Название | Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell |
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Автор произведения | Mark Hampton |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858826695 |
Aus dem Bisherigen gewinnt der reformierte Grundsatz aus dem 17. Jahrhundert an Bedeutung: «Ecclesia reformata semper reformanda»,23 zu deutsch: Die reformierte Kirche ist immer wieder zu reformieren. Wer sagt aber, was gilt? Nach welchen Kriterien soll die Kirche erneuert werden? Geht es darum, ein Trendsetter zu sein, mit der Zeit zu gehen und sich den neusten Aktualitäten anzupassen? Der reformierte Grundsatz verfolgt eine andere Absicht: «Die reformierte Kirche ist immer wieder zu reformieren nach Gottes Wort [...] Im Hören darauf ist die Kirche nicht auf irgendeine Vergangenheit festgenagelt, sondern lebt sie mit Gott und unter seinem Beistand in der jeweiligen Gegenwart.»24
Wir sind Kinder unserer Zeit und geprägt vom Zeitgeist. Dies ist gut so. Um in der Gegenwart als Kirche etwas sagen zu können, ist eine gesunde evangelische Spiritualität unabdingbar. Die Reformierten bleiben auf diese Weise eine Such- und Lerngemeinschaft, welche sich der Vorläufigkeit menschlicher Erkenntnis und menschlichen Handelns bewusst ist. Sie hat sich auf die Aufklärung eingelassen und bemüht sich entsprechend um die Befreiung der Vernunft von kirchlicher, staatlicher oder ideologischer Bevormundung. Und merkt selber, wie erleichternd die Einsicht ist, dass «alle Erkenntnis Stückwerk ist»25 – Erkenntnis der Vernunft sowie Erkenntnis des Glaubens.
Eine veränderte Kirchenlandschaft
Die Evangelisch-reformierte Landeskirche beider Appenzell beschäftigte sich in den letzten Jahren vor allem mit der Erneuerung ihrer organisatorischen Strukturen, und zwar zu einer Zeit, in der die Glaubenslandschaft der Schweiz grosse Veränderungen durchlebte.26
Zwei allgemeine Beobachtungen verdeutlichen die gegenwärtige gesellschaftliche Situation: Zunächst bilden die Landeskirchen zwar zahlenmässig noch eine klare Mehrheit, aber sie haben die Deutungshoheit über Glaubensinhalte und Lebensführung in der breiten Gesellschaft verloren. An ihrer Stelle sind Auswahl- und Patchwork-Glauben getreten. Religion scheint zu einem Markt geworden zu sein, in dem das Gesetz von Angebot und Nachfrage die Verbindlichkeit in Glaubenssachen verdrängt hat. Zweitens ist eine ernst zu nehmende Sehnsucht nach Halt und Orientierung erkennbar. Spiritualität boomt in einer Welt, die trotz wissenschaftlichem Fortschritt die Antwort auf die letzten Fragen nach dem Woher, Wozu und Wohin unserer Existenz schuldig geblieben ist. «Aufklärung und Säkularisierung, das spüren wir, sind längst an ihre Grenzen gestossen.»27
Diese gesellschaftliche Entwicklung hat auch Folgen für die reformierte Kirche. «Wie immer sich die reformierten Kirchen auch verhalten: Sie werden in den nächsten Jahrzehnten kleiner und ärmer, und das Durchschnittsalter der Mitglieder wird steigen»,28 so die Prognose des Religionssoziologen Jörg Stolz. Zusammen mit seiner Kollegin Edmée Ballif hat Professor Stolz von der Universität Lausanne eine Studie im Auftrag des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) veröffentlicht, in der die Situation der reformierten Kirche in der Schweiz genauer untersucht wurde. Ihr Fazit: Wenn die bisherige Entwicklung sich fortsetzt, wird die reformierte Kirche bis im Jahr 2050 nur noch 20 Prozent der Bevölkerung in sich vereinigen. «Wahrscheinlicher sind allerdings noch wesentlich grössere Mitgliederverluste. Die Finanzkraft der reformierten Kirchen wird mindestens proportional zum Mitgliederverlust abnehmen.»29 Diese Aussichten werden mit gesellschaftlichen Megatrends begründet, denen sich die Kirchen nicht entziehen können. Die Megatrends wie z. B. Individualisierung, Wertewandel oder religiöse Pluralisierung sind nicht aufzuhalten, sondern sind als Rahmenbedingungen strategischen Handelns zu verstehen.30 In diesem Zusammenhang sind die Entwicklungen innerhalb der Evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell der letzten Jahrzehnte zu bedenken.
