Die Zuschauer. Nathalie Azoulai

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Название Die Zuschauer
Автор произведения Nathalie Azoulai
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783966390217



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wem welche Hand gehört. Doch erfahrungsgemäß – wie oft hat er sie schon dorthin begleitet, sechs-, acht- oder zwölfmal? –, liegt das letzte Wort eher bei Maria, denn seine Mutter liebt es, für die Verkäuferinnen deutlich hörbar zu verkünden, dass die Fachfrau schließlich Maria sei, sie selbst, fügt sie hinzu, sei nur ihre Kundin. Doch die Verkäuferinnen schauen enttäuscht drein, wenn sie begreifen, dass die, die sie für eine Kostümbildnerin gehalten hatten, die Stars einkleidet, ihre Regale nur für diese Frau durcheinandergebracht hat, die diesen kleinen unglücklichen Jungen mit sich schleppt.

      Zumal diese Frau schwanger ist, als sie sich an einem Apriltag des Vorjahres in den Kopf setzt, denselben Blauton ausfindig zu machen, wie ihn das Negligé von Gene Tierney aufweist, in einem Film, den sie 1946 gesehen hat, betont sie beim Betreten des Ladens. Leave Her to Heaven. Sie steht oben an einem Treppenaufgang, der das gleiche Blau aufweist, erklärt sie, hell und kräftig zugleich, leicht perlmuttschimmernd, und will sich hinunterstürzen, um das Kind zu töten, das sie in sich trägt. Maria macht große Augen, während sie weiter auf die Titelseite der Photoplay starrt, mit der sie die Regalreihen abschreitet, als hielte sie einen Exerzier- oder Blindenstock in der Hand. Ohne die Stimme zu senken, ohne ihren eigenen runden Bauch zu verbergen, beschreibt seine Mutter Gene Tierneys Füße in den hochhackigen Pantoletten, ihre rot lackierten Nägel unter dem perlmuttblauen Satin der Kreuzriemchen, und darüber den wallenden Stoff, ein Ton in Ton bedruckter Musselin, ein herrlich schillerndes Blau, so blau wie die Tapete dahinter. Aber warum?, fragt Maria. Warum was? Warum das Kind töten, sagt Maria widerwillig. Weil sie verrückt ist, erwidert seine Mutter, Gene Tierney spielt nur geistig gestörte Frauen. Ach, dieses Blau, Maria, dieses schöne Blau … wiederholt sie. Wie es wohl heißt? Maria zögert, versucht, das Wort zu verdrängen, das ihr in den Sinn kommt, presst die Lippen zusammen, schafft es nicht und sagt dann, Bonbonblau. Ja, natürlich!, erwidert sie ausgelassen, Bonbonblau, ich wollte schon Babyblau sagen, aber Sie haben recht, Maria, für mein Kleid will ich Bonbonblau. Diese Kostümbildner aus Hollywood denken wirklich an alles, ein Bonbonblau, um sein Kind zu töten, alle Achtung!

      Auf einem der Tische entsteht ein kleiner Stoffhügel, dann ein Stapel, ein Berg, eine Fülle an Blau, wie er es noch nicht gesehen hat, tiefe Blautöne, die allmählich verblassen, sich aufhellen, zu Flusswasser werden; aber auch zartes Blau, das dunkler wird wie ein Himmel bei Einbruch der Nacht. Fast schon weiße Blautöne, verwaschen vom Neonlicht. Namenloses Blau. Sie kommen und gehen und geben stets neue Schichten hinzu, Durchsichtigkeiten, Spuren auf der rastlosen Suche nach Bonbonblau, das sich nicht einfangen lässt.

      Plötzlich wird eine Jagd daraus, die die beiden Frauen vergeblich führen. Er vergisst den Durst und die Müdigkeit, sieht einen Haufen toter Vögel vor sich, aufgeschichtetes Holz, eine Farbpalette, fragt sich, was passieren würde, wenn er ein Streichholz hineinwürfe, welche Farbe der Haufen beim Brennen annähme, ob die Flammen blauer wären als die eines anderen Feuers. Verschämt wendet er den Kopf ab, sieht zu den Verkäuferinnen, erkennt in ihrem Ärger leichte Belustigung, als Maria sich plötzlich entfernt und verschwindet.

