Название | Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat |
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Автор произведения | Hervé Guibert |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941360921 |
11
So wie er darauf achtete, außerhalb der Grenzen, die er um sein Œuvre zog, seinen Namen, den die Berühmtheit allzu sehr in der ganzen Welt hatte anschwellen lassen, zu tilgen, so zielte er darauf ab, sein Gesicht verschwinden zu lassen, das doch durch einige Merkmale und der zahlreichen Aufnahmen wegen, die die Presse von ihm seit gut zehn Jahren verbreitete, so besonders leicht erkennbar war. Lud er selten einmal einen der wenigen Freunde, deren Zahl er in den Jahren, die seinem Tod vorausgingen, drastisch verringert hatte, indem er die Bekanntschaften in einen Bereich fern der Freundschaft verbannte, der ihm erlaubte, sie zu vernachlässigen und den Kontakt auf einen Brief dann und wann oder einen Anruf zu beschränken, ins Restaurant ein, so steuerte er, kaum hatte er das Lokal betreten, auf die Gefahr hin, einen jener wenigen Freunde, mit denen er noch gern essen ging, beiseite zu rempeln, auf geradem Weg den Stuhl an, der ihm erlaubte, dem Publikum den Rücken zuzukehren und zugleich einem Spiegel zu entgehen, dann besann er sich und bot höflich den Stuhl oder die Bank an, die er verschmäht hatte. Er wandte dem Publikum den rätselhaften, in sich gekehrten Schimmer seines Schädels zu, den er sorgfältig jeden Morgen rasierte und auf dem mir manchmal, wenn er mir die Tür öffnete, Spuren getrockneten Blutes, die seiner Kontrolle entgangen waren, auffielen, zugleich mit der Frische seines Atems, in dem Moment, wenn er mich mit zwei winzig kleinen, sonoren Küssen rechts und links des Mundes begrüßte, was mich daran erinnerte, dass er die Aufmerksamkeit besaß, sich kurz vor der verabredeten Zeit nochmals die Zähne zu putzen. Paris hinderte ihn am Ausgehen, hier fühlte er sich zu bekannt. Ging er ins Kino, so richteten sich alle Blicke auf ihn. Manchmal sah ich ihn nachts von meinem Balkon in der Rue du Bac 203 aus vor das Haus treten, in schwarzer Lederjacke, mit Ketten und Metallringen in den Schulterklappen, und über die offene Galerie, die die verschiedenen Aufgänge der Rue du Bac 205 verbindet, zu der Tiefgarage gehen, von der aus er mit seinem Auto, das er unbeholfen steuerte, wie ein Kurzsichtiger verängstigt hinter der Windschutzscheibe klebend, Paris durchquerte, um zu einer Bar im 12. Arrondissement zu fahren, Le Keller, wo er seine Opfer aushob. Stéphane fand in einem Schrank in der Wohnung, die durch das handschriftliche Testament vor dem Eindringen der Familie bewahrt blieb, eine große Tasche voller Peitschen, Ledermasken, Gurte, Knebel und Handschellen. Diese Gerätschaften, von denen er nichts gewusst haben will, flößten ihm angeblich einen überraschenden Widerwillen ein, als seien auch sie nun tot, eiskalt. Auf Anraten von Muzils Bruder ließ er die Wohnung desinfizieren, bevor er sie in Besitz nahm, dank des Testaments, noch ohne zu wissen, dass die meisten Manuskripte vernichtet waren. Muzil liebte leidenschaftliche Saunaorgien. Die Angst, erkannt zu werden, hinderte ihn daran, die Pariser Saunen zu frequentieren. Wenn er jedoch zu seiner alljährlichen Tagung nach San Francisco reiste, stürzte er sich in den zahlreichen Saunen dieser Stadt ins Vergnügen, die heute wegen der Epidemie stillgelegt und zu Supermärkten und Parkhäusern umgewandelt sind. Die Homosexuellen San Franciscos lebten in diesen Einrichtungen die irrwitzigsten Fantasien aus, sie installierten an Stelle der Urinale alte Badewannen, in denen die Opfer ganze Nächte in der Erwartung verbrachten, besudelt zu werden, sie hievten schrottreife Trucks in die engen Räume und richteten darin ihre Folterkammern ein. Als Muzil im Herbst 1983 von der Tagung zurückkam, hustete er sich die Lungen aus dem Leib, ein trockener Husten griff ihn immer mehr an. Dennoch, zwischen zwei Anfällen, schwärmte er genüsslich von seinen jüngsten Eskapaden in den Saunen von San Francisco. Ich sagte an jenem Tag zu ihm: „Wegen Aids ist wohl kein Mensch mehr dort?“ – „Von wegen“, entgegnete er, „im Gegenteil, nie waren so viele Leute in den Saunen, es ist ganz fantastisch geworden. Diese schwebende Bedrohung hat ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit geschaffen, neue Zärtlichkeiten, eine neue Solidarität. Früher hat keiner ein Wort gesagt, jetzt reden wir miteinander. Jeder weiß sehr genau, wofür er dort ist.“
