Название | Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat |
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Автор произведения | Hervé Guibert |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783941360921 |
1
Ich hatte drei Monate lang Aids. Genauer, ich glaubte drei Monate lang, ich sei durch die tödlich verlaufende Krankheit verurteilt, die Aids genannt wird. Und in der Tat war es keine Einbildung, ich war wirklich erkrankt, ein Test mit positivem Ergebnis bestätigte es, ebenso Analysen, die bewiesen, dass mein Blut schon auf dem Weg des Verfalls war. Doch nach drei Monaten ließ mich ein unerhörter Glücksfall glauben, ja gab mir beinahe die Gewissheit, dass ich dieser Krankheit entkommen könnte, die alle Welt noch für unheilbar hielt. So, wie ich niemandem außer einigen Freunden, man kann sie an den Fingern einer Hand abzählen, anvertraut hatte, dass ich verurteilt war, so vertraute ich niemandem außer diesen wenigen Freunden an, dass ich davonkommen, dass ich, durch diesen unerhörten Glücksfall, weltweit einer der Ersten sein würde, die diese unerbittliche Krankheit überleben.
2
Heute, da ich dies Buch beginne, am 26. Dezember 1988, in Rom, wohin ich allein gefahren bin, gegen den Willen aller, auf der Flucht vor dieser Handvoll Freunde, die, um meine seelische Gesundheit besorgt, mich zurückzuhalten versuchten, am heutigen Feiertag, da alle Läden geschlossen haben und jeder Passant ein Ausländer ist, in Rom, wo mir endgültig klar wird, dass ich die Menschen nicht liebe, wo ich also, bereit zu allem, sie zu fliehen wie die Pest, nicht weiß, mit wem noch wohin ich essen gehen soll, mehrere Monate nach jenen drei Monaten, in denen ich mir nach bestem Wissen meiner Verurteilung sicher war, und nach den darauf folgenden Monaten, da ich dieses unerhörten Glücksfalls wegen glauben durfte, begnadigt zu sein, zwischen Zweifel und Hellsicht, mit der Mutlosigkeit wie auch mit der Hoffnung am Ende, weiß ich nicht, woran ich mich bei irgendeiner dieser entscheidenden Fragen oder bei dieser Alternative von Verurteilung und Begnadigung halten soll, weiß ich nicht, ob diese Rettung eine Falle ist, in die man mich wie in einen Hinterhalt gelockt hat, um mich zu beruhigen, oder wahrhaftig ein Science-Fiction-Abenteuer mit mir als einem der Helden, weiß ich nicht, ob es nicht lachhaft menschlich ist, an diese Gnade und an dies Wunder zu glauben. Ich ahne die Architektur dieses neuen Buchs, das ich all die vergangenen Wochen in mir zurückgehalten habe, aber seinen Verlauf von Anfang bis Ende kenne ich nicht, ich kann mir mehrere Möglichkeiten vorstellen, wie es ausgeht, die im Augenblick sämtlich schlimmen Vorahnungen oder einem Wunschdenken entspringen, doch der Zusammenhang seiner Wahrheit ist mir noch verborgen; ich sage mir, dass dies Buch seine Existenzberechtigung aus nichts anderem bezieht als aus jenem schmalen Rest von Ungewissheit, der allen Kranken der Welt gemeinsam ist.
3
Ich bin allein hier, und man bemitleidet mich, man ist um mich besorgt, man findet, ich schade mir, jene Freunde, die man, wie Eugénie meint, an den Fingern einer Hand abzählen kann, rufen mich regelmäßig voll Mitgefühl an, mich, der ich gerade entdeckt habe,