Название | Der Pascha aus Urnäsch |
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Автор произведения | Abdullah Dur |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858302588 |
Die Mutter wunderte sich: «Maria, woher weisst du das alles bloss? Von mir kannst du es ja nicht haben, denn ich höre es von dir zum ersten Mal.»
«Vom Grossvater, von der Grossmutter, von den alten Leuten, von allen möglichen Leuten hab ich das halt.»
«Alle diese Leute kenne ich ja nicht einmal! Warum erfahre ich solche Sachen nicht?»
«Was weiss denn ich? Vielleicht fragst du nicht danach. Aber ich will alles wissen, und Gott hilft mir dabei.»
Pfarrer Johannes meinte: «Gott hat dem Kind die Energie fürs Laufen ins Hirn gegeben. Das Mädchen sieht und spürt vielleicht viele Dinge, die wir gar nicht bemerken. Warum hat Gott nicht dich oder mich, sondern sie krank werden lassen? Darüber müssen wir nachdenken. Sie ist eindeutig etwas Besonderes. Und damit ist die Antwort auf unsere Frage auch einfach: Gott liebt dieses Kind ganz besonders. Gott hat sie auserwählt und sie vielleicht für eine heilige Aufgabe erschaffen.»
Diese Worte des Pfarrers machten Maria in den Augen ihrer Eltern zu einem noch wertvolleren Geschöpf.
Rösli und Ueli
Ueli Kurt kannte Rösli, solange er denken konnte, denn sie war die Tochter seines Onkels Karl und im selben Haus geboren. Im Parterre des zweigeschossigen Hauses der Kurts lebten die Grosseltern und Uelis Familie mit ihren sechs Kindern, im Obergeschoss die Familie von Onkel Karl mit acht Kindern. Ueli und Rösli waren wie Geschwister. Gemeinsam lauschten sie in den Wintermonaten stundenlang den Geschichten des Grossvaters, sie zogen sich an den Haaren und rauften sich, sie teilten in ihrem jungen Leben gute wie schlechte Zeiten.
Ueli hatte sein sechzehntes Lebensjahr noch nicht vollendet, da eröffnete ihm eines Tages der Vater: «Diesen Sommer wirst du Rösli heiraten. Ich habe das mit Karl so beschlossen. Rösli ist ein sehr fleissiges Mädchen, da wollen wir, dass sie in der Familie bleibt. Und ihr beide passt gut zusammen. Dass mein Bruder Karl und ich ein- und derselben Meinung sind, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass es mit Gottes Segen so sein soll. Das Haus am Geissenpfad wollen wir bis in einem Jahr fertig haben. Den Innenausbau machst du zusammen mit deinem Grossvater. Wir haben genug Holz dafür gelagert. Nimm die Masse für die Fensterrahmen und fang gleich mit den Vorbereitungen an. Wir gehen bald nach Herisau und besorgen Glasscheiben und Fensterkitt. Natürlich nur, wenn das Geld reicht – wenn wir dieses Jahr die Schafe und Geissen auf der Alp gut füttern, oder besser gesagt, wenn ihr sie gut füttert, denn diesmal gehst du mit Rösli auf die Alp. Deine Mutter kommt später nach und hilft euch, den Käse zu machen. Ich bringe euch dieses Jahr nur mit dem Vieh hinauf und muss gleich wieder hinunter, denn in Jakobsbad wird ein riesiges Kloster gebaut. Das ist für mich eine einmalige Gelegenheit. Der Polier Tobler hat gesagt, die Arbeiten dauern mindestens drei Monate, vielleicht sogar mehr. Im Moment hat ja keiner Geld, aber andernorts geht es den Menschen besser. Vielleicht findest du dort für dich eine Arbeit. Wenn ich dich benachrichtige, kommst du sofort herunter. Und dass du mir auf der Alp nur keine ruhige Kugel schiebst! Du erledigst dort alles, was an Holzarbeiten anfällt. Geh übers Dach und tausch die morschen Bretter aus. Es gibt dort viele Bauern, die einen Zimmermann brauchen können. Wenn du länger als einen halben Tag für sie arbeitest, lass dich dafür bezahlen! Sag, dass du frisch verheiratet bist und das Geld dringend brauchst. Sag ihnen, dass du nicht wie dein Grossvater für Gotteslohn oder auf Anschreiben arbeiten kannst. Wer kein Geld hat, von dem kannst du Käse, Wolle oder Holz verlangen. Aber lasst das Vieh nie aus den Augen! Da oben kann das Wetter von einem Moment zum anderen umschlagen. Wenn alles im Nebel liegt, kannst du nichts sehen und findest die Tiere nicht mehr. Das ist eine willkommene Gelegenheit für Diebe und Wölfe. Ihr müsst ständig Augen und Ohren aufsperren. Du kannst die Schafe nicht selbst scheren, du verdirbst die Wolle. Das soll Joseph Glockner machen. Grüss ihn von mir, dann macht er es. Er hat eine gute Schere und kennt sich damit aus. Die Schurwolle müsst ihr gut waschen und trocknen. Dann soll Rösli sie kämmen, bis Gras und Dreck draussen sind. Schafwolle ist jetzt sehr teuer. In St. Gallen haben sie anscheinend Werkstätten aufgemacht, sie weben Stoff aus der Wolle und nähen alle möglichen Kleider daraus. Der Polier Tobler hat berichtet, dass in den Werkstätten zwanzig, dreissig Leute arbeiten. Den fertigen Stoff verschicken sie bis nach England. Er hat sogar gesagt, dass sie bald noch mehr Weber brauchen werden. Wer weiss, vielleicht findest du mit deinen Geschwistern später dort Arbeit. Die Familie Kurt wird immer grösser, und das Land reicht nicht für alle. Wenn ihr später noch Kinder bekommt, könnt ihr sie nicht ernähren. Auch wenn man ein Handwerk beherrscht, hilft einem das nicht weiter. Ich bekomme oft keinen Lohn für meine Arbeit. Immer, wenn es ans Zahlen geht, sagen die Leute: Ich geb es dir später. Aber die Leute haben weder jetzt noch später Geld. Vielleicht ist es sogar besser, wenn du dich eine Zeitlang nur mit dem Vieh beschäftigst. Ihr wohnt jetzt erst noch einige Zeit bei uns, dann zieht ihr in das Haus am Geissenpfad.»
