Название | Der Pascha aus Urnäsch |
---|---|
Автор произведения | Abdullah Dur |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783858302588 |
Später auf seinem Zimmer dachte Ueli noch lange über die Worte des Doktors nach. Doktor Leuenberger war keiner, der ständig den Namen Gottes im Mund führte wie die Menschen aus Uelis Umfeld. Und es war unglaublich, dass er für die Kuhfiguren zehn Gulden angeboten hatte. Vielleicht hatte Ueli ihn missverstanden … Ein Gulden wäre schon ein sehr guter Preis für die Holzfigürchen gewesen. Ueli hatte noch nie im Leben ein Zimmer für sich allein gehabt und schlief wie ein Murmeltier bis zum nächsten Tag.
Beim Morgenessen berichtete der Doktor, dass er als Arzt sehr lange in Zürich tätig gewesen war. «Dann sind wir hierhergezogen, einerseits, um den Rest meiner Tage an dem Ort zu verbringen, in dem ich geboren bin, und andererseits, um den Menschen hier zu dienen. Wenn hier jemand krank wird, hält er es nicht für notwendig, einen Arzt aufzusuchen, man wendet sich eher an den Pfarrer oder an Wunderheiler. Die Leute rufen mich erst, wenn sie schon im Sterben liegen. Dann kann ich meist auch nicht mehr viel für sie tun. Wir leben hier noch von dem, was ich in Zürich verdient habe. An einem Ort, wo die Menschen Hunger leiden, kann ein Arzt kein Geld verdienen. Mir geht es letztlich wie dir: Du bist Schreiner, aber die Leute haben kein Geld, um deine Arbeit zu bezahlen.»
Ueli unterbrach den Doktor, um zu gestehen, dass auch er Maria schon oft zu Mönchen und Wunderheilern gebracht hatte.
Leuenberger verzog ein wenig das Gesicht. «Tu das nie wieder», riet er. «Diese Art der Behandlung ist für Kinder sehr schädlich. Bei Erwachsenen liegt die Sache anders. Sie glauben fest an die Wirkung solcher Quacksalberei und meinen anschliessend, Besserung zu verspüren – und ich muss zugeben, dass es Leute gibt, die allein aufgrund dieser Überzeugung tatsächlich gesund werden. Denn der Glaube versetzt Berge und ist der entscheidende Faktor bei der Genesung. Doch weil bei Kindern dieser Glaube an die Wirksamkeit noch nicht vorhanden ist, kann es keinen Nutzen geben. Bring Maria nur noch zu Leuten, die über medizinische Kenntnisse verfügen.»
Der Arzt schloss Marias Behandlung innerhalb von drei Tagen ab. Ihre Luftröhre war von Geburt an sehr eng, weshalb sie sich leicht entzündete, was ihr das Atmen schwer machte. Drei Tage lang massierte Leuenberger den Brustkorb des Kindes mit verschiedenen Techniken, um ihn zu weiten und das Atmen zu erleichtern. Ausserdem bereitete er einen Sirup aus dem Inhalt verschiedenfarbiger Flaschen zu und schärfte Ueli ein, Maria diesen dreimal täglich einzuflössen. Zu Marias Beinen sagte er, sie werde niemals laufen können, doch bei guter Ernährung könne sie kriechen. Wenn sie zu krabbeln beginne, solle man ihr zur Schonung der Knie die ledernen Knieschoner anziehen, die er vom Schuhmacher hatte anfertigen lassen.
Als sie sich auf den Heimweg machten, waren ihre Taschen mit reichlich Kleidung gefüllt. Und trotz Uelis heftigem Protest hatte der Doktor nach all seinen Wohltaten auch noch zehn Gulden daraufgelegt.
Diesmal schneite es nicht auf dem Rückweg wie vor sechs Jahren, sondern es herrschte strahlender Sonnenschein. Nur der Gipfel des Säntis war weiss von Schnee. Auf Uelis Rücken spielte Maria mit den Haaren des Vaters und summte vor sich hin. Ueli tastete in der Tasche nach den zehn Gulden. Er war unvorstellbar glücklich. Wenn er Maria zu Mönchen oder Quacksalbern gebracht hatte, war er jedes Mal mit leeren Taschen heimgekehrt.
Spontan schlug er einen Umweg über Appenzell ein. «He, Maria, ich zeig dir Appenzell!»
«Was ist das?»
«Was das ist? Ein Schleckstängel.»
«Ja, jaaaaa!»
In Appenzell kaufte Ueli dem Grossvater hundert Gramm Tabak, der Mutter und Rösli je ein Handtuch und vier Meter Stoff, der mit Blumenmotiven bedruckt war, dem Vater einen neuen Hammer und für den Rest der Familie Süssigkeiten. Danach hatte er immer noch fünf Gulden in der Tasche.
Der Werkzeughändler erkannte ihn. Als er das Pferd und die vollen Taschen sah, murmelte er: «Die Geschäfte der Familie Kurt laufen wohl wie am Schnürchen. Dein Pferd ist wohlgenährt.»
Ueli nickte und machte sich eilig davon. Er wollte nicht Herrn Dörig über den Weg laufen, denn die Familie Kurt stand bei ihm mit mindestens zweihundert Gulden tief in der Kreide.
