Almas Rom. Patrizia Parolini

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Название Almas Rom
Автор произведения Patrizia Parolini
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783858302410



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da ist. Die meisten sprechen Amerikanisch. Ich verstehe nun ein paar Brocken dieser Sprache. Zum Glück arbeiten auch Italiener hier. Ich bin froh, dass ich erneut Arbeit gefunden habe. Auch mein Sohn hat einen Job – so sagen sie hier –, er arbeitet bei einem Zimmermann. Die Arbeit ist hart, er balanciert auf den Dächern der Hotels herum, die hier zuhauf neu gebaut werden. Das macht mir Angst. Ich bin froh, wenn er abends heil zurückkommt. Ich denke manchmal an Bernardo, aber die Ferne und die viele Arbeit helfen mir, den Schmerz und das Heimweh zu vergessen.»

      Alma schaute auf. «Wieso ging sie weg?»

      «Embeh, was sollte sie als Witwe im Puschlav? Sie ist mit der Schwester von Bernardo und anderen Puschlavern ausgewandert, sie hoffte, als alleinstehende Frau im fernen Amerika ein Auskommen zu finden.»

      «Hmm», brummte Alma und fuhr fort: «Hier ist es schön. Die Einheimischen nennen die Landschaft die Katzenberge. Es ist hügelig, grün und das Klima mild. Ich denke viel an euch und die schönen Momente, als wir uns in Rom gesehen haben. Damals war Attilio geboren. Wie geht es ihm und Alma und dem armen Romeo? Berichtet mir von den Kindern. Schreibt mir, wie es euch geht. Laufen die Geschäfte gut? Seid alle herzlichst gegrüsst und geküsst, eure Mariella.»

      Alma beugte sich zum Sekretär hinüber und suchte nach Briefpapier. Sie wollte zia Mariella sofort antworten. Sie schrieb Zeile um Zeile und berichtete von der Krankheit des Vaters und der Angst um ihn, der geplanten Rückkehr und den damit verbundenen Hoffnungen. Sie schrieb von der aria genuina – der reinen Luft der Berge – dem Argument, das den Ausschlag für die Rückkehr gegeben habe, trotz der Aussicht auf eine Wohnung in San Saba. Von Attilios Begeisterung und Vorfreude auf das Puschlav, von der sich alle Geschwister hätten anstecken lassen, den Vorbereitungen für den Umzug und von Romeo, der sich das Handgelenk verstaucht habe, als er auf einen Kistenstapel habe klettern wollen und dabei zu Boden gestürzt sei. Den Gang zum Notar liess Alma aus. Dann erzählte sie nochmals von Attilio, der die Prüfung für das Gymnasium mit Bravour bestanden habe und nun den neuen Katechismus von Papst Pius X. auswendig büffle, um vor der Abreise noch am Religionswettbewerb aller katholischen Schüler in Rom teilzunehmen. Von seiner ersten Kommunion mit der Audienz beim Papst, auf die er stolz sei wie ein Pfau und um die ihn alle anderen beneideten. Sie berichtete auch von Giacomos Tränen jeden Morgen vor Schulbeginn und von Pietros erstem Kindergartentag, seinem Eifer und seinen Flausen. Sie beschrieb den toboggan, es sei das Lustigste gewesen, das sie an der Universalausstellung gesehen hätten. Aus Gehorsam verschwieg sie ihren eigenen Widerwillen gegen die Rückkehr ins Puschlav. Aber als sie den Brief nochmals durchlas, spürte sie ihre Wut. Sie hätte die Wörter aria genuina am liebsten dick durchgestrichen. Aria genuina! Was konnte der Arzt davon wissen!

      XXVI

      Folco schämte sich. Pietro und Attilio hänselten ihn, weil er aussah wie ein kleines Mädchen.

      «Das war mein schönstes Festtagskleid!», meinte Alma aufmunternd.

      «Dieses schneeweisse Röcklein mit dem Spitzenkragen habt ihr alle einmal angehabt!», erklärte Mutter.

      Doch Folco interessierte das nicht. Fast wäre er nicht mitgegangen, wenn Nazzarena sich nicht mit rührender Fürsorge um ihn gekümmert hätte. Nun ging er an ihrer Hand, schmollend zwar, aber er ging mit. Alma half Vater, die Tramway zu besteigen, und Mutter schaute, dass alle da waren. Die Buben trugen modische, wadenlange Karottenhosen, Stiefeletten und eine liliengrosse weisse Masche um den Jackenkragen. Mutter ganz in Schwarz und mit Hut, Vater in seinem schlottrigen Sonntagsanzug. Irene war stolz auf den neuen hellblauen Faltenrock mit den zierlich bestickten Bändern. Alma trug ihr rot-schwarz kariertes Sonntagskleid. Sie fuhren Richtung Bahnhof.