      Allein vor dem Stapel wirkt seine Mutter unschlüssig. Er geht hin, schaut mit ihr zusammen, so, wie man sich über einen Teich beugt, und fragt sich, ob sie die vielen Blautöne nicht schließlich sogar leid geworden ist. Eine Verkäuferin fragt sie, wann das freudige Ereignis anstehe. Im September, antwortet sie, für den Sommer brauche ich kräftig leuchtende Kleider. Schauen Sie, wie wunderbar, sie zeigt ihr die Titelseite ihrer Zeitschrift: Gene Tierney präsentiert sich im Baumwollkleid, oben an den Schultern sind die Ärmel abgeschrägt. Man muss nur auf den Gürtel verzichten, erklärt sie mit Bedauern, weil für sie nichts über Gürtelkleider geht, vor allem dieses hier, schauen Sie sich dieses Detail an der Taille an, dieses herrliche Schmuckstück! Jetzt muss nur noch das richtige Blau gefunden werden … Bei diesen Worten – zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in der Kaufhausetage – streckt er den Arm aus und lässt seine Finger zu einem der aufgehäuften Stoffe wandern, Alpen-Vergissmeinnicht, kommentiert die Verkäuferin, eine Gebirgsblume. Der Blauton verändert sich, wenn man näherkommt. Was für ein Auge du hast!, auch wenn das Blau etwas dunkel ist, sagt seine Mutter. Er lächelt, froh, dass er in diesem Jagdwildhaufen eine Blume gepflückt, die Zartheit eines Blütenblatts auf dieses Schlachtfeld gebracht hat. Gar nicht mal so dunkel, Madame, stellt die Verkäuferin richtig, schauen Sie, ein changierendes Blau, aber da taucht Maria wieder auf. Die Verkäuferin lässt den Stoff sofort los. Wie auf der obersten Stufe einer Treppe steht Maria groß und fürstlich da; wie um das Geländer, das sie gleich loslassen wird, hat sie alle fünf Finger ihrer Rechten um ein neues Muster gekrampft, dann öffnet sie die Hand und lässt ein Stoffstück auf den Stapel fallen: Seladon, verkündet sie streng und gebieterisch, dieses Kleid bekommen Sie von mir nur in Seladongrün. Die Verkäuferin lächelt ihr zu. Seine Mutter zögert, wird unsicher, entgegnet, die Schauspielerin würde in diesem Film nie ein solches Grün tragen, das so … Eben, befindet Maria, Blau würde anzeigen, dass Sie einen Jungen erwarten, Rosa, dass es ein Mädchen wird. Bei Grün bleibt wenigstens alles offen.

      Er greift nach dem Stoff, lässt ihn sachte zu den Fingern seiner Mutter hinübergleiten, betet, dass sie Marias Wahl samt Scheinargumenten annehmen möge, lauert auf die ersten Bewegungen ihres Nackens, ein zaghaftes Nicken, wie eine Welle, die vage in der Ferne wogt, anschwillt, ohne zu brechen oder von selbst zu verebben, jeden Moment geschluckt werden kann vom gleichmäßigen Faltenwurf. Maureen O’Hara könnte so ein Grün tragen, aber nicht Gene Tierney, grummelt sie und dreht ihm plötzlich den Kopf zu: Hättest du eigentlich lieber eine kleine Schwester oder einen kleinen Bruder, hab’ ich dich das überhaupt schon gefragt? Er weiß es nicht, sagt jedoch, er ziehe das Seladongrün vor. Zum ersten Mal spricht er das Wort »Seladon« aus. Er gibt sich Mühe, sagt es langsam, damit sie schon im Wortklang eine Harmonie vernimmt, etwas Friedliches, wie eine Frau, die ihr Kind erwartet und ihm bestimmt nichts Böses will.

      Dann eben Grün, beschließt sie, aber die Amerikaner nennen das Eau de Nil.

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