Ueli war die endlosen Ratschläge seines Vaters schon gewöhnt. Schweigend hörte er der Litanei zu, mit der der Vater der Reihe nach ein Thema nach dem anderen herunterbetete, und nickte leicht mit dem Kopf, so als wäre er mit allem einverstanden.
Dabei war ihm danach zumute, herauszuschreien: «Nein, ich will nicht heiraten, ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht! Rösli ist für mich wie eine Schwester. Wir haben das Bett geteilt, haben Milch aus derselben Schale getrunken, wurden in demselben Korb auf die Schwägalp getragen. Und ich will mich auch nicht mit Viehzucht beschäftigen! Ich liebe die Arbeit mit Holz! Das ist es, was ich machen will!» Doch er schwieg, wohl wissend, dass es ihm nicht zustand, sich gegen den Vater aufzulehnen. Den Vater brachte es schon aus dem Häuschen, wenn man nur eine kleine Anmerkung machte. In solchen Momenten scheute Ueli sich sogar, ihm nur ins Gesicht zu sehen.
Der Grossvater pflegte zu sagen: «Wenn du jemanden gegenüber hast, der dich nicht verstehen will, dann schweig und bleib ruhig. Das ist die beste Antwort. Manchmal kann man sich mit Schweigen besser ausdrücken als mit vielen Worten.»
Sepp Kurt, der Vater, war ein sehr harter Mensch. Von Kindesbeinen an hatte Ueli gelernt, dass man ihm ständig zustimmen musste: «Ja, das stimmt, genauso ist es.» Das Wort des Vaters war Gesetz. Was andere dachten, zählte nicht. Kinder wurden in die Welt gesetzt, um nach dem Willen des Vaters zu leben.
Nach diesem Gespräch mit dem Vater liess Ueli den Kopf hängen. Er wurde rot im Gesicht und wich den Blicken der anderen aus. Morgens stand er zeitig auf, um mit seinem kleinen Bruder den Viehbestand der gesamten Familie Kurt, zehn Ziegen und fünf Schafe, die Berghänge hinaufzutreiben. Rösli musste auch in die Heiratspläne eingeweiht worden sein, denn sie sah ihn nicht an. Manchmal dachte er darüber nach, ganz weit wegzulaufen. Doch er war noch nie weiter als bis nach Appenzell gekommen, und dort war es sehr schwer, Arbeit und Obdach zu finden. Von seinem Grossvater hatte Ueli viel über die Zimmerei und das Schreinerhandwerk gelernt, aber es gab noch viel mehr zu lernen. Der Grossvater beschäftigte sich tagelang mit den feinen Verzierungen an seinen Schränken. Seine Schnitzereien stellten die Viehzucht, den dörflichen Alltag und die Natur mit ihrer Vielfalt an Blumen, Kräutern und Bäumen dar. Jedermann betrachtete diese Bilder voller Bewunderung und Anerkennung, nur der Vater nörgelte: «In der Zeit, die du mit diesen komischen Verzierungen zubringst, hättest du noch einen Schrank machen können. Ein Schrank ist dazu da, um Kleider hineinzuhängen. Niemand kauft einen Kleiderschrank, um sich die Bilder anzuschauen. Was nützt dir ein Schrank, wenn du keine Kleider zum Reinhängen hast? Aber dafür musst du Geld verdienen. Und kannst du die Kuhfiguren etwa melken, die du da schnitzt? Du kannst sie zusammendrücken, so viel du willst, es kommt kein Tropfen Milch heraus. Sie taugen höchstens als Brennholz! Mein Gott! Wenn ich auf meine Mauern auch Bilder malen würde, würde mir niemand mehr Arbeit geben. Hör doch auf mit diesem verspielten Quatsch und arbeite schneller, mach mehr Schränke. Davon hättest du mehr!»
Der Grossvater aber pflegte daraufhin Ueli zärtlich bei der Schulter zu nehmen und zu sagen: «Achte nicht auf das, was er sagt. Er ist Maurermeister, und der Sinn für solche Feinheiten geht ihm ab. In seiner Welt ist kein Platz für Kreativität. Es ist Unsinn, wenn er sich in unsere Angelegenheiten mischt. Er ist nicht in der Lage zu erkennen, dass Arbeit auch etwas mit Gefühl zu tun hat. Wenn es keine Leute gegeben