12
Sein Assistent, den ich am Tag seiner Beerdigung kennenlernte, wohin ich Stéphane begleitete, und den ich einige Tage darauf im Autobus wieder traf, machte mir verschiedene aufschlussreiche Mitteilungen. Man wusste noch nicht, ob Muzil sich der Art der Krankheit, die ihn umbrachte, bewusst war oder nicht. Sein Assistent versicherte mir, er sei sich jedenfalls der Unheilbarkeit dieser Krankheit bewusst gewesen. Im Lauf des Jahres ’83 nahm Muzil regelmäßig an den Sitzungen einer humanitären Organisation teil, in einer Hautklinik, deren Chefarzt jener Vereinigung angehörte, die Ärzte in die ganze Welt entsendet, je nachdem, wo sich politische oder elementare Katastrophen ereignen. In dieser Klinik wurden wegen der dermatologischen Symptome die ersten Aidsfälle behandelt, vor allem wegen des Kaposi-Sarkoms, das rote, eher bläulichrote Flecken verursacht, zunächst auf den Fußsohlen und an den Beinen, dann über den ganzen Körper bis hin zur Haut des Gesichts. Muzil hustete während dieser Versammlungen, bei denen es um die Lage in Polen nach dem Staatsstreich ging, wie ein Verrückter. Obwohl Stéphane und ich es ihm wiederholt dringend nahegelegt hatten, weigerte er sich beharrlich, einen Arzt aufzusuchen. Schließlich gab er dem Drängen des Chefarztes der Hautklinik nach, den dieser trockene, heftige, hartnäckige Husten beunruhigte. Muzil ging für einen Morgen zu Untersuchungen ins Krankenhaus, er berichtete mir, in welchem Maß, er habe es vergessen gehabt, der Körper alle Identität verliert, wenn er erst einmal in den Krankenhausbetrieb gerät, und nichts mehr von ihm bleibt als ein willenloser Fleischklumpen, der hin- und hergeschoben wird, gerade noch eine Karteinummer, ein Name, der durch die Verwaltungsmühle gedreht wird, es saugt ihm seine Geschichte und Würde aus. Man schob ihm einen Tubus durch den Mund, der seine Lungen erkunden sollte. Der Chefarzt der Hautklinik war nach diesen Untersuchungen bald in der Lage, auf die Art der Krankheit zu schließen, tat jedoch alles Nötige, um den Namen seines Patienten und Vereinskollegen zu schützen, kontrollierte den Umlauf der Krankenzettel und Untersuchungsergebnisse, die diesen berühmten Namen mit der neuen Krankheit verknüpften, fälschte und zensierte sie, damit das Geheimnis bis zum Schluss gewahrt blieb und er bis zu seinem Tod Ellenbogenfreiheit für seine Arbeit hatte, ohne die Behinderung durch ein Gerücht, auf das er würde reagieren müssen. Er beschloss, gegen das übliche Verfahren, nicht einmal Stéphane, Muzils Lebensgefährten, zu informieren, den er ein wenig kannte, um ihre Freundschaft nicht durch dieses Schreckgespenst zu beeinträchtigen. Hingegen informierte er Muzils Assistenten, damit dieser sich mehr als je dem Willen seines Meisters unterordnete und ihn bei seinen letzten philosophischen Projekten unterstützte. Der Assistent berichtete mir im Autobus, seine Unterredung mit dem Chefarzt der Hautklinik habe stattgefunden, kurz nachdem der Chefarzt und Vereinskollege Muzil das Untersuchungsergebnis mitgeteilt und erläutert hatte. Muzils Blick sei in jenem Augenblick, so hatte der Chefarzt der Hautklinik dem Assistenten erzählt, der es Monate später mir berichtete, unverwandter und schärfer gewesen denn je, mit einer Handbewegung habe er jede weitere Diskussion abgeschnitten: „Wie lange?“ habe er gefragt. Das war die einzige Frage, die ihn bewegte, um seiner Arbeit willen, er wollte sein Buch fertigstellen. Ob der Chefarzt ihm da die Natur seiner Krankheit enthüllte? Heute zweifle ich daran. Vielleicht ließ Muzil ihn nicht zu Wort kommen? Ein Jahr zuvor, während eines unserer Abendessen in seiner Küche, hatte ich ihn auf die Frage der Ehrlichkeit zwischen Arzt und Patient im Falle tödlicher Krankheiten gelenkt. Ich fürchtete, von einer nachlässig behandelten Hepatitis