen dich magisch an.«

      Glenn sehnte sich tatsächlich nach dem Gefühl echter Beschleunigung, das ihn weit von diesem überlaufenen Hafenquartier fortbrachte. Dazu brauchten sie allerdings neue Vorräte und einen neuen Chip. Ein gut trainierter Nukleuschip allein konnte die Heuerkosten für eine ganze Mannschaft übersteigen. Aber ein billiger Chip zweifelhafter Herkunft stellte ein Risiko dar, das kein verantwortungsbewusster Nomade einging. Also brauchte er Geld. Und deshalb musste er den Auftrag abschließen. Wozu er noch mehr Geld brauchte, weil er vorher Kroll auftauen musste. Seine Eingeweide drohten, dem Ruf der Schwerkraft zu folgen und sich in Richtung Füße davonzumachen.

      »Dan meinte, er kennt hier jemanden. Mir wurde ein kostengünstiger Kontakt in ein Krankenhaus versprochen, wenn ich hier persönlich aufkreuze. Wir sollten Kroll auftauen, wenn’s geht.«

      Nance sah zu dem Schild und schüttelte den Kopf. Ihre Ohrringe schaukelten wild. »Hier drin? Wirklich? Das klingt dubios. Nach Konglo, oder so.«

      »Wir werden sehen.« Sein Kopf fühlte sich mehrere Nummern zu groß und zu leicht an. »Außerdem hat Dan die Kommunikationskanäle überprüft. Lehrsinn-Bode hat kein Kopfgeld ausgesetzt. Vermutlich hatten die Angst, dass das Aufmerksamkeit auf ihr Geheimlabor lenkt.«

      »Ich weiß echt nicht, was daran beruhigend sein soll, Käpt’n.« Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper. »Die haben Spione und Attentäter und so was.«

      Glenn stieß die Tür auf und ein angenehm kühler Luftstrom umwehte sein Gesicht. Der Allbedarfsladen bestand aus einem Verkaufsraum, dessen einseitig verspiegelte Fenster vor neugierigen Blicken schützten, jedoch einen Ausblick auf das Treiben in der Gasse boten. Ein paar Birkenfeigen unter künstlichen Sonnen, sowie ein niedriger Tresen stellten die gesamte Einrichtung dar.

      Er atmete erleichtert auf. Die frische Luft hier drin beruhigte seine mit der Stationsschwerkraft kämpfende Verdauung auf den ersten Atemzug. Das stete Gefühl zu fallen, während er stand, trieb ihm bittere Galle in den Rachen. Allgang nannten die Nomaden das und hielten es für eine Auszeichnung echter Allbewohner. Er bezeichnete sich ab heute mit Freuden als Felsenkleber, wenn er damit dieser Auszeichnung entginge.

      Ein Händler stand hinter dem Tresen und grüßte sie mit einer Hand. Die Bewegung ließ bunte Pailletten an seinen Ärmeln im Licht schillern. In der anderen hielt er einen Becher, aus dem süßlicher Dampf aufstieg.

      »Nicht so schüchtern. Kommen Sie nur rein.« Der Mann stellte seinen Becher ab und musterte Glenn fachmännisch. Dann pochte er mit der anderen Hand auf eine der Tafeln. Das Angebot veränderte sich und funkelnde Raumanzüge an unnatürlich gut gelaunten Menschen strahlten von der Wand.

      »Interesse am neuesten Modell von Lehrsinn-Bode?«, fragte der Mann. »Ist heute reingekommen. Neueste