Название | Der Philosoph |
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Автор произведения | Wilm Hüffer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783947373758 |
Weshalb jedoch hätten solche Feindseligkeiten Veranlassung dazu geben sollen, in Angststarre zu verfallen? Was konnte der Fernsehphilosoph tun, um Hinrich Giers ernstlich zu schaden? Ich wusste damals noch nichts von den Recherchen, die du mit Fleigs Hilfe angestellt hast, hätte folglich nicht ahnen können, dass du bald darauf in Binsenburg erscheinen und abwegige Gerüchte über den Professor in Umlauf bringen würdest. Ich möchte jedoch behaupten, dass ich selbst in Kenntnis deiner Umtriebe damals keinen Grund gesehen hätte, den Fernsehphilosophen als Gefahr zu betrachten. Von Anfang an sah ich eine Chance darin, diesen geltungssüchtigen Menschen mit dem Objekt seiner Minderwertigkeitsgefühle zusammenzubringen. Wer hätte Hinrich Giers schließlich wirkungsvoller aus der Defensive locken können als sein ehrgeiziger und eifersüchtiger Schüler? In dieser Einschätzung, das musst du zugeben, habe ich mich nicht getäuscht.
12
Ich weiß nicht, ob du den Eindruck kennst, den das Haus hervorrief, in dem der Professor Zuflucht gesucht hatte. Dieses Gefühl der Überwältigung, sobald hinter der ersten Wegbiegung, zwischen sprießenden Obstbäumen und Rhododendren-Gebirgen die zitronengelbe Fassade und die schiefergrauen Walmdächer des Anwesens sichtbar wurden. Man konnte sich dieser Villa kaum nähern (auf dem herrlichen weißen Kies, im Bogen der weiten Rechtskurve), ohne sich den Besitzer als Freund der Kunst und Literatur, als großen Mäzen, als Fürsten des Guten und Schönen vorzustellen. Eine bedauerliche Täuschung der Einbildungskraft. Selbst bei späteren Besuchen habe ich nicht ohne Missmut daran gedacht, dass hinter den kunstvoll gegliederten Fensterfronten dieses Palastes ein prosaischer Frührentner seinen weitgehend interesselosen Betätigungen nachging.
Robert Schlierer schien ein bedeutender Industrieller gewesen zu sein. Heute, so konnte man nachlesen, redete er freimütig von den alten Tagen seines Wehrdienstes und der Gewohnheit, in den von ihm bereisten Landschaften zuerst nach geeigneten Positionen für die Feldartillerie Ausschau zu halten. Dr. Lenz und ich haben ihn schließlich den Artilleristen genannt. Es entbehrte nicht der Logik, dass er auf der höchstgelegenen Terrasse des Paradieshügels residierte – wie unter dem Vorsatz, die im Tal gelegene Stadt unter Beschuss zu nehmen. Als ich am Eingangsportal, einer dunkelgrün lackierten Tür mit ornamentalen Messingbeschlägen, den Klingelknopf drückte und im Inneren des Gebäudes ein Glockendreiklang vernehmlich wurde, rechnete ich mit einer untergeordneten Person, die mir öffnen, mich steif begrüßen und auf einem einschüchternden Weg tief ins Hausinnere begleiten würde. Umso überraschter war ich, als die Tür mit unzeremoniöser Geschwindigkeit aufsprang und mein Blick zuerst auf zwei nackte, fleischige und braungebrannte Füße fiel. Auch die übrige Erscheinung machte den Eindruck des Braungebrannten, war allerdings ersichtlich älter, als es ihre blondierten schulterlangen Haare, ihr buntes Hemd und die zerschlissene Jeans vermuten ließen. Ich sah einen alten Mann vor mir, der unter eine blonde Perücke geschlüpft zu sein schien, einen welken, freudlosen Geist, der ein Bild entspannter Lebenskunst vorzustellen versuchte.
Es bestand kein Zweifel, dass der Eigentümer des Anwesens selbst vor mir stand, der mich, ohne nach meinem Namen gefragt zu haben, mit seinem freundlichen Bariton willkommen hieß (»Seien Sie willkommen!«), mir unaufdringlich aus der Jacke half (»Bitte legen Sie doch ab«), sie in einem gewaltigen und leeren Garderobenschrank verschwinden ließ (»Nein, lassen Sie mich das nur machen«) und mich bat, ihm zu folgen (»Wollen Sie mir bitte folgen!«). Eigentlich redete er ununterbrochen (»Sie haben das Haus gleich gefunden?«), sparte nicht an seiner Wortmunition, ob im Blickkontakt, zur Seite gewendet, im Vorauslaufen oder mit einem beiläufigen Blick über die Schulter (»Sie hatten eine gute Anreise? Wie gefällt Ihnen Binsenburg? Was möchten Sie trinken?«). Der unpassende Vergleich lag nahe, sich in seiner Anwesenheit unter verbalem Dauerbeschuss zu fühlen. Die Stimme des Artilleristen ertönte von vorn, hallte von den Wänden der weißgetünchten Eingangshalle wider, schien aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig zu kommen, während ich dem seltsamen Mann folgte, den Blick unablässig auf seine braungebrannten Füße gerichtet, mit denen er unbekümmert über die Marmorfliesen stampfte. Wir hielten uns auf der rechten Seite des Entrees und liefen auf eine Flügeltür zu, während zur linken eine großzügige weiße Marmortreppe in den ersten Stock zu einer Galerie hinaufführte.
