Название | Almas Rom |
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Автор произведения | Patrizia Parolini |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858302410 |
Und dann die Strafen! Bei jedem Flüstern eine Kopfnuss, bei jedem gekrümmten Rücken, auch wenn er vom langen Sitzen schmerzte, für den Rest der Stunde vor die Klasse stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und abends den verpassten Schulstoff zu Hause nachholen! Unangenehm, dennoch, mit Ausnahme der zum Gähnen langweiligen Näh- und Sticklektionen, hatte Alma den Unterricht sehr gemocht. Allem voran ihre Lieblingsfächer Geografie und französische Konversation. Aber auch Italienisch, Religion und Moral, Arithmetik und Kalligrafie. Am allerliebsten hatte sie in der kleinen, institutseigenen Schulbibliothek nach Liebesgeschichten gestöbert, die es allerdings fast nur auf Französisch gab, und nach Reiseberichten und Büchern über fremde Länder.
Mutter, Irene und Pietro verschwanden um die Ecke. Die Schulkinder würden erst am Nachmittag wieder zu Hause eintreffen, Mutter würde dann in den Laden eilen, und Alma müsste, wenn man sie dort nicht mehr brauchte, bei den Hausaufgaben helfen und danach mit den Geschwistern nach draussen spielen gehen.
Alma trat wieder in den Laden, froh, vorerst ihre Ruhe zu haben. Im Vergleich zu den anderen war der daheimgebliebene Folco, wenn er allein war, ein Engel, und Romeo, der von der Backstube heraus «Tizio matto, mizio matto – Tiziano, du Spinner» in Richtung Kasse rief, um seinen Vetter zu ärgern, harmlos. Tiziano spielte den Beleidigten, und Romeo und Alma lachten. Dann kehrte sie hinter die Ladentheke zurück.
XIX
«Ich mag nicht mehr!», maulte Pietro und liess sich zu Boden fallen.
Irene, die seine Hand hielt, riss er mit, und sie hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. «Aò, was soll das?»
Es war Abend, und sie kamen von der Piazza Santa Maria Maggiore zurück. Dort hatten die Devotionalienhändler ihre Madonnen- und Heiligenbildchen, die Kruzifixe und Rosenkränze, die sie Pilgern und Reisenden feilboten, zusammengepackt, und die Bildertrödler ihre Landschaftsaquarelle und Kupferstiche auf ihren Karren verstaut. Geblieben waren die Schuhputzer mit ihren Holzkästen und die ciociari hinter ihren lottrigen Röstöfen.
Alma mochte den rauchigen Duft der caldarroste, der in der Luft hing.
«Ich hab Hunger, und es ist noch so weit!», schimpfte Pietro, und auch Folco begann zu jammern: «Ich mag auch nicht mehr, trag mich! Bitte!»
«Aò! Spinnt ihr? Steh sofort auf, Pietro!», befahl Alma bestimmt. «Die wenigen Meter! Gerade noch seid ihr herumgerannt wie eine Fussballmannschaft! Forza – los, hopp!»
«Mannaggia, komm jetzt!», ahmte Irene Alma nach und zog Pietro am Arm hoch.
Dieser setzte eine wehleidige Miene auf und verfiel in einen marionettenhaften Gang.
Alma hob genervt die Augenbrauen. Sie steuerte auf das Schaufenster des Kleidergeschäfts gegenüber der Basilika zu, die Kleinen schauten sich nach den Kutschen um und traten mit den Schuhen gegen die Pferdeäpfel, die auf der Strasse zurückgeblieben waren. Der tabaccaio stand im Türrahmen seines Tabakladens, umringt von Zigaretten rauchenden Herren. Aus dem Coiffeursalon daneben kam eine Dame, umhüllt von einer Wolke würzigen Parfums. Arbeiter in durchgeschwitzten Hemden kletterten aus einem Strassengraben, wo sie Rohre verlegt hatten, einige Arbeiterinnen in abgetragenen Arbeitsröcken stiegen von einem hölzernen Gerüst, und Fabrikarbeiter mit Stoffbündeln über den Schultern überquerten schweren Schrittes die Piazza. Mit diesen staubbedeckten, hungrigen Heimkehrern machten die Schuhputzer und die ciociari einen nicht unbedeutenden Teil ihres Tagesgeschäfts.
Eine Tramway fuhr ächzend an ihnen vorbei, als Pietro plötzlich schrie: «Ein Automobil, ein Automobil! Schaut! Da kommt es!»