Maria nuckelte indessen an ihrem Schleckstängel. «Appenzell ist aber gut», murmelte sie.
Die Hochzeit
Pfarrer Johannes hatte Ueli vor der Hochzeit ins Pfarrhaus geladen. Zum ersten Mal betrat Ueli das grosse, auf mächtigen Mauern errichtete Gebäude direkt hinter der Kirche. Der schwarzweiss gestrichene, hölzerne Dachhimmel war weit nach vorne über die Fassade gezogen. Direkt neben dem Haus stand eine riesige Tanne, die fast bis zu seinem First reichte.
Rösli war sehr oft zum Putzen dort und erzählte bewundernd von dem geräumigen Haus, angefangen bei den vielen Büchern, die ein ganzes Zimmer füllten, den glänzend lackierten Schränken bis hin zu den glitzernden Weingläsern. Auch den Pfarrer verehrte sie sehr, er war sehr höflich, kultiviert und trotz seines hohen Amtes nicht überheblich. Den Reichtum wertete sie als Lohn seiner Nähe zu Gott.
Pfarrer Johannes empfing Ueli an der Tür. Höflich erkundigte er sich nach dem Befinden, um ihn dann ins riesige Wohnzimmer zu führen. Sie setzten sich an einen grossen Tisch. Der Pfarrer warf einen kurzen Blick in die aufgeschlagene Seite der Bibel auf dem Tisch, als suche er eine bestimmte Stelle, dann klappte er das Buch behutsam zu. Dabei murmelte er etwas Unverständliches. Sie prosteten sich mit Wein zu, der in grossen Gläsern schon bereit stand.
«Lieber Ueli, du bist jetzt ein richtiger Mann. Gott möchte, dass du eine Familie gründest und hat dir das Zeug gegeben, sie zu ernähren. Das beweist schon die Kirchentür, die du gerade mit deinen geschnitzten Reliefs so schön verziert hast. Du beherrschst dein Handwerk. Deine Fähigkeiten und dein Fleiss ermöglichen es dir, eine Familie zu ernähren. Und Rösli ist genau die richtige Frau für dich. Gott hat euch für einander erschaffen. Wenn Gott einen Menschen schafft, gibt er ihm auch einen Partner. Zusammen mit deiner Frau sollst du auf Gottes Wegen wandeln, möge er euch leiten. Je näher ihr Gott seid, desto mehr ist Gott mit euch und steht euch bei. Ein Heim zu gründen, Nachkommen zu zeugen, ist eure heilige Pflicht als Gottes treue Diener. Wer dieser Pflicht nachkommt, tut Gutes.»
Die Ratschläge und Ermahnungen wollten kein Ende nehmen. Während der Pfarrer sprach, blickte er Ueli ruhig und fest in die Augen, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Doch was in Ueli Kurt vorging, war etwas ganz anderes. Er hatte zu hören gehofft: «Ihr seid sehr nah miteinander verwandt. Es ist nicht richtig, dieses Mädchen zu heiraten.» Aber nach dieser Unterredung mit dem Pfarrer erschien die Eheschliessung unausweichlich.
Doch die schöne Kirchentür aus Kirschbaumholz fand noch mehr Bewunderer. Eine Woche nach ihrer Vollendung hatten Ueli und sein Grossvater im Haus der Familie Schmied zu tun, der reichsten Familie des Dorfs. In St. Gallen besassen die Schmieds ein Juweliergeschäft, ihr Haus in Urnäsch war das grösste und prächtigste im Dorf, und sie hatten zwei vierspännige Kutschen. Bei den Schmieds sah Ueli zum ersten Mal im Leben silberne Tabletts, Schalen und Besteck. Und ihre Tochter war das schönste Mädchen im Dorf. Lange Jahre erschien sie Ueli im Traum, ja, er war sogar in sie verliebt. Die beiden waren gleichaltrig und hatten als kleine Kinder am Bach zusammen Frösche gefangen. Julia hatte ein Kindermädchen, und wenn sie einmal einen Frosch erwischten, packte sie das Mädchen gleich am Arm. Julia blickte Ueli dann hilfesuchend an und weinte, während das Kindermädchen sie am Arm fortzerrte. Ab einem Alter von acht Jahren war sie im Dorf kaum mehr zu sehen. Man konnte von dieser wohlhabenden Familie natürlich nicht erwarten, dass sie ihre Kinder in die Dorfschule schickte. Ueli erfuhr, dass Julia in St. Gallen ein Internat besuchte. Fortan sah er sie nur noch beim Silvesterklausen oder wenn sie in den Schulferien nach Hause kam und manchmal auf dem Balkon ein Buch las. Sie war ein schönes junges Mädchen geworden, und womöglich war sie auch noch gebildet. Für Ueli glich sie den Prinzessinnen in Grossvaters Märchen. Ihr blondes Haar fiel ihr in zwei langen Zöpfen über die Schultern, und wenn sie Ueli mit strahlenden Augen ansah, wurde er rot und blickte zu Boden.
Als sie an jenem Tag zur Arbeit ins Haus der Schmieds gingen, hoffte Ueli insgeheim, Julia zu sehen, und allein der Gedanke machte ihn schon nervös. Der Hausverwalter zeigte ihnen ein paar kleine Schreinerarbeiten, die zu erledigen