Mitglieder und Kasualien
Das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlichte anhand der letzten grossen Volkszählungen aus den Jahren 1980, 1990 und 2000 folgende Zahlen zum Thema Wohnbevölkerung nach Religion:31
1980 | 1990 | 2000 | |
Total in Tausend | 6366.0 | 6873.7 | 7288.0 |
Protestantisch | 2865.7 | 2798.0 | 2569.1 |
Römisch-katholisch | 3030.1 | 3172.3 | 3047.9 |
Christ-katholisch | 16.6 | 11.7 | 13.3 |
Christlich-orthodox | 37.2 | 71.5 | 131.9 |
Andere christliche Gemeinschaften | 18.9 | 8.3 | 14.4 |
Jüdische Gemeinschaften | 18.3 | 17.6 | 17.9 |
Islamische Gemeinschaften | 56.6 | 152.2 | 310.8 |
Andere Kirchen und Religionsgemeinschaften | 11.8 | 29.2 | 57.1 |
Keine Zugehörigkeit | 241.6 | 510.9 | 809.8 |
Ohne Angaben | 69.1 | 101.9 | 315.8 |
Am 19. Juni 2012 hat das Bundesamt für Statistik mit der Medienmitteilung «Ein Fünftel der Bewohnerinnen und Bewohner ist konfessionslos» für Aufsehen gesorgt.32 Landesweit sind nach wie vor die römisch-katholischen sowie die evangelisch-reformierten Landeskirchen trotz leichtem Mitgliederrückgang am stärksten vertreten.33 Mit einer Zunahme von 8,9 Prozentpunkten hat sich der Anteil der Konfessionslosen seit der Volkszählung 2000 aber fast verdoppelt. Die aktuellen Zahlen ergeben folgendes Bild:34
Im regionalen Vergleich gibt es jedoch grössere Unterschiede. Im Appenzellerland liegt die Zugehörigkeit zu einer Landeskirche über dem nationalen Durchschnitt. In Ausserrhoden sind die Reformierten traditionsgemäss stärker vertreten als in Innerrhoden:
Seit der Landesteilung im Jahr 1597 verfügt die römisch-katholische Kirche in Innerrhoden über eine deutliche Mehrheit, welche auch 2010 noch erkennbar ist:
Im Jahresbericht der Evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell wird jeweils die aktuelle Entwicklung statistisch erfasst. Daraus können Mitgliederzahlen und die in Anspruch genommenen Kasualien wie Taufen, Trauungen oder Abdankungen der jüngeren Vergangenheit abgeleitet werden. Obwohl die Reformierten in Ausserrhoden zahlenmässig über dem nationalen Durchschnitt liegen, konnten sie sich dem nationalen Trend nicht entziehen, denn auch ihre Mitgliederzahlen waren in den letzten 20 Jahren rückläufig. Zwar gibt es lokale Unterschiede, doch haben alle Kirchgemeinden unter dem Strich Mitglieder verloren. Nur die Kirchgemeinde Appenzell, die einzige reformierte Kirchgemeinde in Innerrhoden, bildet eine Ausnahme. Das Verhältnis zwischen Aus- und Eintritten liefert nur zum Teil eine Erklärung für diese Entwicklung: Rund 45 Prozent des Rückganges sind auf Austritte