Es spielte keine Rolle, dass ich den Schlierer’schen Ausführungen nicht durchgehend zu folgen vermochte (»… habe mich in Binsenburg gleich wohlgefühlt … ganz reizender Ort …«). Selbst wenn ich abgelenkt gewesen war, fand ich problemlos wieder in die Satzschleifen hinein (»… deshalb dieses Haus … meine erste Wahl … Liebe auf den ersten Blick«). Sollte Robert Schlierer Unaufmerksamkeiten meinerseits registriert haben, ließ er mich das nicht merken (»… Lage von großer Bedeutung … beschäftige mich schon lange damit … vorteilhafte Topographie …«). Vermutlich war ihm die Rezeptionsfähigkeit seiner Umgebung relativ gleichgültig, solange man seine Wortkaskaden mit unveränderter Freundlichkeit absorbierte (»… habe das aus frühen Jahren … nach dem Wehrdienst noch den Feldwebel drangehängt …«). Höflich hielt er die Flügeltür für mich geöffnet. Ich betrat einen großen Saal (»… lange beim Artillerielehrbataillon gewesen … daher das Interesse …«) und blickte nicht ohne Ehrfurcht in den herrschaftlichen Raum (»… ist immer so, wenn ich eine Landschaft noch nicht kenne …«). Erst wenige Minuten war ich hier, in dem gewaltigen Domizil auf dem Paradieshügel (»… überlege sofort, wo die 155-Millimeter-Geschütze stehen müssen …«). Mein Zeitgefühl aber hatte ich bereits verloren.
13
Nach den betäubenden Wortschwällen des Artilleristen wirkte der weißgetünchte Saal zunächst ernüchternd auf mich. Ich fühlte meine Spannung zurückkehren, als ginge das lästige Präludium zu Ende, als könnte ich nun endlich, die Umhängetasche mit den Briefen fest umklammert, Hinrich Giers gegenübertreten. Der große Raum wuchs links und rechts in die Breite. Eine hohe Terrassentür lag direkt gegenüber, auf beiden Seiten flankiert von je zweien der kunstvoll gegliederten Fenster. Hinter den Scheiben leuchtete das üppige Grün des Gartens.
Ich schaute mich nochmals um, konnte zunächst aber niemanden entdecken. Eine leise Enttäuschung begann sich bemerklich zu machen. Gerade hörte ich den Artilleristen hinter mir die Tür schließen. »Der Besuch ist gekommen«, sagte er mit seinem freundlichen Bariton. Da sah ich ihn im nächsten Moment schon wieder vor mir sitzen, in einer Sofagruppe aus weißem Leder, vertieft in eine Zeitschrift, das Kinn auf eine Hand gestützt, das Gesicht hinter seiner blonden Mähne verborgen. Vor Schreck ist mir für eine Sekunde tatsächlich kalt geworden. Dabei war die Sache nicht weiter spektakulär. Wie ich später erfahren habe, ist sie in der Stadt als sogenannter »Schlierer-Effekt« sogar zu grotesker Berühmtheit gelangt. Es war eine Frau, die auf dem Sofa den Kopf hob, die blonden Strähnen zur Seite schob und mir freundlich ihr braungebranntes Gesicht zuwandte. Frau Schlierer war von ähnlicher Größe wie ihr Mann, von ähnlich schwer bestimmbarem Alter, von vergleichbar beträchtlichem Umfang, ihre Bluse ähnlich bunt wie sein Hemd, ihre Jeans ähnlich zerschlissen wie die seine, und auch im Verrunzelungsgrad der sonnengebräunten Haut stand keiner dem anderen nach. Die größte Beklommenheit jedoch verursachte mir die Ununterscheidbarkeit ihrer Frisuren. Der blondierte, etwa schulterlange Pony verwandelte sie in Puppengeschwister aus einem Kasperletheater. Nicht ohne Erschaudern tauschte ich mit Frau Schlierer einen Händedruck. Dann schlurfte sie zur Tür und verschwand, ohne ein Wort gesagt zu haben.
Ich ließ mich in der gewaltigen, U-förmigen Leder-Sitzgruppe nieder, legte meine Umhängetasche ab und atmete durch. »Villa Mögen heißt dieses Anwesen«, meldete sich der Artillerist zurück, ließ sich anstelle seiner Frau gegenüber in die Polster plumpsen und wies mit ausgestreckter Hand in den Saal. »Friedrich Mögen … bedeutender Industrieller … Haus um 1890 erbaut … Fan des Palladio … wunderbarer Stil.« Ich nickte und kam der indirekten Aufforderung nach, den weitläufigen Raum noch einmal auf mich wirken zu lassen. Außer einem gläsernen Rundbogen über der Terrassentür erinnerte an Palladio allerdings nichts mehr. Neben unserer Sofainsel war ein würfelförmiger Stahlofen mit quadratischen Fenstern in den Boden eingelassen, einer überdimensionierten