      Im Fotogeschäft hingen Filmplakate, Landschaftsbilder und Porträts an den Wänden. Auf den Regalen waren Objektive, Glasplatten, Feldstecher und Lupen ausgestellt. Frau Cané führte sie durch einen langen Gang in den Innenhof, der mit Gerümpel überstellt war, betrat das Fotostudio, zog die schweren schwarzen Vorhänge und schloss einen Teil der Dachstoren. Dann platzierte sie Stellwände, falsche Säulen und Steinblöcke und wollte wissen, ob sie auch Einzelaufnahmen wünschten. Vater schüttelte den Kopf und setzte sich auf einen Stuhl. Attilio und Pietro waren zum Stativ mit dem viereckigen Kasten gerannt, nun drohte das Gestänge aus dem Gleichgewicht zu geraten.

      «Piantatela – hört auf! Mannaggia!» Vater fuhr hoch.

      Alma zuckte zusammen, Pietro schaute verwundert, und Attilio floh in die andere Ecke. Nazzarena packte das schwankende Ding geistesgegenwärtig und verhinderte, dass es zu Boden fiel.

      Just in dem Moment trat Herr Cané ein. Er warf einen misstrauischen Blick auf Nazzarena, einen mitleidigen auf Romeo und hantierte dann am riesigen Fotoapparat herum. Frau Cané arrangierte die Familienmitglieder. Mutter vorne in der Mitte, sitzend.

      «Sie haben Recht, jetzt ein schönes Familienfoto zu machen! Man muss die Sprösslinge festhalten, bevor sie anfangen, ihre eigenen Wege zu gehen. Das Foto wird Ihnen bestimmt viel Freude bereiten.»

      Was die da redet, dachte Alma und presste die Lippen zusammen. Und das ohne Unterbruch, während ihr Mann immer noch schwieg. Frau Cané richtete Annas Silberkette und drückte ihr ein Ledertäschchen in die Hand. Romeo musste auf einen Sockel neben Alma steigen, da die Geschwister in der Reihenfolge ihres Alters nebeneinander stehen sollten. Der Sockel wurde von Mutters fülligem Körper verdeckt. Die Frau des Fotografen drapierte Irenes hellblauen Rock über den falschen Steinblock, auf dem sie sass, drückte ihr ebenfalls eine winzige Handtasche in die Hand und legte einen Strauss weisser Blumen in ihren Schoss. Alma beobachtete ihre kleine Schwester, die unentwegt und ernst in die Kamera schaute. In ihrem langen, dunkelblonden Haar war eine weisse Masche befestigt. Attilio stand unruhig neben Irene, bis Herr Cané verärgert hinter seinem Gestell hervorschoss, Attilios Hände packte und ihm befahl, sie ineinander zu verschränken und endlich ruhig zu stehen, ansonsten das Foto nicht gelingen würde.

      Attilio seufzte und Vater hinter ihm auch. Cristoforo griff in den Stoff von Attilios Jacke, um ihn zur Ruhe zu zwingen. Mit der anderen Hand wischte er sich über die Stirn, holte tief Luft und versuchte, die Krawatte zu lockern. Dem staunenden Folco drückte Frau Cané ebenfalls einige weisse Blumen in die Hand und stellte ihn vor die Mutter. Pietro musste Giacomos Hand halten, in die andere bekam er einen Holzstab gedrückt, als wäre er ein Orchesterdirigent. Alma hinter ihm legte sich die überlange silberne Kette um den Hals und tastete nach ihrer Frisur. Sie hatte die Haare, ganz wie es Mode war, zu einem Knoten auf dem Scheitel hochgesteckt.

      «Nicht so fest, du tust mir weh!» Pietro bewegte sich heftig.

      «Macché!» Alma löste die Finger von seiner Schulter.

      Sie erschraken über Herrn Canés tiefe Stimme, die ihnen befahl, nicht zu lachen und sich nicht zu bewegen. Dann schaute er lange in seinen Apparat.

      Folco drehte den Kopf zur Mutter.

      «Schau nach vorne», wisperte Nazzarena, die wortlos auf einem Stuhl neben der Eingangstür sass und zuschaute.

      Nochmals schaute Herr Cané hinter der Fotokamera hervor. Vater solle mit der Hand die Knopfleiste seiner Jacke fest umfassen. Dann endlich: Klick.

      Vater setzte sich. Nazzarena öffnete die Tür. Frische Luft strömte herein. Frau Cané lobte sie überschwänglich. Das Foto würde sicherlich wunderschön sein. Wie sie das jetzt schon wissen könne, hörte Alma Attilio Irene zuflüstern. Diese zuckte die Schultern. Zurück im Laden zückte Vater den Geldbeutel.

      Familienfoto im Studio Fotografico Cané in Rom, ca. 1911

      Hintere Reihe (v.l.) : Alma, Romeo, Cristoforo, Attilio

      Vordere Reihe (v.l.): Pietro, Giacomo, Folco, Anna, Irene.

      Rückseite.

      «Mannaggia, schaut mal», rief Alma und zeigte auf eine Fotografie an der Wand.

      «Via Merulana e San Giovanni,