Auf einen Schlag war die Müdigkeit der Kleinen verflogen. Aufgeregt und mit leuchtenden Augen zeigten sie auf das schwarz glänzende Fahrzeug mit den Luftreifenrädern, den Laternenscheinwerfern und der Fahrerkabine mit dem Steuerrad. Es fuhr mit lärmigem Knattern die Via Giovanni Lanza hinauf, die von der Via Cavour zum Largo Brancaccio führte. Das Automobil hielt, der Fahrer stieg aus, öffnete die hintere Türe und half dem alten principe aus dem Fond. Der stützte sich mit der behandschuhten Hand auf einen Spazierstock, machte einen unsicheren Schritt auf das Trittbrett, einen weiteren auf den Boden.
Pietro und Folco starrten gebannt zu ihm. Giacomo klammerte sich an Almas Rock. Alma konnte sich noch an Missis Field erinnern, die Ehefrau des principe, die vor wenigen Jahren gestorben war. Sie hatte sie regelmässig in das Automobil steigen und wegfahren sehen. Man hatte erzählt, dass sie sich zum Corso und in die Via del Tritone fahren liess. Dort, beim angesagtesten Schneider der Stadt, habe sie ihre Garderobe anfertigen lassen, und nur in den teuersten Läden habe sie ihren extravaganten Schmuck eingekauft. Nicht nur der kurze Treppenaufgang zum säulenumrahmten Hauptportal des Palazzo Brancaccio war ihre Bühne gewesen. Regelmässig hatte sie in den angeblich prächtigen Sälen des Palazzo grandiose Empfänge gegeben. Dann waren die Damen und Herren der Aristokratie in Heerscharen in die Via Merulana geströmt. Missis Field kam aus Amerika, was sie jedem erzählte, der ihr begegnete, und ihr überschwängliches «Hellou» hatte selbst dann noch durch die Strasse geklungen, als ihre Kräfte mit dem Fortgang ihrer Krankheit sichtbar und rasch nachgelassen hatten.
Der principe verschwand in der Eingangshalle, die Bediensteten entluden das Fahrzeug.
«Wisst ihr, dass die Frau des Prinzen aus Amerika kam? Aus New York?» Alma hatte den Globus im salottino studiert und darauf die Geburtsstadt der principessa gefunden.
«Ah!», staunte Folco.
«Ja klar, weiss ich das! Aber wo ist Amerika?», wollte Pietro wissen.
«Das ist auf der anderen Seite des Ozeans», erklärte Giacomo.
«Ja, richtig, Giacomo. Und man kommt nur mit dem Schiff dorthin und ist mindestens drei Wochen unterwegs», fügte Alma bei.
«Mit einem grossen Schiff?», fragte Folco mit glänzenden Augen. «So gross wie dieses Haus?»
«Ja, mindestens!»
«Dorthin möchte ich gehen!», erklärte Pietro bestimmt.
«Aber die Leute sprechen Englisch dort, da wirst du nichts verstehen, gar nichts!»
«Dann lerne ich eben Englisch! Na also, wenn ich gross bin, fahre ich nach Nujork!», rief er laut und hob die Arme gegen den Himmel, um zu zeigen, wie gross er sein würde, wenn er nach Amerika reiste.
«Ich will auch mit dem Schiff fahren, ich bin dann der Kapitän!», ereiferte sich Folco.
«Toll!», fand Irene spöttisch, und Alma zerzauste dem jüngsten Bruder den dunkelblonden Haarschopf.
Giacomo meinte trocken, er würde bleiben, damit Mutter nicht allein wäre, wenn alle weggingen. Pietro rüttelte an den Stäben des schmiedeeisernen Tors zwischen dem Palazzo und dem monte, der Lehmaufschüttung entlang der Via Mecenate, hinter dem sich die ausgedehnte Gartenanlage erstreckte. Am Zaun rankte Jasmin. Die weissen Blüten verströmten einen aufdringlich süssen Duft. Fiori d’angelo – Engelsblumen. Auf dem monte wuchsen buschige Silberpappeln, dahinter schossen säulenförmige, schwarzgrüne Zypressen und hohe pini marittimi – Meerkiefern – mit ihren eiförmigen Nadelwolken in die Höhe. Von aussen konnte man vor lauter Grün nichts erkennen.
«Seid einmal still, und spitzt die Ohren!»
Die Kleinen drückten die Ohren zwischen die Eisenstäbe.
«Hört ihr das Plätschern des Wassers?»
«Jaa!»
«Da drinnen ist ein Springbrunnen.»
«Warum können wir nicht hineingehen?», fragte Folco.
«Ja, und auch ein Jagdhaus. Das weiss ich schon lang. Das habe ich vom Dach unseres Hauses aus gesehen!», brummte Pietro und rannte davon zum Eingang der